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Niemand zieht in den Keller

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Alarm: Die Lage des Tourismus in Kärnten müßte zur Chefsache werden. Die starke Konzentration auf den deutschen Gast zeitigte böse Folgen.

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Alarm: Die Lage des Tourismus in Kärnten müßte zur Chefsache werden. Die starke Konzentration auf den deutschen Gast zeitigte böse Folgen.

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Ausgerechnet ein Tiroler mußte kommen, um den Kärntner Touristikern an ihrem „Tag der Kärntner Tourismuswirtschaft” gehörig die Leviten zu lesen. „Kärnten ist ein fortgeschrittener Sanierangsfall”, schmetterte der Tiroler Tourismusberater Jakob Edinger ins Publikum. Das saß und alle duckten sich. Nur einer stand schon vorher auf und ging -Landeshauptmann Zernatto. Eine Situation, die bezeichnend ist für den Kärntner Tourismus. Den Kärntner Politikern, so scheint es, ist dieser neuerdings problembehaftete Wirtschaftszweig eher lästig. Neun Landesräte verschiedener Parteien reichten sich seit Mitte der achtziger Jahre das Fremdenverkehrsreferat weiter. In den letzten zwei Jahren waren es gleich drei. Dieser ständige Wechsel sorgte nicht gerade für Kontinuität. Keinesfalls ist der Tourismus aber das gemeinsame Anliegen, die „Chefsache”, die Edinger für eine bessere Zukunft als so wichtig erachtet.

Die Zeichen in dem einst so renommierten Tourismusland stehen auf Sturm. Vorbei die Zeiten, als die Wirtsfamilie am Wörthersee in die Kellerwohnung zog, um den Schlange stehenden Fremden das Wohnzimmer anzubieten. Vorbei die Zeiten, als ein Hotelier von vier Monaten Saison bequem das ganze Jahr über leben und sogar noch investieren konnte. Vorbei auch die Zeit, als der Wörthersee das Ziel noblen Geldadels war. Jetzt sind die vernachlässigten Unterkünfte unverkäuflich, die Auslastungstage im Sommer auf knapp 60 geschrumpft und auf den Promenaden diverser Seen futtern Gäste Pommes aus Papiertüten. „90 Prozent der Hotels”, so vermerkte ein Kärntner Konkursrichter, „gehören den Banken”.

Kärnten hat in den letzten zehn Jahren 25 Prozent der Nächtigungen verloren. Vier Millionen Nächtigungen bedeuten vier Milliarden Schilling weniger in den Kassen der Betriebe. Das tut weh. Im Jahr 1994 ist Kärnten bei 12,842.000 Nächtigungen angelangt. Für das einst von Touristen so verwöhnte Bundesland ein Grund, den Notstand auszurufen. Denn obwohl der Tourismus nur einen Anteil von sechs Prozent am Bruttoinlandsprodukt hat - die von der öffentlichen Meinung kraß unterbewertete Industrie hat zum Vergleich einen Anteil von 21 Prozent -gibt es in vielen Gegenden Kärntens keine Alternative. Nirgendwo federn andere florierende Wirtschaftszweige den Bückgang im Tourismus ab. „Der Tourismus in dem Land muß viel ernster genommen werden, als es bisher der Fall ist”, denn, so warnte Edinger eindringlich, „es kann noch viel dicker kommen.”

Nächtigungen haben im letzten Jahr auch andere renommierte Bundesländer verloren. Tirol, Salzburg, Vorarlberg zum Beispiel. In Kärnten sitzt jedoch die Krise tiefer. Und dafür sind eine Reihe von Gründen ausschlaggebend. „Externe” und

viele „hausgemachte”. In den „fetten” Jahren sind Erneuerungsinvestitionen ausgeblieben und jetzt, wo ein Strukturwandel bitter nötig wäre, sind die Kassen leer. Fehlende Verkehrslösungen in den Tourismusorten, ungehemmte Zersiedlung, Überkapazitäten im Billigbereich, Einsaisonenlastigkeit, zu wenig Professionalität und zu wenig Kontinuität bei den Verantwortlichen haben den Dampfer zum Schlingern gebracht.

