Würfel - © Foto: Pixabay

Neue Regeln für Fair Play!

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Plädoyer für eine verantwortete Marktwirtschaft als ordnungspolitischen Kompass in der Globalisierung.

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Plädoyer für eine verantwortete Marktwirtschaft als ordnungspolitischen Kompass in der Globalisierung.

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Verfassungskrise, stockende Erweiterung, Globalisierungsangst: die ordnungspolitische Trittfestigkeit Europas auf seinem Weg zwischen Vertiefung und Erweiterung scheint verloren. Unsicherheit beherrscht Politik, Medien und Wirtschaftseliten, bei den Bürgern machen sich vielfach Vertrauensverlust und europapolitische Ernüchterung breit.

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In der Rückschau beeindruckt im glänzenden Kontrast zu diesem aktuellen Befund der konzeptive Weitblick der Gründer des modernen Europa. Ihre visionären Konzepte der politischen Einigung und des Binnenmarktes mit gemeinsamer Währung haben sich bis hin zur erfolgreichen "Binnen-Globalisierung", also der Integration der neuen Mitgliedsstaaten des ehemaligen Ostblocks, als tragfähig erwiesen.

Auch auf internationaler (globaler) Ebene wurde noch in unsicheren Kriegszeiten großzügig konzeptiv gedacht und gehandelt: Die in Bretton Woods 1944 beschlossenen institutionellen Innovationen (unter anderem Weltwährungsfonds und Weltbank) sicherten den Wiederaufbau und die Entwicklung einer demokratisch-marktwirtschaftlichen Weltordnung über Jahrzehnte hinweg ab.

Im Gegensatz dazu führt das Fehlen einer Orientierung an größeren Zielen heute zu erkennbarer Unsicherheit nicht nur über die nächsten Schritte auf dem europäischen Weg, sondern auch über die künftige Ausprägung unseres Wirtschaftssystems.

Eine Ursache der ordnungspolitischen Verunsicherung mag in einer gewissen Überforderung der hochentwickelten Marktwirtschaften mit den stark beschleunigten und verdichteten Anpassungsprozessen in der Globalisierung sein.

Asiatische Herausforderung

Schon die Vollendung des Binnenmarktes, verbunden mit der neuen innereuropäischen Arbeitsteilung und deren Erweiterung auf die Beitrittsländer der nächsten Runde, stellt eine beachtliche Herausforderung dar. Dazu kommt, dass sich seit wenigen Jahren auch in Asien zahlreiche ehemals planwirtschaftliche Länder der Unternehmerwirtschaft geöffnet haben. Der Eintritt dieser neuen Marktwirtschaften in den globalen Wettbewerb vollzieht sich dabei nicht selten unter paradoxen, von niemandem für möglich gehaltenen Umständen: so etwa in China, wo das Zentralkomitee der kommunistischen Partei in einer ganz eigenen Art von "aufgeklärtem Absolutismus" eine frühkapitalistische Unternehmerwirtschaft forciert.

Parallel dazu wird eine völlig neue internationale Arbeitsteilung wirksam, kürzlich erst aktualisiert durch den Entfall der Zölle auf chinesische Textil-Produkte und die massiven Folgen für die Arbeitsplätze in den bisher vor der Konkurrenz der Billigstanbieter geschützten Unternehmen. Längst wird die Neubildung fast aller Wertschöpfungsketten im Güter-Sektor durch eine technologische Revolution in der Informations- und Kommunikationstechnologie begleitet, die auch in der Software-Industrie und bei immateriellen Dienstleistungen aller Art zu einer Verlagerung von Beschäftigungschancen in die neuen Marktwirtschaften führt. "Outsourcing" ist damit zum brennenden Thema aller Arbeitsmärkte der etablierten Marktwirtschaften geworden.

Jede einzelne dieser Entwicklungen ist in sich nachvollziehbar und so wie viele vorangegangene Veränderungen in den politischen und technologischen Rahmenbedingungen auch bewältigbar. Ziemlich einzigartig ist allerdings die Gleichzeitigkeit und Überlagerung der verschiedenen Ebenen des Globalisierungsprozesses. Sie führt zum berechtigten Wunsch nach Entschleunigung und einer besseren Übersichtlichkeit der so rasant verlaufenden Veränderungsprozesse.

Europäischer Weg

Dabei geht es um nichts mehr, als mit der gleichen ordnungspolitischen Klarheit, mit der das seinerzeit die Gründer der Sozialen Marktwirtschaft und des Europäischen Modells getan haben, nun auch auf der Ebene der Globalökonomie eine verantwortete Marktwirtschaft zu schaffen. Verantwortete Marktwirtschaft heißt: eine Marktwirtschaft in ein System von Rahmenbedingungen zu stellen, welche die gleichrangige Berücksichtigung sozialer und ökologischer Ziele gewährleisten.

