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Nach den mageren Jahren ein fetteres Lohnsackeri?

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Ende dieser Woche beginnt die Lohnrunde mit Verhandlungen der Metallindustrie. Die Gewerkschaften wollen eine kräftige Lohnerhöhung, die Arbeitgeber eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Konsolidierung.

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Ende dieser Woche beginnt die Lohnrunde mit Verhandlungen der Metallindustrie. Die Gewerkschaften wollen eine kräftige Lohnerhöhung, die Arbeitgeber eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Konsolidierung.

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Die Gewerkschaft Metall, Bergbau, Energie und die Industriesektion der Privatangestellten werden ihre Marschroute für die Kollektivvertragsverhandlungen am kommenden Freitag besprechen, leide Gewerkschaften, die zusammen rund 310.000 Arbeitnehmer vertreten, werden wie im Herbst 1993 gemeinsam mit den Arbeitge- tern verhandeln.

Im vorigen Jahr hatte man sich angesichts der schlechten Konjunk- turlage nach kurzer Zeit auf eine Er- löhung der Kollektivvertragslöhne um 3,8 Prozent, der Ist-Löhne um 2,8 Prozent geeinigt. Heuer streben die Arbeitnehmervertreter wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs eine deutlich stärkere Lohnerhöhung an. Die Industrie warnt vor übermäßigen Forderungen. Beide Seiten wollen wieder einen möglichst raschen Vertragsabschluß, vielleicht noch im September.

ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch hat Anfang August betont, die Arbeitnehmer müßten ihren Anteil an der gestiegenen Produktivität erhalten. Uber die Höhe der Lohnforderungen wird vorläufig geschwiegen. Da ein Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung laut Gewerkschaft rund eine Milliarde Schilling kostet, würde allein die Abgeltung der für 1994 vorausgesagten Inflationsrate von 2,8 Prozent nahezu drei Milliarden Schilling ausmachen. Dazu käme der Anteil an der höheren Produktivität, die jedoch nach Sparten sehr unterschiedlich zugenommen hat, um 1,7 Prozent im Bergbau bis zu acht Prozent in der Stahlindustrie, teilweise sogar merklich stärker.

Nach der Statistik hat die Produktivität der verarbeitenden Industrie sogar 1993, trotz der Konjunkturflaute, um 4,4 Prozent zugenommen, mehr als in den meisten europäischen Ländern. Solche Durchschnittswerte können aber sehr täuschen, wird in Industriekreisen betont. Wenn schlechte Betriebe notgedrungen aufgeben, dann erhöht sich die durchschnittliche Produktivität in der Branche, ohne daß die mderen Unternehmen wirklich besser dastehen. Deshalb glaubt man tuch, bei den Arbeitergewerkschafen wachsende Skepsis gegenüber eichen Produktivitätsziffern als Haßstab zu erkennen; außer der Angestelltengewerkschaft stütze sich kaum eine andere wirklich auf dieses Argument, wird erklärt; Entscheidend für die Leistungs- und Entlohnungskraft seien die Position auf den Märkten und der Ertrag.

Die Arbeitgeber warnen daher vor allzu drastischen Lohnforderungen. Die günstigeren Bestelleingänge stellen für viele Unternehmen nur ein allmähliches Aufholen aus den Rückschlägen der letzten Jahre dar, die Industrieproduktion liege erst wieder etwas über dem Niveau von 1990. Es gehe jetzt um die Konsolidierung der Verhältnisse, betont der Chefverhandler der Industrie, Erich Laminger; deshalb dürfe der neue Abschluß sich in seiner Kostenwirkung nicht sehr von dem des vorigen Jahres unterscheiden. Demgegenüber verweist der Leitende Sekretär der Privatangestelltengewerkschaft, Walter Laichmann, auf das erwartete Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent, was eine kräftige Lohnerhöhung rechtfertige.