Ein weiterer Grund, warum Kärnten in Summe ungleich mehr Nächtigungen verloren hat, als andere „erdgebundene” Länder, liegt in der Treue zum deutschen Gast. Die fast 80prozentige Ausrichtung auf unsere nördlichen Nachbarn hat sich in Zei-

ten der Hochkonjunktur gelohnt, jetzt bröckelt eine Gästeschichte, die bisher nicht nur leicht zu holen, sondern auch leicht zu „behandeln” war. Man sprach deutsch, war zufrieden mit Familienanschluß, stellte keine großen Ansprüche und konnte mit dem Auto anreisen. Doch wie die „Alten sungen, so pfeifen keinesfalls die Jungen”, zumindest was die Urlaubsentscheidung betrifft.

„Kärnten”, so flapste kürzlich eine zwanzigjährige „Berliner Schnauze” in einer Kneipe, „da kann ich in dreißig Jahren auch noch hinfahren, jetzt will ich was erleben.” Die Flugpreise haben es möglich gemacht. „Sonne, Baden, Strand und Meer”, das schwebt dem Durchschnittsdeutschen in seinen Urlaubsträumen vor. Davon hat Kärnten zu wenig und vor allem nicht zu den „Traumpreisen”, wie es Italien und Spanien derzeit zu bieten vermag. Die Tourismusbranche als Opfer der im Grunde „gescheiten” Hartwährungspolitik. Vor allem aber rächt sich Kärntens Abhängigkeit von einem einzigen, krisenanfälligen Markt. Andere werden kaum bearbeitet. Der Wifo-experte Smeral machte es deutlich: „Kärnten konzentriert sich zu sehr auf langsam wachsende Märkte und vernachlässigt die schnell wachsenden. Ein Prozent Minus Wirtschaftswachstum in Deutschland, bedeutet zwei Prozent Nächtigungsminus.” Smeral riet, den Anteil der deutschen Gäste, zugunsten anderssprachiger zu senken. Das hörte man in Kärnten gar nicht gerne und bezich-

tige Smeral, die (gar nicht mehr so) treuen deutschen Gäste vergraulen zu wollen.

Pech für Kärnten, aber die Mega-trends im deutschen Urlauberverhalten gehen geradewegs an dem südlichen Bundesland, das laut ÖHV-Prä-sident Helmut Peter „überhaupt das schönste in Osterreich ist”, vorbei. Zum Beispiel bucht „Kalle” seinen Urlaub neuerdings über das Beise-büro. Das sei billiger und bequemer, sagen die Marktforscher. Deutsche Reiseveranstalter gehören zu den Hauptgewinnern und konnten ihren Anteil bereits auf 38 Prozent ausbauen. Kärnten bucht man nicht über das Reisebüro. Zum einen, weil ein Angebot in keinem Katalog zu finden ist und zum anderen, weil man es mit dem Auto leichter erreicht, als mit dem Flugzeug. Nur sechs Prozent der Hotels haben Verträge mit Reisebüros. Marktübliche Kommissionen von bis zu 25 Prozent schrecken ab und die Bereitschaft, Kontingente in der ohnehin ausgelasteten Hauptsaison herzugeben, ist gering. „Der Verkauf muß professioneller werden. Es fehlt aas Inco-ming”, sagen die Kritiker. Noch weiß in Kärnten niemand, wer den Verkauf in die Hand nehmen soll. Die Kärntner Tourismusgesellschaft (KTG), die Regionen, die Gemeinden, die Betriebe?

Suche nach Prügelknaben

„Die liebenswerte Kärntner Seele neigt zur Verdrängung und zu Fatalismus”, konstatiert Helmut Peter und so sucht man sich derzeit bequeme Prügelknaben, auf die man losdreschen kann, um von den wirklichen Problemen abzulenken. Kärnten ist wahrscheinlich das einzige Tourismusland, das, statt eine kritische Saison professionell vorzubereiten, sich in peinlichen Streitigkeiten ergeht.

Tourismusreferent Karl Heinz Grasser interessiert zur Zeit brennend, wie zufrieden die Hoteliers mit der Kärntner Tourismusgesellschaft sind. In einer handgestrickten Umfrage dürfen sie drei Möglichkeiten ankreuzen, „sehr zufrieden”, „weniger zufrieden”, „gar nicht zufrieden”. Prompt wurde eine „veri-table” Diskussion über die Effizienz der Kärntner Werbeorganisation vom Zaun gebrochen. „Der Tourismus nach dem Jahr 2000 werde nach erfolgter Sanierung anders aussehen als bisher: kleiner, reduzierter, zielgruppenorientierter und viel professioneller”, sagte • Edinger. Der Weg dorthin wird steinig sein.

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