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Österreich braucht die Felbertauemstraße

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Den Führenden unseres Staates ist gegenwärtig die schwere Aufgabe gestellt, unverzüglich die Voraussetzungen zu schaffen, daß die in einer vorbildlichen Gemeinschaftsleistung aufgebaute und gut entfaltete soziale Marktwirtschaft trotz der erstmals fühlbaren Schwere der Reparationsleistungen an die Sowjetunion und trotz der bereits merklichen Abschwächung des starken Motors der Wirtschaftskonjunktur krisenfest und sozial leistungsfähig bleibt.

Es dürfte nun wohl keinen österreichischen Politiker und Volkswirtschaf der geben, der es bezweifelt, daß in dieser Uebergangszeit einer außergewöhnlichen budgetären Belastung und eines noch nicht genügend entfalteten inländischen Kapitalmarktes die Leistungskraft der privaten und staatlichen Wirtschaft zur Unterbindung einer neuen Arbeitslosigkeit nur durch das Hereinpumpen langfristiger Auslandskredite zur Schaffung zeitnotwendiger und volkswirtschaftlich rentabler Aufbauwerke aufrechterhalten werden kann.

Seit Monaten liegt als Frucht einer vorausgegangenen Werbung die schriftliche Bereitschaft des Bevollmächtigten einer amerikanisch-europäischen Bankenvereinigung vor, Oesterreich zum Bau einer modernen Verkehrsader durch den Felberta u e r n und zur Modernisierung ihrer Hauptzubringerstraßen einen langfristigen und niederverzinslichen Kredit, im Ausmaß von 600 Millionen Schilling, zu gewähren. Botschafter Dr. Gruber gab im Oktober 1956 bekannt, daß die Firma, die diesen Kredit im Verein mit europäischen Bankhäusern zu vermitteln bereit ist, eine der angesehensten und vertrauenswürdigsten Banken der Vereinigten Staaten ist und daß es sich daher um ein ernst zu nehmendes und nicht durch strategische Tendenzen ausgelöstes K editangebot handelt.

Die offizielle Genehmigung der Aufnahme dieses Auslandskredits — für den trotz der Rentabilität selbstverständlich auch noch die Uebernahme der Ausfallshaftung durch den österreichischen Staat erforderlich ist — konnte aber bis heute nicht erteilt werden, weil sich die öffentliche Meinung bisher weitgehend gegen einen neuen Straßenbau aussprach.

Um den Mitgliedern der Bundesregierung und dem National- und Bundesrat die Verantwortung der Bejahung dieses Auslandskredits zu erleichtern, will nun auch die „Furėhe" durch die Veröffentlichung der Beleuchtung der verkehrstechnischen Notwendigkeit und der volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Felbertauemstraße einen Beitrag zur Melioration der öffentlichen Meinung leisten:

In einer fünfjährigen Pionierarbeit haben berufene Straßenbaumeister im Auftrag des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau und der Landesregierungen von Salzburg und Tirol das Projekt der Felbertauern- straße erarbeitet.

Die projektierte Verkehrsader zweigt von der Einmündung der Paß-Thurn-Straße in die Salzachttalstraße, östlich von Mittersill ab und geht in einem durchschnittlichen Steigungsmaß von nur 4,7 Prozent — das sich nur in einer kurzen Strecke auf 9 Prozent erhöht —, durch das Felber- und Ammertal zum Felbertauern. Der Tauernkamm wird in einer Höhe von 1620 m durch einen fünf Kilometer langen und' mit einer zuverlässigen Ent- und Belüftungsanlage versehenen Straßentunnel durchbohrt. Vom Südportal dieses Tunnels — in dessen nächster Nähe sich den Wanderern der erste beglückende Anblick der majestätischen Großvenedigergruppe darbietet zieht sich die Südtrasse in einer Neigung von nur 4 bis 8 Prozent durch eine romantische Berglandschaft zum bestehenden Tauerntalweg und über diesen nach Matrei in Osttirol. Hier mündet sie in die Iseltaler Straße, die die Gäste nach Lienz und über die geplante südliche Reichsautobahn nach Kärnten, Steiermark und Wien führt.

