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Mühsam jetzt das Unkraut jäten

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Wer sich jetzt noch gegen weitreichende Sparmaßnahmen stemmt, bedenkt nicht die Folgen verantwortungsloser Budgetpolitik.

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Wer sich jetzt noch gegen weitreichende Sparmaßnahmen stemmt, bedenkt nicht die Folgen verantwortungsloser Budgetpolitik.

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Ein Bundeskanzler, der notwendigen Entscheidungen unter schwierigen Verhältnissen permanent ausweicht und stets den Weg des geringsten Widerstandes geht, ein politisch völlig unerfahrener Finanzminister und die lange Zeit viel zu sorglosen, nunmehr zutiefst zerstrittenen Koalitionspartner haben bei der gegenwärtig wichtigsten wirtschafts- und staatspolitischen Aufgabe, der nachhaltigen Sanierung der öffentlichen Finanzen, versagt. Als zwingende Konsequenz finden am letzten Sonntag vor Weihnachten vorgezogene Nationalratswahlen statt.

Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse: Die öffentliche Verschuldung in Osterreich ist zwischen 1985 und 1995 von knapp 50 Prozent auf über 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Sie betrug einschließlich der Länder und Gemeinden, aber ohne Bahn-, Post- und OIAG-Verbindlichkeiten und ohne die staatlich garantierten Verpflichtungen der Sondergesellschaften Ende des vergangenen Jahres 1.448 Milliarden Schilling.

Das bedeutet, daß eine vierköpfige Familie im Durchschnitt mit 800.000 Schilling von Staats wegen belastet ist. Noch viel schwerer wiegt, daß über ein Fünftel der Nettosteuereinnahmen des Bundes bereits für Zinsen aufgewendet werden müssen und zwar bei steigender Tendenz: Von 1997 an wird die Neuverschuldung nach dem derzeitigen Stand der Dinge nicht mehr ausreichen, die Zinsen für die alten Verbindlichkeiten zu bezahlen. •

Keine Budgetwahrheit

Trotz guter Konjunktur wird Staatsvermögen veräußert, um Budgetlöcher zu stopfen, statt Schulden zu reduzieren. Überdies wird seit drei Jahren der Grundsatz der Budgetwahrheit sträflich verletzt: Im Jahre 1993 wurde der Staatshaushalt um 34 Milliarden Schilling, im vergangenen Jahr um 24 Milliarden Schilling überzogen. Das heurige Defizit kann nur geschätzt werden; es wird vermutlich noch höher als in den zwei Jahren zuvor sein:

Die Verteidiger dieser Politik versuchen die Bevölkerung mit leicht widerlegbaren Argumenten zu täuschen. Sie behaupten, daß die Kreditaufnahmen in den vergangenen Jahren dazu dienen sollten, vorübergehende Konjunktureinbrüche zu überbrücken. Damit wäre Arbeitslosigkeit vermieden worden.

Dieses Ziel hätte man mit einer zeitlich streng begrenzten Finanzierung von Investitionsvorhaben erreichen müssen. Statt dessen wurden sofort in den Konsum fließende Ausgaben getätigt, die sich in der politischen Praxis nach dem Ende der Rezession kaum mehr reduzieren lassen, ja durch eine vorprogrammierte Dynamik - wie etwa beim zweiten Karenzjahr, beim Karenzurlaubsgeld, bei der Lohn-fortzahlung im Insolvenzfall, bei Leistungen der Pflegevorsorge oder beim Familienpaket - meist sogar noch stärker als das Bruttoinlandsprodukt steigen. Diese Kritik bezieht sich sicherlich nicht auf Sozialleistungen für wirklich Bedürftige: Die Stärke eines Volkes ist am Wohl der Schwachen zu messen. Abzulehnen ist jedoch die unehrliche und kurzsichtige Finanzierung von Transferleistungen durch Schulden.

Irreführend ist auch die Behauptung, man hätte - hier wurde groteskerweise sogar das vor bald 50 Jahren (!) gebaute Kraftwerk Kaprun als Argument herangezogen - die hohen Kredite für Investitionen aufgenommen, die auch späteren Generationen zugute kämen, sodaß es nur recht und billig sei, diese auch an den Kosten zu beteiligen. Der anerkannte Wirtschaftsjournalist Horst Knapp widerlegt diese Feststellung mit einfachen Zahlen: Von 1952 bis 1970 hat der Bund insgesamt 122 Milliarden Schilling investiert. Die Staatsschuld hingegen ist im selben Zeitraum um nur 36,5 Milliarden Schilling gewachsen.

