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Österreichischer Kapitalmarkt und Wiener Stadtwerke

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Daß die Wiener Stadtwerke, die mit ihren fast

20.0 aktiven Bediensteten nicht nur das größte kommunale Unternehmen Oesterreichs, sondern auch eines der größten unserer Bundesrepublik überhaupt darstellen, schon seit geraumer Zeit für die Erfüllung ihres steigenden Investitionsbedarfes des Kapitalzuflusses von außen bedürfen, ist bekannt. Schon im vergangenen Jahr wurde daher ein Fünfjahres-Investitions- programm großen Stiles entworfen, das ein Volumen von rund 2200 Millionen Schilling vorsah und dessen Finanzierung mit Hilfe von in- und ausländischen Krediten besorgt werden sollte. 690 Millionen Schilling waren davon für die E-Werke gedacht, 130 Millionen Schilling für die Gaswerke und etwa 13 80 Millionen Schilling für die Wiener Verkehrsbetriebe.

Bei den Wiener Elektrizitätswerken sollte das präliminierte Investitionsvolumen für die Errichtung einer neuen 60-MW-Dampfanlage im Kraftwerk Simmering dienen, ferner war die Errichtung einer Reihe von Umspannwerken vorgesehen, außerdem sollte das Hochspannungsnetz verstärkt und schließlich die Umschaltung des noch vorhandenen Gleichstromnetzes auf Drehstrom beendet werden. Die Gaswerke beabsichtigten den weiteren Ausbau der Erdgasspaltanlagen in den beiden Werken Simmering und Leopoldau, ferner die Errichtung einer Erdgas- Wasserdampfspaltanlage zur Spitzendeckung in Leopoldau und eines neuen Großgasbehälters am Wienerberg mit 250.000 Kubikmeter Inhalt sowie die Beschaffung von diversen Einrichtungen zur Steigerung des Druckes im Wiener Gasrohrnetz. Die Wiener Verkehrsbetriebe trugen sich mit dem Gedanken, im Rahmen des Fünfjahresprogramms die Anschaffung von rund 250 Großraumzügen durchzuziehen, eine komplette Zentralwerkstätte in Simmering zu errichten, den Umbau der Wiener Stadtbahn auf eine moderne Schnellbahn durchzuführen und letzten Endes dem Autobusbetrieb 75 neue Autobusse zuzuführen, für die auch eine Großgarage im südlichen Wiener Gebiet geplant war.

Eine Informationsreise im Aufträge des Wiener Stadtsenates in die Schweiz im vergangenen Jahr erbrachte hinsichtlich der Möglichkeit einer Anleihebegebung ein negatives Ergebnis, da die Schweizer Bankinstitute prinzipiell auf dem Standpunkt stehen, insolange keine Stadtanleihen zu begeben, als auf dem schweizerischen Kapitalmarkt selbst eine fühlbare Beengtheit zu vermerken ist. Die Schweizer haben eine einzige Ausnahme von diesem Grundsatz in der Nachkriegszeit gemacht, welche sich auf einen 25-Mil- lionen-Franken-Kredit, der an die Stadt Oslo gewährt wurde, bezog. Dieser ist jedoch kein reiner Finanzkredit, sondern soll zum größten Teil durch Lieferung von schweizerischen Industrieprodukten an die Stadt Oslo abgedeckt werden. Von schweizerischer Seite bemerkte man allerdings, daß diese Haltung keine endgültige bleiben müsse. Es könne sich dieser Standpunkt in der Zukunft wieder ändern und speziell der Stadt Wien, die bisher ihren Verpflichtungen aus früher eingegangenen Transaktionen restlos nachgekommen sei und auf den ausländischen Kapitalmärkten einen ausgezeichneten Ruf genieße, würde man entgegenkommen. Die Frage der Begebung einer Wiener Stadtanleihe wurde deshalb auch nicht aufgegeben, sondern nur aufgeschoben, wobei von Schweizer Seite empfohlen wurde, zunächst mit Industriekrediten auf den Plan zu treten, in welchem Zusammenhang auch an die Lieferung von Einrichtungen für die Stadt Wien bzw. für die Wiener Stadtwerke zu denken wäre, weil gerade solche ein günstiges Klima für eine spätere Begebung einer Anleihe bei dem Schweizer Sparer schaffen könnten. Es war selbstverständlich weder daran gedacht, die rund 2.2 Milliarden Schilling auf einmal aufzulegen, oder auch daran, sie nur in der Schweiz zu begeben, sondern es war vielmehr die Absicht, zunächst eine Tranche in der Schweiz und später Teilbeträge bei günstigen Bedingungen auch auf anderen europäischen Plätzen zu emittieren.

Die Wiener Stadtwerke sind aber nun trotz dieses negativen Resultates einer ersten finanziellen Fühlungnahme nach dem Kriege nicht in der Lage, die unbedingt notwendigen Investitionen einfach beiseite zu stellen, weil sie mit Hilfe ausländischer Kredite nicht gedeckt werden können, sondern sie müssen unter Berücksichtigung dieser Tatsache an andere Möglichkeiten der Mittelaufbringung denken, um trotz aller Schwierigkeiten zum Ziel zu gelangen.

Hierfür gibt es lediglich zwei Möglichkeiten: Entweder einen erhöhten Kapitalbedarf aus den laufenden Einnahmen sicherzustellen oder aber den inländischen Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen.

