Nicht ohne Ali am Eck

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Die Bedeutung ethnischer Ökonomien für Nahversorgung und Integration. Ein Appell von Sirvan Ekici und Ines Koch.

Ich kaufe meine Gemüse immer beim Türken am Brunnenmarkt, da ist es am frischesten", hört man die Kunden sagen. Und: "Meine Pizza esse ich beim Ägypter in der Fasangasse und meine Schuhe lasse ich vom Russen in Wien Mitte reparieren." Auch die Möglichkeit, sonntags einzukaufen, wird geschätzt: "Ich möchte nicht mehr darauf verzichten, sonntags frische Fladen am Naschmarkt kaufen zu können." - Die Milchfrau, die um sechs Uhr in der Früh das Geschäft öffnete und um Punkt 18 Uhr wieder schloss, gibt es schon lange nicht mehr. Dafür gibt es Ali, Dimitri oder Hassan, die unermüdlich und meistens freundlich die Kunden mit Fladen, saftigem Obst und frischem Gemüse versorgen.

Wichtige Nahversorger

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in Österreich immer mehr ethnische Ökonomien etabliert: Unternehmer mit Migrationshintergrund. Ethnische Unternehmen halfen, die Lebensqualität vieler europäischer Städte zu verbessern. Die Krise der europäischen Kleinunternehmer in den 1950er und 1960er Jahren fand damit ein Ende, bedrohte Wirtschaftssektoren konnten wiederbelebt werden. Vor allem in den letzten Jahren haben ausländische Gewerbebetriebe eine bedeutende Rolle in der Nahversorgung der Bevölkerung in der Umgebung übernommen und nicht nur das bestehende Warenangebot erweitert, sondern auch das Wohnviertel stabilisiert und aufgewertet. Darüber hinaus tragen sie zur Bereicherung der Grätzelkultur bei.

Es entwickelten sich neue Branchen, die der "Nischenökonomie" zuzurechnen sind und die Bedürfnisse einer schon seit Jahrzehnten hier lebenden Kundschaft befriedigen: von Buchhandlungen, Druckereien und Verlagen, Radio-und TV-Sendern, Videotheken, türkischen Großdiskotheken und Brautmodenläden über Lebensmittel-Großhändler, Fladenbrot-Bäckereien, Dönerproduzenten, Fleischgroßhändler, Imbissgerätehersteller, Gaststättenbedarf, Juweliere, Bauträger und Bauhandwerksbetriebe bis hin zu Architekten, Immobilienmaklern und Versicherungsvertretern. Ein wichtiger Teilbereich dieser neuen Nischen sind Dienstleistungsbetriebe. Zu nennen sind: Werbeagenturen, Druckereien, Hochzeitssaal-Vermieter, Fotografen, Banken, Gastronomie-Abfallentsorger, Kosmetik-Institute, Friseure und Automatenaufsteller bis hin zur Unternehmensberatung. Ihre Mehrsprachigkeit und ihre Sozialisation in zwei Kulturen ermöglicht ihnen das Eingehen auf Landsleute und Österreicher und damit einen größeren Kundenkreis.

Bedeutung der Familie

Die Aktivität der Zuwanderer gründet auf weitgehend intakten Familienstrukturen. Familien-netzwerke sind für ethnische Ökonomien eine zentrale Voraussetzung für Gründung und Unternehmensführung. Sie sichern nicht nur das notwendige Startkapital, sonder garantieren auch familiäre Unterstützung im Betrieb. Selbstständige mit Migrationshintergrund zeigen überdurchschnittlich Mut und Entscheidungsfreudigkeit.

Die zunehmende Verselbstständigung von Migranten ist aber nicht immer ganz freiwillig: Migranten sind weitaus häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Einheimischen, was grundsätzlich ein strukturelles Problem ist und bedingt auch ein Diskriminierungsproblem. Neben der hohen Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit haben sie gleichzeitig weniger Möglichkeiten, eine neue geeignete Arbeit zu bekommen. So bleibt zwangsläufig vielen nur die Gründung eines eigenen Betriebs als Ausweg.

Spezielle Probleme

Der Weg in die und in der Selbstständigkeit ist mit harten Steinen gepflastert. Das sind einerseits die allgemeinen Probleme der Klein-und Mittelbetriebe (KMU), die zu neunzig Prozent die österreichische Wirtschaft ausmachen. Es ist nicht immer leicht, in der Welt der Globalisierung Bestand zu haben. Hier wirken sich auf der einen Seite die steigenden Kosten und auf der anderen Seite der erhöhte Wettbewerb durch die Grenzöffnungen aus. Die Kosten treffen jeden Klein-und Mittelbetrieb an jedem 15. und Monatsletzten. Unternehmer mit Migrationshintergrund zeigen vor, wie wichtig es heute ist, dass der Chef oder die Chefin wieder selbst im Unternehmen tätig ist. Wenn er/sie sich Überstunden und Personalkosten sparen möchten, geht es gar nicht mehr anders.

Große Konzerne können sich besser helfen als ein Tischlereiunternehmen in Simmering oder ein türkischer Bäcker in Ottakring. Einem Konzern ermöglicht die Vergabe von Aufträgen im Ausland, die Kosten und Umsätze anders zu verbuchen. Einem Kleinunternehmer ist es hingegen oft nicht möglich, Aufträge im Ausland aufzunehmen, weil dies disproportional zu Arbeits-und Personalaufwand steht. Firmen einer gewissen Größe melden ihre Unternehmen überhaupt gleich in den Nachbarländern an, wo Personalkosten, arbeitsrechtliche Standards und öffentliche Abgaben geringer sind.

Andererseits gibt es zusätzlich noch ganz spezifische Schwierigkeiten von Unternehmern mit Migrationshintergrund: Mangel an kaufmännischen Kenntnissen, keine ausreichende Marktanalyse und zu wenig Eigenkapital. Dazu kommen weiters schlechtere Startbedingungen in Bezug auf Bildungs-und Sprachbarrieren sowie rechtliche Hürden. Besonders erschwerend kommt jedoch hinzu, dass Migranten die Beratungs-und Fördermöglichkeiten meist nicht gut genug kennen, von Banken und Behörden nicht immer ernst genommen werden und auch sprachliche Probleme haben, ihr Konzept schlüssig zu präsentieren. Zur langfristigen Sicherung des Unternehmenserfolges ist professionelle Beratung und Hilfestellung nötig.

Der Stellenwert ethnischer Ökonomien bei der Integration von Migranten und für die Aufwertung der Stadt und ihrer Bezirke kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Durch interkulturelles Engagement und integrierte Förderung kann viel dazu beigetragen werden, Hemmnisse und Gründungsschwierigkeiten abzubauen. Die Stadt Wien ist gefordert, dieses Integrationspotenzial endlich zu erkennen und statt schöner Worte praktische Schritte der Förderung und Hilfestellung zu setzen.

Die Autorinnen sind Wiener Gemeinderätinnen und Mitbegründerinnen der sozialliberalen "Initiative Christdemokratie" (icd).

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