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Neue Pfade werden beschritten

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Mit dem System der Bauernversicherung hat man in Österreich ausgetretene Pfade verlassen und in manchem völlig neue Wege beschritten. Als oberstes Prinzip gilt: Hilfe dort, und zwar ausreichende Hilfe, wo sie wirklich notwendig ist. Die zwanzig-prozentige Beteiligung der Versicherten an den Kosten schiebt hingegen dem Mißbrauch dieses Sozialinstitutes einen Riegel vor. Möglich, daß dieser erste Versuch auch einmal Vorbild für andere Krankenkassen werden wird.

Für jene, die wirklich in großer Not sind, gibt es auch bei der Kostenbeteiligung eine Ausnahmebestimmung. Dauert etwa ein Spitalsaufenthalt länger als vier Wochen, so wird ab der fünften Woche die zwanzigprozentige Mitbeteiligung nicht mehr verlangt, ab diesem Zeitpunkt zahlt die Bauernversicherung die gesamten Kosten.

In vielen Punkten hat man sich, was die Leistungen betrifft, nach dem Schema der ASVG-Kassen gehalten, in einem sehr wesentlichen Punkt werden diese von der Bauernkasse sogar übertroffen. Das Gesetz überläßt ihr nämlich die Möglichkeit, den Krankenhausaufenthalt auch noch nach Ablauf der vorgesehenen 52 Wochen (für Angehörige 26 Wochen) freiwillig zu verlängern. Die „Aussteuerung“ eines Schwerkranken nach einem Jahr Spitalsaufenthalt ist also nicht zwangsläufig notwendig.

Die Leistungen

Der Vollständigkeit halber seien auch hier die — schon weithin bekannten — Leistungen kurz angeführt. Es sind das:

• die ärztliche Hilfe;

• die Bereitstellung der Heilmittel (der notwendigen Arzneien und der sonstigen Mittel, die zur Beseitigung oder Linderung der Krankheit dienen);

• die Heilbehelfe (Brillen, orthopädische Schuheinlagen, Bruchbänder und sonstige notwendige Heilbehelfe sind dem Versicherten für sich und seine Angehörigen in einfacher, zweckentsprechender Ausführung zu gewähren);

• die Gewährung der Pflege in einer öffentlichen Krankenanstalt;

• Zahnbehandlung und Zahnersatz (konservierende und chirurgische Zahnbehandlung, zu den Kosten eines unentbehrlichen Zahnersatzes werden bis zu 80 Prozent der Kosten gewährt) ;

• Hilfe bei körperlichen Gebrechen (Zuschüsse für die Anschaffung notwendiger Hilfsmittel);

• erweiterte Heilfürsorge (hierfür gehört die Unterbringung in einem Genesungs- oder Erholungsheim, der Aufenthalt in Kurbädern oder Heilstätten) ;

• Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft (Kosten für die Entbindung, Hebammenbeistand.ärzt-licher Beistand, für die Entbindung kann auch Pflege in einer Krankenanstalt gewährt werden);

• die Gewährung von Sterbegeld — es richtet sich nach der Höhe des Beitrages — beim Tode des Versicherten oder eines Angehörigen (Krankengeld wird im Gegensatz zu den ASVG-Kassen nicht gewährt).

Das Prinzip der Solidarität

Ohne sozialen Lastenausgleich wäre die Bauernkrankenkasse nie zustande gekommen. Größeren Bauern, die sich darüber mokieren, daß sie zwar mehr bezahlen müssen als kleinere, ohne deshalb höhere Leistungen verlangen zu können, mangelt es an echter Solidarität. Das Prinzip horizontaler Solidarität gilt übrigens auch für die anderen Kassen; auch ein Direktor zahlt bedeutend mehr an Sozialversicherungsbeiträgen als ein kleiner Angestellter.

Als Berechnungsgrundlage für die Bauernversicherung konnte naturgemäß nur der Einheitswert herangezogen werden. Da der Großteil der Bauern nicht buchführungspflichtig ist, kann man das Realeinkommen ja nicht überprüfen. Im letzten Augenblick ist es den Bauernvertretern bei

den Verhandlungen noch gelungen, den monatlichen Mindestbeitrag von 60 auf 50 Schilling herabzusetzen. Der Höchstbeitrag (bei über “~“>.000 Schilling Einheitswert) beträgt demgegenüber 180 Schilling. Ein sehr großer Teil der Bauern wird im Monat nicht mehr als 100 Schilling (bis zu einem Einheitswert von 75.000 S) zahlen. Gattin und Kinder sind bei diesen Beiträgen mitversichert. Für jedes in der elterlichen Wirtschaft mitarbeitende Kind ist ab dem 18. Lebensjahr ein zusätzlicher Betrag von 25 Schilling pro Monat zu leisten. Den Zuschußrentnern werden lediglich sieben Schilling von ihrer Monatsrente abgezogen. Bei den Pächtern wird der Einheitswert als Berechnungsgrundlage um ein Drittel vermindert.

