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Neue Front in Grün

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• Das Petitionsrecht: Das Recht der Petition steht gemäß Art. 11, Staatsgrundgesetze über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, zwar jedermann zu, doch sieht die Geschäftsordnung hinsichtlich der Behandlung keinen klar ersichtlichen Weg vor. Die Petitionen sind nämlich Gegenstand der Behandlung im Plenum, sondern werden einem Ausschuß zugewiesen. Erstmalig wird nach Pfingsten im Sozialausschuß eine Reihe von Petitionen verhandelt, das Schicksal dieser Eingaben ist jedoch ungewiß.

• Das Enqueterecht: Gern. Art. 53, kann nur der Nationalrat Untersuchungsausschüsse einsetzen, die beauftragt werden, die Führung der Bundesverwaltung in bestimmten Belangen zu überprüfen. Zur Untersuchung der Vorfälle rund um den Autobahnbau „Strengberg“ ist ein solcher Untersuchungsausschuß in dieser Gesetzgebungsperiode eingesetzt worden, der fast zwei Jahre die Fakten untersuchte, um in seinem Bericht eigentlich zu keinem Ergebnis zu kommen. Vor allem hinsichtlich der Feststellung von strafbaren Handlungen' oder einer Schädigung des öffentlichen Interesses hat er keine neuen Wahrnehmungen gemacht. Die SPÖ hat daher nicht neuerlich den Wunsch nach Untersuchungsausschüssen ausgesprochen, da das Instrument von seiner Anlage her nicht geeignet ist, den Parlamentarismus im Bereich der Kontrolle zu bereichern.

Sind Österreichs Agrarpolitiker mit ihrem Latein am Ende? Der Leitartikel einer der letzten Ausgaben des „Österreichischen Bauern- bündlers“ zeigt jedenfalls, wie tief die Krise geht. Nicht mehr die Auseinandersetzung der Bauernschaft mit anderen Bevölkerungsgruppen, sondern innerhalb des agrarischen Bereiches greift an die Wurzeln der Existenz der österreichischen Landwirtschaft. „Wollen wir miteinander wachsen oder uns gegenseitig umbringen?“ fragt das bedeutendste Organ der Bauernschaft. Von einer „Frontenstellung“ Wird gesprochen, und von der Propagierung eines „Kampfes von Bauern gegen Bauern“.

Ob die Agrarpolitik in Österreich am Ende oder am Anfang steht, läßt sich heute noch nicht entscheiden. Sicher ist jene Agrarpolitik am Ende, die sich alle Schwierigkeiten durch Budgetsubventionen vom Leib halten wollte. Und sicher gibt es einen Anfang: Das Umdenken hat zumindest an der Spitze begonnen, von „gegenseitiger Ergänzung bei einvernehmlicher Arbeitsteilung“ ist die Rede, ebenso vom Markt, „auf dessen Aufnahmsfähigkeit Rücksicht zu nehmen“ ist. Umstellung und Anpassung, geistige und materielle Investitionen werden gefordert.

Natürlich ist dieser Strukturwandel sehr schmerzhaft. Daß er nicht nur in Österreich, sondern auch anderswo vor sich geht, ist kein Trost, sondern verschärft nur die Probleme, weil die Exportchancen ständig sinken. Was das bedeutet,

beweist eine „Milchmädchenrechnung“: Heuer muß trotz eines gesteigerten Inlandsabsatzes mehr als ein Viertel der Milchproduktion in Form von Milchprodukten ausgeführt werden.

Der agrarische Strukturwandel ist für die Betroffenen weitaus schlimmer als der industrielle. Bei letzterem geht es praktisch um Umschichtungen, die Landwirtschaft aber schrumpft. Der innere Riskenaus- gleich wind von Jahr zu Jahr schwieriger. Die 20.000 bis 22.000 Kräfte, welche jährlich die Landwirtschaft verlassen, rekrutieren sich naturgemäß aus den jüngeren Jahrgängen. Die Überalterung schreitet unaufhaltsam fort. Die Lebens- und Betriebskosten steigen, nicht immer hält die Einkommens ver

Schritt, obwohl Produktion und Produktivität zunehmen: So stiegen die Hektarerträge von 1955 auf 1965 bei Weizen, Gerste, Hafer und Kartoffeln um rund 20 Prozent, bei Zuckerrüben um 27 Prozent. Einem Rückgang der Milchkühe seit 1958 um 5 Prozent steht eine Mehrproduktion um 17 Prozent gegenüber.