Die beleuchtete Trasse — deren Länge von Mittersill bis Matrei nur.38 km beträgt —, ist so geführt, daß sie sowohl nördlich als auch südlich des Felbertauern den Lawinengängen und Schneeverwehungsgefährdungen weitgehend entrückt ist. Und an noch etwas gefährdeten Stellen sieht das Projekt den Bau von Galerien und Lawinen-Schutzbauten vor, so daß die Befahrbarkeit dieser Straße mit geringen Schneeräumungskosten den ganzen Winter hindurch zuverlässig gewährleistet ist.

Daß der Bau einer zweiten, ganzjährig befahrbaren Straße durch die Zentralalpen Oesterreichs vor allem zu einem zwingenden Erfordernis des modernen Verkehrs geworden ist, bestätigt die Tatsache, daß in unserem Vaterland im Monatsdurchschnitt des vergangenen Jahres 11.000 neue Kraftfahrzeuge in den Verkehr gelangten, daß sich die Zahl der Kraftfahrzeuge in Westdeutschland monatlich sogar um fast 30.000 erhöhte, daß die Schweiz Westdeutschland im Tempo der MotofisieTüng &ber noch übertraf und daß alle anderen Staaten der

Welt in dieser Entwicklung nicht wesentlich Zurückbleiben. Dieses Ausmaß der internationalen Motorisierung findet im bevorzugten Erholungsland Oesterreich in erster Linie ihren Niederschlag. Es mußte daher ein berufener Sprecher des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau am 14. Jänner 1957 beim Verkünden des Ergebnisses der Verkehrszählung bereits von einer „rettungslosen Verstopfung der Fernstraßen“ Oesterreichs sprechen. Vor allem aber kommt es auf der Brenner Straße — der einzigen zentraler gelegenen und ganzjährig offenen Nord-Süd-Verbindung durch die Zentralalpen Oesterreichs — zu immer untragbarer werdenden Verkehrsstauungen. Denn die Großglockner Straße und die Straße über den Katschberg und den Radstädter Tauern können ob ihrer nur auf einige Monate beschränkten Befahrbarkeit und ihrem großen Gefälle niemals als vollwertige Nord-Süd-Verbindungen und Wirtschaftsstraßen gewertet werden.

Die volkswirtschaftliche und soziale Bedeutung der Felbertauemstraße wird dann durch die Tatsache offenbar, daß der Bau dieser neuen modernen Verkehrsader sowie der Ausbau der mit dieser Verkehrslinie in einem geradezu untrennbaren Zusammenhang stehenden Gerlosstraße und die Modernisierung der

Hauptzubringerstraßen nördlich und südlich des Felbertauern wohl tausenden von Arbeitern die Arbeitsplätze für mindestens 7 bis 10 Jahre sichern würde.

Es ist aber auch kein Zweifel, daß diese moderne Wirtschaftsstraße — welche die noch unerschlossene und an Naturschönheiten überaus reiche Hochgebirgswelt des Großvenedigers eröffnet und die Staatssekretär Dr. G s c h n i t- zer ob ihrer geradezu idealen Verkehrsverbindungen in alle Länder des Kontinents mit vollem Recht als „eine Straße von großer europäischer Bedeutung" bezeichnete —, einer starken Schlagader gleich, eine dauernde Befruchtung der österreichischen Volkswirtschaft bewirken und so direkt und indirekt der Sicherung der Lebensbasis zehntausender bestehender und entstehender Familien in Oesterreich zu dienen vermag.

Der von den Projektgestaltern erst in den letzten Monaten erarbeitete neue Beweis, daß dieses Straßenprojekt wirklich realisierbar ist und daß die Felbertauemstraße eine ganz jährig befahrbare Wirtschaftsstraße ist, wird mit dem Kreditangebot gegenwärtig im Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau geprüft.

Ich bin überzeugt, daß das Ergebnis dieser Prüfung und die vertiefte Erkenntnis der verkehrstechnischen Notwendigkeit und der großen wirtschaftsbefruchtenden und sozialen Bedeutung der Felbertauemstraße alle Führenden in Oesterreich zur Einsicht bringen wird, daß das Ja zu diesem Kredit und damit zum Bau dieser Straße keine unverantwortliche Tat, sondern ein Dienst an Volk und Vaterland istl

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