Das erstere hängt ursächlich mit der Tariffrage zusammen: wie aber die Probleme gerade auf diesem Sektor liegen, braucht im Rahmen dieser Abhandlung nicht noch besonders betont zu werden. Im Budget 1957 war es bei den Wiener Stadtwerken trotz Inanspruchnahme eines 100-Millionen-Schilling-Kredites nur mehr möglich, einen Investitionsbetrag von rund 300 Millionen Schilling sicherzustellen, während es im Jahre 1956 noch zirka 450 Millionen Schilling gewesen sind. Aber auch dann, wenn es gelingen sollte, die Situation durch Rationalisierungsund Einsparungsmaßnahmen nicht unwesentlich zu verbessern, würden die Einnahmen nicht im entferntesten ausreichen, um den steigenden Kapitalbedarf zu decken. Unter solchen Umständen bleibt nur übrig, daß die Wiener Stadtwerke — genau so, wie das vor ihnen andere Unternehmungen gemacht haben —, an den inländischen Kapitalmarkt herantreten und versuchen, diesen für die Aufnahme von kleineren Teiltranchen zu interessieren.

Zu diesem Zweck wurde in jüngster Zeit ein „kleines" Investitionsprogramm zusammengestellt, das ein Volumen von rund 350 Millionen Schilling für die E- und Gaswerke vorsah und das einen sehr dringlichen Bedarf, soweit er im Budget nicht untergebracht werden kann, decken soll.

Die Wiener E- und Gaswerke sind Unternehmungen, die dem Konsumenten gegenüber unter Kontrahierungszwang stehen, das heißt, es muß der angemeldete Bedarf von beiden Werken jederzeit befriedigt werden können. Hierbei ist zu beachten, daß, genau so wie im ganzen Bundesgebiet und im Ausland, auch bei den Wiener E-Werken in den letzten Jahren eine erfreuliche Steigerung des Stromkonsums eingetreten ist, die — jeweils im Verhältnis zu dem vorangegangenen Jahr — im Jahre 1954 13,1 Prozent, im Jahre 1955 11,6 Prozent und im Jahre 1956 11,1 Prozent betragen hat, während bei den Gaswerken der Verbrauch 1954

gegen 1953 um 16 Prozent, 1955 um 10,9 Prozent und 1956 um 11,2 Prozent angestiegen ist. Für 1957 wird bei den E-Werken neuerlich mit einer Steigerung um 11,3 Prozent und bei den Gaswerken um 10,6 Prozent gegenüber dem Jahre 1956 gerechnet.

Wir stehen nun angesichts des steigenden Bedarfes und der vorhandenen Kapitalknappheit vor der Sorge, den ersteren nicht mehr befriedigen zu können und damit unserer Versorgungspflicht nicht mehr gerecht zu werden. Das bedeutet aber, daß wir weitere Anschlußwerber abweisen müßten oder Verbraucher, die ihren Bedarf zu erhöhen beabsichtigen, nicht befriedigend bedienen zu können. Dabei tritt noch hinzu, daß auch für den Fall der vorhandenen Energie die Schwierigkeiten immer größer werden, um diese Energie, gleichgültig ob in Form des elektrischen Stromes oder des Wiener Stadtgases, an die Konsumenten heranbringen zu können (Kabel- und Leitungsnetze, Umspannwerke usw.).

Aus diesen Darlegungen dürfte mit zwingender Logik hervorgehen, daß der Kapitalbedarf der großen Wiener Versorgungsunternehmungen vom wirtschaftlichen Standpunkt zumindest ebenso dringlich geworden ist und zur Kenntnis genommen werden muß wie beispielsweise der von der österreichischen Elektrizitätswirtschaft mit Berechtigung angemeldete.

Sicherlich ist der österreichische Kapitalmarkt auf Grund der Erfahrungen, die wir in den Jahren 1952 bis 1956 gemacht haben, noch lange nicht so aufnahmefähig wie etwa der schweizerische. Nichtsdestoweniger ist es aber beispielsweise in den Jahren 1954 und 1955 gelungen, in jedem der beiden Jahre Emissionen in der Höhe von mehr als 2 Milliarden Schilling unterzubringen, und gerade die Begebungen im heurigen Jahr, und zwar die Ausgabe der Volksaktien bzw. die erste Energieanleihe 1957, haben einen Erfolg gezeitigt, der doch zu gewissen Hoffnungen Anlaß geben kann.

In erster Linie hängt natürlich der Erfolg von Anleihe-Emissionen von den Bedingungen ab, zu denen sie begeben werden, anderseits aber auch von der inneren Einstellung des Sparers und Zeichners. Er muß sich darüber klarwerden, daß er bei Zeichnung eines Papiers, das die Wiener Stadtwerke möglicherweise in Zukunft herausbringen werden, in seinem eigenen Interesse handelt, wenn er mit seinem Geld, das entsprechend verzinst wird, dazu beiträgt, daß er jederzeit Strom und Gas in genügendem Ausmaße und ohne Störung beziehen kann. Um ein solches Wollen zu verwirklichen, muß der österreichische Kapitalmarkt für alle Sektoren der Energiewirtschaft — gleichgültig, ob es sich dabei um Strom, Gas, Oel und andere Energieträger handelt — aufnahmefähig gemacht werden, wobei besonders auch die Belange der Verteilung, die sehr kostspielig ist, nicht vernachlässigt werden dürfen.

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