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Neurotischer Casino-Kapitalismus

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Globalisierung bedeutet zunächst nichts anderes, als daß uns heute die Tatsache stärker bewußt wird, daß das Ausmaß der wirtschaftlichen Verflechtungen weltweit massiv geworden ist. Im Grande hat das auch zahlreiche Vorteile. Aber Vorteile für wen? W?em nützt die Globalisierung? Wras vielen Menschen Angst macht, ist das Gefühl, daß in der Wirtschaft ein schleichender Paradigmenwechsel stattfindet. Sie beginnt sich primär für die Vermehrung des Geldkapitals zu interessieren, dabei könnten die Menschen auf der Strecke bleiben.

Für den an der Universität St.Gal-len lehrenden Volkswirtschaftler Mathias Binswanger sind die seit zehn Jahren explodierenden Finanzmärkte das Herzstück der Globalisierung. Daß der Umsatz auf den Devisenmärkten heute das Fünfzigfache dessen beträgt., was der Welthandel global umsetzt, das hat nichts mehr mit real-wirtschaftlichen Vorgängen zu tun. Im Prinzip reicht der Internet-Anschluß, um einen globalen Geldfluß in Bewegung zu setzen, sagt Binswanger. W7er meint, sein Geld sei in Österreich nicht mehr gut angelegt, loggt sich in sein Bank-Konto ein, spekuliert mit Devisen oder investiert kurzfristig in bolivianische Bergbau-Aktien. Wenn dort die Gewinne niedriger werden, werden lukrativere Geld-Parkplätze gesucht, So werden täglich enorme globale Finanzströme in Bewegung gesetzt. Nicht nur Klein- und Mittelanlegern beteiligen sich an diesem „Casino-Kapitalismus”, sondern auch die sogenannten „global player”. Mathias Binswanger sieht von den „speculative bubbles”, der spekulativen Geldblase, die nicht mehr der Bealwirtschaft dient, große Gefahren ausgehen.

Welch ruinöse Folgen sie für einzelne Volkswirtschaften haben können, läßt sich an der sogenannten „Mexiko-Krise” im Jahr 1993/94 zeigen: Zu Beginn der neunziger Jahre sah es so aus, als ob sich die mexikanische Wirtschaft positiv entwickeln würde. Sehr viel in- und ausländisches Kapital floß nach Mexiko. Aber es wurde nicht direkt in die Wirtschaft investiert, sondern in Aktien und Wertpapiere. Gerüchte und innenpolitische Probleme sorgten plötzlich für einen Stimmungsumschwung an der Börse. Zahlreiche Investoren zogen ihr Kapital wieder aus Mexiko ab. Die Folge war, daß der Peso zwei Drittel seines W7ertes verlor und sich die wirtschaftliche Lage massiv verschlechterte. Tausende Mexikaner landeten in Arbeitslosigkeit und Verelendung. Ausgelöst wurde diese Krise dadurch, daß globale Finanzmärkte hypernervös auf Stimmungsschwankungen, politische und wirtschaftliche Gerüchte reagieren.

Ein anderes Beispiel irrationaler Unternehmensentscheidungen schildert der deutsche Wirtschaftsjournalist W7olfgang Kessler: Eine deutsche Wohnmobil-Firma kündigt an, ihr Werk in Deutschland auszubauen. Doch zu dieser Zeit verfällt die italienische Lira um zehn Prozent ihres Werts. Die Manager verwerfen die Ausbau plane wieder. W7as war geschehen? Ein lukrativeres Angebot hat den Zuschlag bekommen. Eine kapitalschwaches italienisches Werk kann wegen der Währungsschwankung billiger zugekauft werden. 300 deutsche Firmenangehörige verlieren ihre Arbeit.

Für W'olfgang Kessler ist das ein Beispiel menschenfremder Wirtschaft. Es wird nicht, mehr produziert, um W7aren- und Dienstleistungen herzustellen und Arbeit zu schaffen, sondern man schaut darauf, was sich auf den internationalen Finanzmärkten tut und orientiert danach das wirtschaftliche 1 landein. In einer völlig deregulierten Wirtschaftszukunft könnte das kein Einzelfall mehr bleiben.

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