DRUCK AUS DEM OSTEN

Dem halten die Arbeitgeber mehrere Fakten entgegen: Die Abwertung der Währungen mehrerer Länder hat den Export empfindlich erschwert. Dazu kommt die neue Lage durch den EU-Beitritt. Österreich, so wird gesagt, sei in gewisser Hinsicht zu einem Staat von Zulieferern geworden, wenn auch mit guten Qualitäten; deshalb müsse das in den Firmen verfügbare Kapital jetzt in erster Linie für die Marktpolitik, für Investitionen und besonders für Forschung und Entwicklung eingesetzt werden. Auch die Oststaaten werden allmählich konkurrenzfähiger. Die offenen Märkte bieten der österreichischen Industrie gute Chancen, wenn sie immer mehr höherwertige Erzeugnisse und modernste Verfahren erreicht. „Wir dürfen nicht der teurere Bruder des billigen Ostens werden!“ betont Industriesprecher Laminger.

Im vorigen Jahr war der Lohnabschluß wegen der Rezession nicht nur der Höhe nach maßvoll. Es gab darüber hinaus noch die sogenannte „Öffnungsklausel“. Sie erlaubte krisengeschwächten Unternehmen, im Rahmen von Betriebsvereinbarungen, die Auszahlung der 2,8prozenti- gen Lohnerhöhung ganz oder teilweise aufzuschieben oder überhaupt zu unterlassen und den Gegenwert stattdessen für arbeitsplatzerhaltende Maßnahmen zu verwenden.

Von dieser Möglichkeit haben nur 77 Betriebe mit rund zehn Prozent der vom Kollektivvertrag erfaßten Beschäftigten Gebrauch gemacht, für Investitionen, Produktentwicklung, Marktforschung, Schulung. Es waren vorwiegend Mittel- und Kleinbetriebe, nur wenige große, obwohl die Gewerkschaft dieser Regelung vor allem mit dem Blick auf die verstaatlichte Industrie zugestimmt hatte. Sie prangerte dann freilich etliche Fälle von Mißbrauch an, und auch die Arbeitgeber räumten ein, daß manche Firmenchefs dieser Neuregelung offenbar nicht gewachsen gewesen sind. Es gilt deshalb als sicher, daß dieses Experiment der Öffnungsklausel nicht weitergeführt werden wird.

Noch ist nicht abzusehen, ob es diesmal allein bei Lohnvereinbarungen bleiben wird, oder ob andere arbeitsrechtliche Absprachen dazukommen werden. Die Metallarbeiter wollen, daß es eine „echte Kollektivvertragsrunde“ wird, also nicht nur eine Lohnrunde. Deshalb drängen sie, wie es scheint, auf die ihnen im Prinzip schon früher - freilich mit der Zielvorgabe bis zum Jahre 2000 — zugesagte Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten, was beispielsweise für die Kündigungsfristen bedeutsam wäre.

BILDUNGSURLAUB VERLANGT

Die Gewerkschaft der Privatangestellten ist davon offenbar nicht sehr angetan. Von ihrer Seite ist verschiedentlich die Forderung nach Maßnahmen für bessere Qualifizierung der Mitarbeiter und nach bezahltem Bildungsurlaub ausgesprochen worden, doch ist ungewiß, ob dieses Thema bei der kommenden Lohnrunde eine Rolle spielen wird, zumal über diese Fragen ohnedies seit einiger Zeit in einer eigenen Arbeitsgruppe gesprochen wird. Auch die Frage einer Arbeitszeitverkürzung wird wahrscheinlich nicht ernsthaft zur Debatte gestellt werden.

Erich Laminger als Vertreter der Arbeitgeber ist der Ansicht, daß die Öffnungsklausel immerhin einen gewissen Durchbruch gebracht habe, man solle deshalb ein ähnliches Instrumentarium entwickeln. Ein Kollektivvertrag könnte in Zukunft das grobe Ausmaß der Lohnerhöhung regeln, aber mit Korrekturmöglichkeiten auf Betriebsebene. Er spricht von einer „kontrollierten Flexibilität“. Zulässige Abweichungen vom groben Raster des Kollektivvertrages könnten vielleicht einer nachfolgenden Kontrolle durch die Sozialpartner unterworfen werden. Der Chef der Metallarbeiter, Rudolf Nürnberger, hat ja schon Ende vorigen Jahres auch für die Zukunft eine flexible Haltung seiner Gewerkschaft angekündigt.

Weil Anfang Oktober die Arbeiterkammerwahlen bevorstehen, rechnen beide Seiten mit zügigen Verhandlungen und einem baldigen Abschluß. Nach der Metallindustrie werden voraussichtlich die Nahrungsmittelindustrie und die Handelsangestellten verhandeln.

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