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Österreichs Milchwirtschaft

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Der Umstand, daß schon in den Vorbesprechungen zu den eigentlichen Verhandlungen über die Regierungsbildung von der Landwirtschaft eine Reihe von Forderungen geltend gemacht wurden, die sich zum Teil auch mit der Milchwirtschaft, einem seit eh und je neuralgischen Punkt der Agrarpolitik, befassen, läßt in den nächsten Monaten wieder ein Aufleben der Diskussionen über milchwirtschaftliche Fragen erwarten. Da sich erfahrungsgemäß diese Diskussionen nicht auf einen zuständigen Kreis von Milch- und Wirtschaftsfachleuten beschränken, sondern, häufig durch politische Argumente entstellt, einigen Blättern willkommenen Sensationsstoff liefern, ist es zeitgemäß und am Platze, die zur Beurteilung gestellten Entwicklungen in ihren richtigen Voraussetzungen kennenzulernen.

Die drei Kernpunkte der milchwirtschaftlichen Problematik sind Produktion, Absatz und Preis. Die Problematik dieser ansonsten sehr allgemeinen Relation ergibt sich dadurch, daß die Produktion die Absatzmöglichkeiten des Inlandsmarktes meist übersteigt und die Preisbildung nicht eine Funktion der Kosten für die Gewinnung des Urproduktes, seiner Bearbeitung und Verarbeitung und schließlich der Verteilung ist, sondern von außerwirtschaftlichen, vorwiegend sozialpolitischen Momenten diktiert wird. Wir wollen jedoch sogleich vorweg nehmen, daß diese Erscheinung keine österreichische Spezialität, sondern ein den meisten Milchwirtschaft treibenden Ländern gemeinsamer Sachverhalt ist, hinsichtlich der Preise auch bei jenen Ländern, die Importeure von Milch und Milcherzeugnissen sind.

Die Ursache hierfür ist in der Besonderheit der Milchwirtschaft gegenüber allen anderen Agrarprodukten zu suchen, die darin besteht, daß die Milch praktisch täglich geerntet wird und — weil in ihrem Naturzustand nicht stapelfähig — täglich frisch verwertet werden muß. Dadurch wird die Milch aber zur einzigen, das ganze Jahr hindurch fließenden Einnahmequelle des Bauern, aus der er seine laufenden Wirtschaftsausgaben decken kann. Die Bestrebungen aller Milchwirtschaft treibenden Länder, durch entsprechende milchwirtschaftliche Marktordnungen einen kostendeckenden und stabilen Milchpreis zu erreichen, haben demnach die wirtschaftliche Erhaltung des Bauerntums in diesen Ländern zum Ziel. Den gleichen Zweck, verbunden mit der Erzielung einheitlicher Verbraucherpreise für Milch und Milcherzeugnisse und deren Bereitstellung in einwandfreier Qualität, verfolgt auch das österreichische Marktordnungsgesetz durch das milchwirtschaftliche Ausgleichswesen. Sehr verbreiteten Fehlmeinungen gegenüber sei eindeutig festgestellt, daß die Funktion des Milchausgleichsfonds mit einer Subventionspolitik im landläufigen Sinn nichts zu tun hat. Solange Milch und Milcherzeugnisse in allen Wirtschaftsphasen zu wirtschaftlich richtigen Preisen gehandelt wurden, konnte die Preiseinheitlichkeit, dem Wesen der Sache entsprechend, durch rein interne Ausgleiche innerhalb der Milchwirtschaft selbst erreicht werden, ohne daß es irgendwelcher Subventionen bedurft hätte.

Die Subventionspolitik in der Milchwirtschaft setzt deshalb in Österreich erst in dem Augenblick ein, als ein staatliches Interesse bekundet wurde, nach dem 5. Lohn- und Preisabkommen im Juli 1951 aufgetretene Kostensteigerungen nicht durch eine Erhöhung der Letztverbraucherpreise, sondern durch die öffentliche Hand zu decken. Es trat also damit eine echte Subvention der Konsumentenpreise ein, auch wenn diese Subvention de facto den Produzenten unmittelbar zugeteilt wird, wie, in den beiden Etappen der staatlichen Milchpreisstützung ab 1. Juli 1952 (BGBl. Nr. 135) und ab 1. März 1956 (BGBl. Nr. 173), durch die der Produzentenpreis von 1.40 Schilling auf 1.60 Schilling beziehungsweise 1.90 Schilling angehoben wurde. Derselbe Akt einer Subvention der Konsumen-tenpreise liegt vor in den staatlichen Zuschüssen zur Deckung des Abganges des Milchwirtichaftsfonds, die erstmalig in den Jahren 1954 und 1955 notwendig wurden, zu einer Zeit also, da das seit dem 5. Lohn- und Preisabkommen — und praktisch bis zum heutigen Tag — stabil gebliebene Preisgefüge den wirtschaftlichen Tatsachen nicht mehr entsprach und infolgedessen der Zuschußbedarf der Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe die vom Milchwirtschaftsfonds vereinnahmten Ausgleichsbeiträge überstieg. Wenn also heute, nach zwölf Jahren steigender Lohn- und Betriebskosten die staatliche Milchpreisstützung einschließlich des für die Deckung des Fondsabganges notwendigen Betrages eine Milliarde Schilling im ablaufenden Jahr übersteigt, so ist das nichts anderes als die Summe, um welche im Jahre 1962 Milch und Milcherzeugnisse unter den tatsächlichen Gestehungskosten auf den Markt gebracht wurden,

Produktivitätssteigerung...

