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Nur ein Feigenblatt?

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Exklusiv-Vorabdruck aus dem Magazin „Südwind“: Was tut das neue Parlament gegen die Auszehrung der österreichischen Entwicklungspolitik?

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Exklusiv-Vorabdruck aus dem Magazin „Südwind“: Was tut das neue Parlament gegen die Auszehrung der österreichischen Entwicklungspolitik?

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Die „entwicklungspolitische Erklärung“ läßt wenige Wünsche offen. „Der Norden“, forderten vor den jüngsten Nationalratswahlen 150 SPÖ-Kandidatlnnen auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft „SPÖ und Dritte Welt , „muß eine grundlegende Veränderung von Produktion und Konsum vornehmen“. Und: „Im Süden müssen Prozesse der Partizipation, der Landreform und der eigenen kulturellen Werte unterstützt werden.“

Dazu verlangten die 150 Kandidatinnen von der Regierung „die Beachtung der Nord-Süd-Beziehun- gen in allen politischen Bereichen“, vor allem aber „eine stärkere Bündelung der Kompetenzen, die heute auf zu viele Ministerien verteilt sind“. Eine Position, die auch Heribert Steinbauer, ÖVP-Experte für Entwicklungspolitik, gut nachvollziehen kann.

Er forderte im Gespräch mit dem SÜDWIND „ein möglichst starkes Regierungsmitglied“, das in Zukunft für Entwicklungspolitik zuständig sein soll. Zugleich betonte er die Bedeutung qualifizierter Ressortbeamter: „Auch in der nächsten Ebene sind gute Leut1 ganz wichtig, weil die Entwicklungspolitik im Moment überhaupt an Auszehrung leidet.“

Freilich äußerte Steinbauer nur seine „persönliche Meinung“. Weil er bei den Wahlen im Oktober sein Nationalratsmandat verlor, kann er nicht mehr, wie bisher, entwicklungspolitischer Sprecher des ÖVP- Parlamentsklubs sein. Damit gibt es im Parlament einen Kritiker der offiziellen Entwicklungspolitik weniger. Bei der SPÖ wiederum sitzen jetzt zwar, rund 15 jener 150 Kan- ditalnnen, die die „entwicklungspolitische Erklärung“ unterschrieben, im Nationalrat. Aber Günter Dietrich, bisher de facto Klubsprecher für das heikle Thema, schied aus dem Parlament aus. Ebenso die einschlägig engagierte Waltraud Schütz. Also ist fraglich, ob im SPÖ- Klub die Erklärung der 150 auch wirklich vertreten wird.

Welche Positionen gibt es künftig in den Parlamentsparteien in der Entwicklungspolitik? Vorläufiges Ergebnis: Die ÖVP dürfte sich derzeit darauf beschränken, der SPÖ in den Regierungsverhandlungen wieder die Kompetenz für Entwicklungspolitik abzunehmen. Christian Kem, Sprecher des neuen SPÖ-Klubchefs Peter Kostelka, erklärte hingegen: Man wolle sich in Frage des „Internationalismus und der Entwicklungszusammenarbeit“ in Zukunft stärker „eigenständiges Profil“ geben. Wie scharf dieses Profil in der Praxis werden soll, steht aber nicht fest. Kern: Bei der Überlegung, wer in seinem Klub Sprecher oder Sprecherin für „Nord-Süd“ wird, spiele auch mit, welche Partei in der Regierung das zuständige Ressort leiten wird.

Und natürlich, so Kern, müsse sich der SPÖ-Klub „mehr überlegen“, sollte in der Regierung die ÖVP für Entwicklungspolitik zuständig sein.

Ako ist zunächst nur beim Parlamentsklub der Grünen unter. Garantie damit zu rechnen, daß jeder einzelne Schritt in der Entwicklungspolitik der Regierang hinterfragt wird. Das jedenfalls glaubt Doris Pollet- Kammerlander, neue Bereichssprecherin der Grünen. Sie geht davon aus, daß die Probleme des Südens eigentlich im Norden gemacht werden. Und fragt: „Wer sonst von den anderen Parteien wird in den nächsten Jahren das Engagement aufbringen, das aufzuzeigen?“

Genaugenommen, so Pollet-Kam merlander, wäre schon jeder internationale Handelsvertrag danach zu hinterfragen, ob er dem Süden nutzt. Zum Beispiel sei dem Süden im GATT diktiert worden, Importbeschränkungen aufzuheben. Das habe den sogenannten Entwicklungsländern mehr geschadet, als sogenannte Entwicklungshilfe wiedergutmachen könne. „Dieser Kreislauf muß durchbrochen werden“, meint die Abgeordnete. Sonst wäre alles andere „nur ein Feigenblatt“.