Als „zweiter Partner“ für die Beitragsleistung der Bauern Versicherung fungiert bekanntlich Vater Staat. Das nicht unberechtigte Argument der Bauern: die Unternehmer können ihre Beitragsleistungen zur Sozialversicherung der Arbeitnehmer auf die Preise überwälzen. Die Bauern müssen dagegen aus staatspolitischen Gründen mit geregelten Preisen für ihre Produkte vorliebnehmen. Die Entschädigung für die Bauern erfolgt also auf dem Wege einer „zweiten Einkommensverteilung“.

„Grüner Zentralismus?“

Der hierarchische Aufbau der Bauernkasse mit einem zentralen Institut in Wien und neun Landeskassen wurde von manchen bereits als „grüner Zentralismus“ apostrophiert. Wäre es besser gewesen, völlig autonome Landeskassen zu schaffen? Die Bauernführer sprechen von einer gesunden Mischung zwischen Zentralismus und Föderalismus, wobei der Grundsatz einer möglichst billigen Verwaltung verwirklicht worden sei. Die Landeskassen wur-

den mit einem umfangreichen Verwaltungskatalog ausgestattet und sie haben in all jenen Belangen, die die Versicherten direkt betreffen, die Zuständigkeit.

Die Kompetenz der Zentrale erstreckt sich dagegen auf Agenden, die im Interesse der Solidarität der gesamten Bauernschaft wie auch im Interesse einer rationellen Verwaltungwahrgenommen werden müssen. Hierher gehört die Verabschiedung einer einheitlichen Satzung, die Verteilung des Bundeszuschusses, der Abschluß von Verträgen mit den Ärzten und Spitälern. Durch die Zentrale soll die Einheit und Stärke der Bauern zum Ausdruck kommen — auch im Hinblick auf die Verhandlungen mit den Versicherungspartnern.

Daß die Wiener Zentrale die Anliegen der Landeskassen respektiert, dafür — so erklären die Bauernvertreter — bürgt die Zusammensetzung der höchsten Gremien, des Vorstandes und der Hauptversammlung. (Dem Vorstand gehören alle neun Landesobmänner an.) Von einem

„grünen Zentralismus“ könne dahef nicht die Rede sein.

Die heißen Eisen

Am 8. April bereits haben die Ärztekammer und die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern in einem gemeinsamen Kommunique der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß in den Fragen der Bauernversicherung in allen wesentlichen Punkten Einigung erzielt worden sei. Seitdem sind bereits wieder einige heftige Sommergewitter niedergegangen. Einige sehr wichtige Dinge, die Frage der Ambulatorien und der Honorierung, waren im Proksch-Entwurf nicht nach den Wünschen der Ärzte formuliert worden. (Die Bauern erklärten allerdings, daß sie ihr Versprechen, keine eigenen Ambulatorien errichten zu wollen, halten werden.)

Das heißeste Eisen, daß es bei den Kassenverträgen zwischen Ärzten und Bauernversicherung zu schmieden gilt, ist ohne Zweifel der Modus der Honorierung. Aller Voraussicht nach wird man im Endresultat — da nichts so heiß gegessen wie gekocht wird — zwei verschiedene Arten der Honorierung festlegen:

• reines Sachleistungssystem für die kleinen und mittleren Bauern (also Behandlung auf Krankenschein wie bei den ASVG-Kassen),

• und Kostenrückerstattungsprinzip für die großen Bauern (der Bauer bezahlt in bar und erhält einen bestimmten Teil der Kosten von der Kasse refundiert).

Die Vertreter der Bauernversicherung sind natürlich dafür, daß womöglich alle Bauern auf Krankenschein behandelt werden sollen; die Ärzte wiederum werden versuchen, den Prozentsatz recht niedrig zu halten. Bei der Festlegung der entsprechenden „Demarkationslinie“, des bestimmten Einheitssatzes, werden wohl noch einige Sträuße ausge-fochten werden.

Zuwenig Landärzte

Es ist noch gar nicht so lange her, seit die Ärztekammer den Maturanten vom Ärzteberuf abgeraten hat. Offensichtlich hat man gefürchtet, daß „zu viele“ Studenten das Medizinstudium ergreifen. Heute mangelt es in vielen Spitälern an Ärzten — die Bundeshauptstadt ausgenommen —, gar nicht zu reden von den unbesetzten Ärztestellen auf dem Lande. Das Leben eines Landarztes ist naturgemäß anstrengender und entbehrungsreicher als das seines Kollegen in der Stadt.

Noch schwieriger wird die Situation auf dem Sektor der Zahnbehandlung werden — angeblich wird in Kürze die Ausbildung der Denti-

sten in der gegenwärtigen Form nicht mehr zugelassen. Woher soll man dann die nötigen Zahnärzte nehmen?

Die bäuerliche Pflichtversicherung wird — so hoffen wir — zu einem höheren Status der Volksgesundheit beitragen. Nicht zuletzt deshalb, weil für viele erst eine Krankenkasse die bessere gesundheitliche Betreuung und Überwachung erschwinglich macht. Ein Mehr an Leistung und Arbeit im Dienste der Volksgesundheit erfordert natürlich auch ein Mehr an Ärzten und Pflegepersonal. Es liegt an der Gesellschaft, diese Berufe zu fördern und noch attraktiver zu machen.

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