Diese Feststellung hat mit den vielbekrittelten Exportzuschüssen nichts zu tun. Bis zum 1. Juli 1961 sind diese Exportspesen, vornehmlich die Zölle und Gebühren des Importlandes, die nach den üblichen Usancen der Exporteur überbrücken muß, sowie die jeweiligen Differenzen zum Weltmarktpreis, besonders bei der Butter, von der Landwirtschaft allein in der Form des sogenannten Krisenfonds getragen worden. Erst die Einführung eines Zuschlages von 10 Groschen ab 1. Juli 1961 beziehungsweise 20 Groschen ab 1. Jänner 1962 zu den Preisen für Milch und bestimmte flüssige Milcherzeugnisse, der gemäß der 4. Marktordnungsgesetznovelle (BGBl. Nr. 168/1961) für absatzfördernde Maßnahmen in der Milchwirtschaft bestimmt ist, brachte für die Landwirtschaft, die aber trotzdem noch weiterhin ihren Beitrag zu diesem Fonds zu leisten hat, eine gewisse Erleichterung, die zwar dadurch beeinträchtigt wurde, daß Mittel dieses Fonds zur Marktentlastung, eigentlich widmungswidrig, zur Dek-kung der letzten Erhöhung der Molkereiarbeiterlöhne herangezogen werden mußten. Bekanntlich gehen die Absichten der agrarischen Standesvertretung dahin, für diese und andere Lücken des Preisgefüges in einer Korrektur des Milchpreises einen Ausgleich zu suchen.

Obwohl die Zahl der Milchkühe seit dem Jahre 1955 um rund 55.000 Stück zurückging, ist die Milchanlieferung von 1,175.397 Tonnen auf 1,661.221 Tonnen im Jahre 1961 angestiegen und wird in diesem Jahre wieder um rund vier Prozent über dem Vorjahr liegen. Es ist also eine echte Produktivitätssteigerung, die um so mehr für die Landwirtschaft spricht, als rund 90 Prozent aller Milchlieferanten zu den kleinen Lieferern gehören und nur die restlichen zehn Prozent. Jahresmilchmcngen von mehr, als 15.000 Liter in die Molkerei bringen. Diese Struktur erklärt auch, warum sich die Landwirtschaft gegen eine gewaltsame Produktionsdrosselung wendet. Sie würde die Wirtschaftsbasis von rund 200.000 solcher kleiner Lieferer gefährden.

... und Absatzsteigerung

Hingegen hat die Milchwirtschaft von sich aus eine Reihe von Maßnahmen zur Lösung der sich aus dem Produktionsanstieg ergebenden Verwertungs- und Absatzfragen ergriffen. Gewiß haben wir seit dem Jahre 1953, dem ersten Jahr der vollen milchwirtschaftlichen Versorgung aus eigener Produktion, erfreuliche Absatzsteigerung, die bei Milch und flüssigen

Milcherzeugnissen 29 Prozent, bei Butter 51 Prozent, bei Käse 75 Prozent und bei Topfen 95 Prozent betragen, aber trotzdem den Produktionsanstieg nicht aufholen können, so daß die österreichische Milchwirtschaft auch in Zukunft exportorientiert bleiben wird. Jedenfalls ist es gelungen, durch Erhöhung des Fettgehaltes von Flaschenmilch, Rahm und Schlagobers, durch Reduktion des Wassergehaltes der Butter, durch Ausweitung der Schul- und Betriebsmilchaktion, durch Abgabe verbilligter Butter an Haushaltsschulen und das Bundesheer sowie durch erhöhte Butter- und Käserückgabe an die Lieferanten, dem besonders schwierigen Butterproblem erfolgreich zu begegnen. Außerdem wurde die Produktion von Käse und besonders von Trockenvollmilch, die wesentlich bessere Exportchancen als Butter haben, stark forciert. Allein für die Errichtung von Dauermilchwerken haben die milchwirtschaftlichen Genossenschaften und Verbände in den letzten Jahren weit mehr als 100 Millionen Schilling investiert. Während durch diese Maßnahmen die Buttererzeugung trotz steigender Milchanlieferung seit 1957 mit rund 32.000 Tonnen im Jahr konstant gehalten werden konnte, bewirkte der erhöhte Inlandsverbrauch einen lebhaften Rückgang der Butterexporte, die 1957 noch 27,7 Prozent, 1961 nur noch 10,1 Prozent der Erzeugung betrugen. Da infolge der Witterungsverhältnisse die Herbstspitze der Milchproduktion nicht im sonst zu erwartenden Ausmaß eingetreten ist, wurden bekanntlich zur Ergänzung der Inlandsversorgung vorübergehend 1100 Tonnen Butter eingeführt, um eingegangene Exportverpflichtungen rechtzeitig zu erfüllen und künftig notwendige Lieferkontingente nicht zu gefährden.

So also liegen die Dinge zum Ende des Jahres. Leider können die an sich befriedigenden Leistungen in der bisherigen Entwicklung die Sorgen für die Zukunft nicht verschwinden machen. Haben doch vor allem die finanziellen Voraussetzungen noch keine Verbesserung, geschweige denn ein Losung gefunden, Na&h,4er . Lage der Dinge hat die Milchwirtschaft keine Möglichkeit, eine solche Veränderung von sich aus herbeizuführen. Sie ist in ihre heutige Situation hineinmanövriert worden, weil man glaubte, ungeachtet der übrigen Aufwärtsentwicklung ein wirtschaftlich längst überholtes Preissystem beibehalten zu müssen. Und wenn der Ruf nach einem Abbau der Subvention laut wird, müßten vorerst die Voraussetzungen abgebaut werden, die zu diesen Subventionen führten. Es ist klar, daß dies nicht von heute auf morgen sein kann, aber es wird notwendig sein, auch an diese Problematik heranzukommen, um sich mit ihr nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten statt nach politischen Opportunitäten auseinanderzusetzen.

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