Die konzeptive Vorarbeit zum europäischen Weg war - und das wird oft verdrängt - von Vordenkern geprägt, die ganz ausdrücklich eine Alternative nicht nur zu faschistischer Wirtschaftslenkung und Planwirtschaft, sondern auch zum gescheiterten Laissez-faire-Kapitalismus der Dreißigerjahre suchten. Aus liberalen, christlich-sozialen und sozialdemokratischen Grundlagen bauten sie bewusst eine wertorientierte Wirtschaftsordnung "jenseits von Angebot und Nachfrage" (Wilhelm Röpke). Wir sollten uns von einem solchen Ansatz aus auch heute wieder wichtigen Systemfragen stellen - und zwar auch dann, wenn sie nicht sofort rezepthaft beantwortbar sind, sondern einen längeren konzeptiven Atem brauchen.

So fällt etwa auf, dass wir aus nachvollziehbaren Gründen bei der europäischen Integration viel Wert auf gemeinsame Spielregeln legen, während wir uns dort, wo es um die globale Konkurrenz geht, damit abzufinden scheinen, dass wir mit Mitbewerbern zu konkurrieren haben, die oft keine oder nur rudimentäre demokratiepolitische, soziale und ökologische Standards kennen.

Ein totaler Wettbewerb der hoch entwickelten Marktwirtschaften mit Ländern, die solche Standards nicht akzeptieren und zugleich über unerschöpfliche Reservearmeen von Menschen verfügen, die zu marginalen Bedingungen arbeitsbereit sind, kann auf Dauer nicht gut gehen. Hier muss es möglich sein, innezuhalten und über die Schaffung eines europäischen Kataloges an Minimalstandards nachzudenken, den wir - etwa im Rahmen der Spielregeln der Welthandelsorganisation wto - von internationalen Handelspartnern erwarten. Ähnliches gilt für ökologische Standards, wenn es um die Energiezukunft oder um die Transportkosten-Wahrheit geht - bitter genug, dass wir es hier bis heute nicht schaffen, innereuropäisch wenigstens die Frage der Kerosin-Besteuerung zu klären.

Ein weiterer Fokus muss Sonderfragen der internationalen Finanzmärkte gelten: nicht alles, was die Markt-Orthodoxie fordert, muss hier eins zu eins übernommen werden. Längst überfällig ist eine strengere Regulierung jener institutionellen Investoren, die außerhalb jeder Finanzmarktkontrolle von Steuerinseln aus über Unsummen disponieren, während die Banken und ihre Unternehmenskunden im klassischen Kreditgeschäft unter Überregulierung leiden (Basel ii). Und durchaus sinnvoll ist die Klärung der Voraussetzungen für die Schaffung einer internationalen Kapitalverkehrssteuer.

Es ist nicht zielführend, derartige Themen - wie das häufig geschieht - reflexartig mit dem Argument zu ersticken, dass allein schon ihre Erwähnung Investoren vertreiben könnte. Gute Unternehmen und Manager sind diesbezüglich wesentlich robuster als es oft den Anschein hat. Auch gestehen sie bei näherer Nachfrage bereitwillig zu, keine Standortpolitik zu wollen, die nur mit dem Blick auf ihre kurzfristige Erfolgsrechnung gemacht würde. Zum Wirtschaftsstil der verantworteten Marktwirtschaft gehört eben auch, nicht jedem das Wort abzuschneiden, der mit außerökonomischen, gar übergeordneten Zielen argumentiert.

Ökosoziale Wert-Schöpfung

Je größer das Spielfeld der Global-Ökonomie wird, desto entscheidender werden die Fragen nach neuen Spiel-Regeln vor dem Hintergrund unterschiedlicher Wirtschaftsstile. Die simple Dichotomie zwischen dem sozial-marktwirtschaftlichen und dem marktliberalen anglo-amerikanischen Modell beschreibt das ordnungspolitische Problem nur äußerst unvollständig.

Es geht vielmehr um zeitgemäße Entwürfe einer "verantworteten Marktwirtschaft" auf dem Boden der besten ordnungspolitischen Traditionen Europas. Marktdynamik und unternehmerische Freiheit nach Spielregeln, die auch zu sozialer und ökologischer Wert-Schöpfung führen: darum müssen wir auch in der globalen Wirtschaftsordnung ringen, wenn wir vermeiden wollen, dass unser in Summe höchst erfolgreiches Wirtschaftssystem unter zunehmenden Legitimationsdruck kommt.

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Investkredit Bank AG und Mitherausgeber der FURCHE.

Hödl - © Foto: Metropolis Verlag
© Foto: Metropolis Verlag
Buch

Europäische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung

Hrsg. von Erich Hödl (mit Beiträgen von Justin Stagl,
Wilfried Stadler, Ewald Nowotny, Ursula Schneider,
Manfred Prisching u. a.).
Metropolis Verlag, Marburg 2005.
204 Seiten, brosch., e 23,50

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