Ihre Kolleginnen in den anderen Parteien dürften es da billiger geben. Allerdings haben sie selbst dann noch genug zu tun, wenn es ihnen in der Entwicklungszusammenarbeit im Unterschied zu Pollet-Kammerlander „nur“ um‘s Geld geht. Grand: Als EU-Mitglied muß Österreich unter dem Titel „Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern“ 600 Millionen Schilling jährlich ins EU-Budget einzahlen. Weitere 900 Millionen werden als Beitrag zum Europäischen Entwicklungsfonds fällig. Deshalb hält man es auch im (noch) zuständigen Staatssekretariat Ederer für „ausgeschlossen“, daß in den nächsten Jahren Österreichs eigenes Budget für bilaterale Hilfe steigen könnte.

GETARNTE EXPORTFÖRDERUNG

Im Gegenteil: „Die Budgetkonsoli- dierang wird auch nicht an der Entwicklungshilfe vorbeigehen“, meint Bernhard Wrabetz im Büro von Staatssekretärin Brigitte Ederer. Heribert Steinbauer wiederum sieht die Gefahr, „daß man hier die Mittel zusammentreibt und dann nach Brüssel abliefert für größere Projekte“. Und: „Dann ist das Geld weg. Dann ist eine Ruh’. Die Ruh1, die würde aber Grabesruhe sein.“

Nicht zuletzt deshalb legten auch die 150 SPÖ-Kandidatlnnen ihrem oder ihrer künftigen Bereichssprecherin die Latte hoch. Sie fordern „eine Erhöhung der Leistungen im Bereich der bilateralen technischen Hilfe“. Und bemängeln, daß Österreich 1993 für „Entwicklungshilfe“ nur 0,33 Prozent des Brattoinlands- produkts ausgab.

Weiters vermerken sie kritisch, „daß in den von Österreich gemeldeten Leistungen die Kosten für Studierende aus den Entwicklungsländern, für Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und zur Förderung der Exporte unserer Wirtschaft enthalten sind“.

Eine österreichische Besonderheit, die Pollet-Kammerlander ebenfalls stört: „Das zeigt die ganze Fragwürdigkeit von Hilfe auf.“ Auch Friedhelm Frischenschlager, Sprecher des Liberalen Forums für Entwicklungspolitik, hält „das Tarnen der Exportförderung als entwicklungspolitische Hilfe“ für falsch. Zur bilateralen Hilfe sagt er: „Wenn das weiter gekürzt wird, halte ich das für kąfa- strophal.“

Damit hört sich aber die Gemeinsamkeit liberaler, grüner und (möglicher) sozialdemokratischer Positionen wieder auf. Die 150 SPÖ-Kandidatlnnen sähen die Mittel aus dem Norden gern „zur Unterstützung von jenen Organisationen und Gruppen verwendet, die in ihrem Land für mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie und die Verwirklichung der sozialen und politischen Men-schenrechte kämpfen“. Pollet-Kammerlander will, „daß die Menschen von sich aus formulieren, was ihre Bedürfnisse wären“. Frischenschlager jedoch schweben im Süden Pro- jėkte vor, wo versucht wird, „die Bevölkerung am Land zu halten“.

Die „zentrale Herausforderung“ im Süden, so der liberale Sprecher, sei nämlich „die Bevölkerungsexplosion in den Ballungsräumen. Da ticken wirklich die Bomben.“ Eine Position, die umgekehrt (nicht nur) Pollet-Kammerlander für „absurd“ hält. „Man hat einen Zug in Gang gesetzt, der mit 100 in den Abgrund fährt. Jetzt will man die Notbremse ziehen“, übt sie Kritik daran, daß durch ungleiche Verteilung zwischen Nord und Süd Bevölkerungsprobleme erst zu Problemen gemacht wurden.

Sie argumentiert damit gleichzeitig gegen John Gudenus, den Entwicklungspolitik-Sprecher der FPÖ. Er sieht im Süden schon „entvölkerte Erdteile“, weil „das ganze Afrika oder ganze Länder, in denen Elend herrscht, nach Europa auswandern könnten“. Trotzdem sagt er zum Beispiel: „Hände weg von Ruanda. Schad1 für jeden Steuerschilling.“ Wegen häufiger „stammeskriegsar- tiger Auseinandersetzungen“ in Afrika solle eher Geld nach Osteuropa fließen. Etwa nach Albanien.

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