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Neoliberaler Schwenk der Umweltpolitik

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Die Wirtschaft gibt immer mehr den Ton an. Alles wird ihren Maßstäben unterworfen, auch die Umwelt, wie der Kurs der EU-Umweltpolitik zeigt.

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Die Wirtschaft gibt immer mehr den Ton an. Alles wird ihren Maßstäben unterworfen, auch die Umwelt, wie der Kurs der EU-Umweltpolitik zeigt.

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Die Staaten geben einerseits nach und nach ihre Souveränität an übergeordnete gemeinsame Einrichtungen ab (Europäische Union, NATO, UNO, WTO, OECD): Sie verzichten mehr und mehr auf eigenständige gesetzliche Regelungen zugunsten gemeinschaftlicher oder internationaler Rechtsetzungen und Vereinbarungen. Andererseits treten an die Stelle der staatlichen Gesetzgebung immer häufiger die Eigenverantwortung und die private Normung.

Ein Schlaglicht auf die Zurückdrängung des Nationalstaates als Ordnungsfaktor der Gesellschaft wirft die Forderung, die Bedeutung von Regio-nen gegenüber Gliedstaaten und Nationalstaaten zu erhöhen. Regionen haben bekanntlich keine Souveränität und keine demokratische Gesetzgebung.

Souveränitätsverlust und Souveränitätsverzicht der Nationalstaaten und damit . Bedeutungsschwund staatlicher Bechtsordnung prägen zunehmend das Bild der Umweltpolitik. Zwar bekennt sich die Europäische Union zum Subsidiaritätsprinzip, doch in der Praxis erweist sich dieses Prinzip oft als ambivalent. Einerseits kann es zu einem bedauernswerten Verzicht auf gemeinschaftsweite Begelungen (z. B. Emissionsgrenzwerte) führen und andererseits schützt es Alleingänge der Mitgliedsstaaten nicht verläßlich vor Interventionen anderer Mitgliedsstaaten und der Kommission. Auch ist es kein wirklicher Schutz gegen ökonomische Zwänge.

1993: ein Wendepunkt

Der neoliberale Einfluß und der dadurch ausgelöste gesellschaftliche Wandel kommt vor allem im Fünften Umweltaktionsprogramm der EU vom 1. Februar 1993 bestimmend zum Ausdruck. Dieses „Gemeinschaftsprogramm für Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechtere Entwicklung” , das mit seinen Zielvorgaben bis zum Jahr 2000 ausgerichtet ist, unterscheidet sich wesentlich von den vier vorausgegangenen Umweltaktionsprogrammen und bezeichnet sich selbst als Wendepunkt der Umweltpolitik. Es zielt auf die Erreichung eines Gleichgewichts zwischen Umweltschutz und wachstumsorientierter ökonomischer Entwicklung ab.

Bis dahin basierte der Umweltschutz im wesentlichen auf dem Erlaß von entsprechenden Rechtsvorschriften. Die neue Strategie hat die Einbeziehung aller Wirtschaftsbeteiligten und Sozialpartner zur Grundlage und verbindet den Grundsatz der Subsidiarität mit dem Konzept für eine „dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung”.

Ihre Zielsetzungen und Zielvorgaben stellen keine rechtlichen Verpflichtungen dar und gehen davon aus, daß nicht alle Aktionen rechtliche Maßnahmen auf gemeinschaftlicher und nationaler Ebene erfordern. Damit wird ein Konfliktpotential zu unserem Rechtsstaatsprinzip (Art. 18 Bundesverfassungsgesetz) geschaffen, wonach zum Schutz vor Willkür die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf. Das EU-Recht bricht allerdings auch nationales Verfassungsrecht.

Das Fünfte Aktionsprogramm sieht vor, daß „rechtliche Instrumente” (nur noch) zu folgenden Zwecken eingesetzt werden:

■ zur Festlegung der Grundvoraussetzungen für den Schutz von Gesundheit und Umwelt, insbesondere in Gefahrensituationen,

■ zur Einhaltung internationaler Verpflichtungen und

■ zur Schaffung gemeinschaftsweiter Normen und Regelungen, die zur Erhaltung der Integrität des Binnenmarktes erforderlich sind.

Die „praktische Durchführung” des Fünften Umweltaktionsprogrammes wird den „Hauptakteuren der Gesellschaft” (Behörden, Unternehmen, der breiten Öffentlichkeit) überlassen. Ausdrücklich wird gefordert, daß sich die Politik die Kräfte des Marktes in stärkerem Maße zunutze machen sollte.

Nutzen möglichst groß

Der Kostenfrage wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Gefordert wird insbesondere das schnelle Anwendbarmachen einer Methode für die Kosten-Nutzen-Analyse. Soweit wie möglich sollen diejenigen Prioritäten vorrangig angegangen werden, bei denen der Nutzen am größten ist.

Durch Gegenüberstellung mit den bisher gültigen Vorstellungen können die neuen Trends in der Umweltpolitik pointiert sichtbar gemacht werden. Mit dieser Gegenüberstellung wird nicht behauptet, daß die bisherigen Positionen durch die neuen schon abgelöst wurden oder in absehbarer Zeit abgelöst werden. FjS werden lediglich Trends aufgezeigt. (Siehe Tabelle)

Problematische Trends

Die Umsetzung neuer Trends schafft umso größere Probleme, je mehr der Umweltschutz nach bisherigen Vorstellungen ausgebildet ist und sich bewährt hat. Der seit dem Fünften Umweltaktionsprogramm verstärkte britische Einfluß auf die Umweltpolitik der EU hat zu Divergenzen zwischen dem stark ordnungsrechtlichen dem Vorsorgeprinzip verpflichteten deutschen und dem ähnlichen österreichischen einerseits und dem europäischen Umweltrecht andererseits geführt.

Eine intakte Umwelt gehört zum Wohlstand eines Landes, zum Wohlbefinden seiner Bürger und Gäste. Sie ist Voraussetzung für die Bewahrung und Weiterentwicklung eines humanen kulturellen Erbes.

Gewinnstreben und Markt können den Umweltschutz nicht garantieren. Der Staat bleibt verantwortlich für den,Schutz seiner Bevölkerung und den Schutz der selbst nicht rechts- und handlungsfähigen natürlichen Umwelt. Staatlicher Umweltschutz hat auch den sozialen Frieden zu sichern. Die Gestaltung der Umweltpolitik in einer demokratischen Gemeinschaft muß daher vom Volk ausgehen und sich an ethischen Werten orientieren.

Heute wird es als Schlüsselfrage angesehen, wieviel Umweltschutz den Unternehmen im globalen Wettbewerb zumutbar ist. In Zukunft wird diese Frage lauten müssen: Auf wieviel vorsorgenden Umweltschutz könne wir guten Gewissens verzichten, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, Lebensqualität und Lebensgrundlagen zu zerstören?

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