Heute ist es umgekehrt: Das Budgetdefizit 1995 wurde mit 102,2 Milliarden Schilling veranschlagt. Die Investitionen betrugen jedoch nur knapp 40 Milliarden Schilling. Künftige Steuerzahler werden also zu zwei Drittel des diesjährigen Defizits für Schulden aufkommen müssen, die wir gemacht haben, um heute besser leben zu können. Familienverbände, die ja nicht nur die Interessen der Eltern, sondern auch die der Kinder zu vertreten haben, sollten sich dieser leichtfertigen Politik zumindest mit der gleichen Entschiedenheit widersetzen, mit der sie gegen eine soziale Staffelung der einen oder anderen Beihilfe kämpfen.

Unverständlich ist die mangelnde Einsicht, daß das Budget bei einer Abgabenquote von über 43 Prozent des Bruttoinlandsproduktes keinesfalls an zu geringen Einnahmen leidet. Die Sanierung darf nicht durch höhere Steuern, sondern muß durch echte Einsparungen auf der Ausgabenseite erreicht werden. Sie hat dort zu erfolgen, wo es in den letzten Jahren zu den stärksten Kostenexplosionen gekommen ist. Das ist vor allem bei den Frühpensionen, im Gesundheitswesen, bei bestimmten Sozialleistungen und beim Verwaltungsaufwand der Fall. Die jährlichen Ausgaben für die Krankenanstalten sind bis 1994 regelmäßig um zehn Prozent, für den öffentlichen Dienst um sechs bis sieben Prozent gestiegen. Das Karenzgeld erfordert heuer an die zwölf Milliarden Schilling gegenüber drei Milliarden im Jahre 1990. Die Kosten für Arbeitslosengeld und Notstandshilfe haben sich in diesem Zeitraum um etwa 70 Prozent erhöht.

Treffsichere Sozialpolitik

Die hier notwendigen Einsparungen müssen allerdings den sozialen Aspekt in den Vordergrund stellen. Die Treffsicherheit in der Sozialpolitik läßt seit langem zu wünschen übrig. Der pensionierte Spitzenbeamte oder Generaldirektor kann sich seinen Kuraufenthalt selbst zahlen, während der 40jährige vermögenslose Familienvater, nach einem Schlaganfall arbeitsunfähig, mehr statt weniger bekommen muß.

Hier ist nicht der bequeme Rasenmäher einzusetzen, der alles über einen Kamm schert. Vielmehr ist in mühsamer Kleinarbeit das Unkraut zu jäten, Sozialmißbrauch - und jeder von uns kennt höchstpersönlich solche Fälle - muß abgestellt, echte Not dagegen wirkungsvoller bekämpft werden.

Es geht nicht nur um EU-Kriterien

Wer sich heute noch gegen weitreichende und vor allem auch langfristig wirksame Sparmaßnahmen ausspricht, sollte die Folgen verantwortungsloser Budgetpolitik bedenken. Es geht hier nicht nur um die Erfüllung gewisser EU-Kriterien, so wichtig die Teilnahme Österreichs an der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion auch ist, um nicht den Anschluß an den Integrationsprozeß zu verlieren. Es geht um die Stabilität des Schilling, um die Kreditwürdigkeit des Landes und damit um die Erhaltung unseres in schwerer Arbeit erworbenen Wohlstandes. Österreich ist eines der fünf Hartwährungs-länder der Welt.

Unser Land erfreut sich mit nur acht Staaten - Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Luxemburg, Schweiz, USA und Japan - der höchsten Bonitätsbewertung. Würde die Republik Österreich von den internationalen Ratingagenturen zurückgestuft werden, müßten durch steigende Zinsen zusätzliche 40 Milliarden Schilling jährlich aufgebracht werden. Dies ist über kurz oder lang zu befürchten, falls die rasant wachsende Neuverschuldung nicht unter Kontrolle gebracht werden kann. Dadurch käme die österreichische Finanzpolitik in immer größere Nöte. Bei einer solchen Realitätsverweigerung wären noch viel einschneidendere Spaßmaßnahmen unverzichtbar, wie sie in Schweden, Belgien und anderen Ländern von konservativen wie sozialdemokratisch geführten Regierungen wiederholt getroffen werden mußten.

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