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Ohne Land stirbt auch die Stadt

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Ein positives Verhältnis zwischen Bauern und Konsumenten ist für das Überleben der Landwirte eine wichtige Voraussetzung.

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Ein positives Verhältnis zwischen Bauern und Konsumenten ist für das Überleben der Landwirte eine wichtige Voraussetzung.

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Schon seit einigen Jahren steht die bäuerliche Landwirtschaft in einer extrem schwierigen Schicksalsphase. Die Ursachen sind bekannt. Zum Beispiel: Überproduktion, hohe Abwanderungsquoten, fehlen von Hofübernehmern und Verschuldung vieler Betriebe und die Sinnkrise in der bäuerlichen Bevölkerung.

Zukunftsängste, Skepsis gegenüber der Agrarpolitik und der Vertrauensschwund gegenüber den agrarischen Organisationen und Interessenvertretungen verschärfen diese Situation. Erhält nun die bäuerliche Landwirtschaft Österreichs mit der Integration in die Europäische Union ihren Todesstoß?

Eine sinnvolle Zukunft für bäuerliche Familienbetriebe wird es dann geben, wenn eine bäuerliche Landwirtschaft nicht losgelöst von den generellen weltweiten, nationalen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen gesehen und von der Gesellschaft gewollt wird.

Das Paradoxe unserer Zeit liegt darin, daß man weiß, daß eine nicht- bäuerliche Landwirtschaft in den Industrieländern, vor allem Europas und Nordamerikas in eine existentielle Krise schlittert; daß in Lateinamerika gesunde kleine bäuerliche Strukturen durch die Habgier und Egoismus vernichtet werden und gleichzeitig zwei Drittel der Weltbevölkerung hungert.

In Osteuropa findet aufgrund politischer Veränderungen eine ganz andere, aber ähnlich gefährdete Umstrukturierung der Landwirtschaft statt.

WAS WILL DIE GESELLSCHAFT?

Und die Landwirtschaft Österreichs? Wohin geht ihr Weg? Bricht der Ansatz einer ökosozialen Landwirtschaft mit der Integration in die Europäische Union zusammen? Glauben die österreichischen Bauern an eine Zukunft - und haben sie eine?

Der enorme Strukturwandel in der Landwirtschaft geht weiter. Arbeitsbelastungen, Existenzsorgen, Ausgrenzungen von gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen führen weiterhin zu einer zunehmenden Aufgabe von Betrieben. Auch der Wertewandel innerhalb der Generationen auf bäuerlichen Betrieben führt zu Konflikten. Die scheinbar „heile Welt“ der bäuerlichen Familien ist brüchig geworden. Auch der Lebenssinn bäuerlichen Lebens, nämlich primär Produzent von Lebensmitteln für die Bevölkerung zu sein, ist in einer Zeit der Überproduktion, der internationalen Handelsverflechtungen und der EU-LW-Förderung für viele bäuerliche Menschen verlorengegangen.

Obwohl Bestandteil der Gesellschaft, konnte und durfte sich bäuerliches Leben mit seinen Prinzipien der Nachhaltigkeit und Stabilität, dem Denken in Generationen, der Verantwortung für das Leben und der Verbundenheit mit dem Lebensraum nie in der Industriegesellschaft mit den gesellschaftspolitischen Gesetzen des Materialismus, Egoismus und der Philosophie des Wachsens und Weichens integrieren. Alle Bemühungen und ideologischen Strömungen, durch Verherrlichung des Landlebens oder durch Mahnungen der Gesellschaft an die bäuerliche Bevölkerung, bäuerliches Leben und Werthaltungen in sich aus der Tradition heraus zu erhalten, haben und mußten fehlschlagen. Denn, das einzig Bleibende - auch in der bäuerlichen Welt - ist die Veränderung.

So bleibt die Frage offen: Wird bäuerliche Landwirtschaft als hoch- qualifizierter Wirtschaftszweig in unserer Gesellschaft überleben können? Kann die österreichische Gesellschaft ohne bäuerliche Landwirtschaft mit ihren Aufgaben der Lebensmittelproduktion, der Landschaftserhaltung und etwa der Krisenvorsorge überleben? Welche Voraussetzungen sind notwendig?