Mit Recht benachteiligt fühlen sich die Bauern auf dem Gebiet der Sozialpolitik. Die landwirtschaftliche Zuschußrente beträgt im Monat 240 Schilling. Hier wird zur Selbsthilfe der Bauernschaft die Gesellschaft als Ganzes helfend einschreiten müssen. In der Regierungspartei existiert seit Mitte Mai bereits ein eigenes Komitee für dieses Problem.

Eiterwunde Überproduktion

Am deutlichsten dokumentieren sich die aktuellen Agrarprobleme in der Milchwirtschaft. Für das Budget 1968 wurde ein Zuwachs der Marktleistung von 3,15 Prozent veranschlagt. Tatsächlich ist mit einer Steigerung von mindestens 5 Prozent zu rechnen. Trotz zahlreicher Maßnahmen, die das Landwirtschaftsministerium initiiert hat, sind drastische Regelungen im Gespräch. Der Absatzförderungsbeitrag wird von 5 auf 20 Groschen erhöht. Für die Bemessung des Erzeugermilchpreises soll ein Fettgehalt von 3,7 Prozent statt derzeit 3,5 Prozent gelten, was eine weitere Verringerung des Erzeugermilchpreises um rund 10 Groschen bedeutet. Eine Qualitätsbezahlung der Milch, wie sie vom Landwirtschaftsministerium und den westlichen Bundesländern vertreten, besonders in Niederösterreich aber bekämpft wird, sieht einen Zuschlag von 10 Groschen für Milch erster Qualität und einen Abschlag von 10 Groschen für Milch dritter Qualität vor. Die Kombination dieser Maßnahmen bedeutet, daß die Bauern ab 1. Juli zwischen 15 und 35 Groschen weniger für den Liter Milch erhalten.

Niederösterreich tritt für eine Kontingentierung der Milch ein. Diese würde die industrienahen Gebiete bevorzugen und zu einem grauen Markt nichtpasteurisierter Milch führen. Eine solche Lösung würde den ministeriellen Intentionen diametral zuwiderlaufen. Nicht die Familienbetriebe in den Grünlandgebieten, sondern jene Bauern würden bevorzugt, die auf andere Produktionen ausweichen können. Anderseits wehrt sich das Ministerium gegen eine Differenzierung des

Milchpreises nach Produktionsgebieten, wie es die westlichen Bundesländer gerne sehen würden. Eine Abgrenzung zwischen bevorzugten und benachteiligten Gebieten ist in der Praxis nicht möglich.

Revolte im Weinland

Im Zuge der Budgetsanierung wurde ein neuer agrarischer Kriegsschauplatz geschaffen. Die Weinbauern laufen Sturm gegen die zusätzliche zehnprozentige Alkoholsteuer, weil sie fürchten, daß diese Verbrauchssteuer letztlich vom Produzenten übernommen werden muß. An stürmischen Protestversammlun- gen nehmen auch führende ÖVP- Bauern teil. Man greift die Bundesregierung und besonders den Finanzminister heftig an und verlangt eine Befristung dieser Steuer und eine Limitierung von einem Schilling pro Liter. Als besonderes empörend wird die erstmalige Besteuerung des Eigenverbrauchs empfunden, dceh hat es den Anschein, daß hier der Punkt ist, über den der Finanzminister mit sich reden läßt.

Stürmische Versammlungen gibt es aber nicht nur in den Weinbaugebieten, wie Landwirtschaftsminister Dipl.-Ing. Dr. Schleimer mehrfach feststellen konnte. Mit beschwörenden Aufrufen wendet er sich an die Agrarier: „Ich appelliere an die bäuerliche Solidarität und an die Aufgeschlossenheit jedes einzelnen Bauern.“ Wie sich aber letztlich die Probleme der Landwirtschaft lösen werden und welche politischen Folgen daraus resultieren, wagen heute nicht einmal die profundesten Kenner der agrarischen Strategie vorauszusagen.

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