Drei Faktoren werden für die Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft entscheidend sein:

  • Eine Agrarpolitik, die - auch in der Europäischen Union - im Sinne des ökosozialen Weges die bäuerlichen Familienbetriebe zu erhalten versucht.
  • Ein positives Verhältnis von Bauer und Konsument, das in gegenseitiger Verantwortung um die gemeinsame Abhängigkeit weiß.
  • Entscheidend wird aber der „Lebens- und Überlebenswille“ der Bauern selbst sein und das „Selbstverständnis“, mit dem der Bauer „Bauer bleiben“ will.

So gilt es für und mit ihnen Strategien und Pläne zu entwickeln, die sie selbst beeinflussen können und mit denen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben werden. Bäuerliches Leben heißt arbeiten mit Leben und für Leben.

Nur jene Bauern, die als hochqualifizierte verantwortungsbewußte und unternehmerisch denkende Persönlichkeiten Bäuerlichkeit leben wollen, werden eine existentiell sinnvolle Zukunft erreichen können Es geht heute um eine geistige Aufrüstung unseres Bauernstandes

  • als Produzent und Vermarkter von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln und
  • als Lebensraumerhalter und Landschaftsgestalter.

Die Generation der zukünftigen Bauern wird mit einem neuen Berufsethos Bauer sein müssen. Eine europäisch bäuerliche Landwirtschaft - und damit die österreichische - braucht den „bäuerlichen Unternehmer“. Das heißt, es müssen die Werthaltungen des bäuerlichen Denkens wie zum Beispiel „nachhaltiges Wirtschaften“ und „Denken in Generationen“ erhalten bleiben und gleichzeitig muß der bäuerliche Mensch den neuen Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft gegenüber offen sein.

Deshalb: Ohne klare Zielvorstellungen, ohne selbstbewußte Lebenshaltung und ohne persönliche Strategien werden die Zukunftschancen auch für den bäuerlichen Menschen gering sein. Immer weniger wird die Summe der Arbeitszeit oder Größe des Betriebes der Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg am Bauernhof sein. Immer mehr wird die Qualität des Denkens, der Arbeitsplanung und Arbeitsökonomie den beruflichen und persönlichen Erfolg prä fen. Freude am Beruf, Wille zum rfolg, Konfliktbejahung, Eigeninitiative und realistischer Optimismus werden Haltungen erfolgreicher bäuerlicher Unternehmer sein.

Solidarität und Kooperationsbereitschaft sind notwendige Erfolgsmaßstäbe. Wer den Wert der Bildung in der Praxis nicht annehmen will, wird kaum eine wirtschaftliche und menschliche Überlebenschance haben. Eine qualifizierte berufliche — vielfach zweiberufliche — Ausbildung, permanente fachliche Weiterbildung, Auslandserfahrungen werden genauso Basis von Überlebenschance sein, wie ein stetes Bemühen um Persönlichkeit.

BILDUNG WIRD DAS WICHTIGSTE

Das Selbstbild des Bauern ist somit im Wandel. Der Aufbau und die Festigung eines neuen bäuerlichen Selbstbildes und Selbstbewußtseins sind eine zentrale Aufgabe der land- und forstwirtschaftlichen Bildungspolitik. Wenn die Gesellschaft und Politik den Begriff „Bäuerlichkeit“ und die Grundwerte, die er umfaßt, bejahen und in die Zukunft hinein tragen wollen, so werden sie auch die Voraussetzungen schaffen müssen, die einer bäuerlichen Landwirt schaft die Lebensbasis sichern.

Die Gesellschaft muß bereit sein, dem Bauern eine umfassende Lei- stungsabgeltüng für alle Leistungen zuzugestehen; der Bauer selbst wird in den meisten Fällen Einkommenskombinationen erkennen und leben müssen. Bäuerliche Zukunftsstrategien leben heißt Verantwortung für die Menschen und für die Lebensgrundlagen Grund, Boden und Wasser zu übernehmen. Keine leichte Aufgabe!

Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, werden viele bäuerliche Betriebe bei hoher fachlicher und menschlicher Qualifikation der Betriebsführer und Familienmitglieder bereit sein, im Wissen um die Verantwortung für die Erhaltung der Lebensgrundlagen, mit Bereitschaft, die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen. Der bäuerliche Mensch hat die Chance - in nicht allzuweiter Zukunft —, an einem bevorzugten Platz in der Gesellschaft zu stehen. Sicherlich kein bequemes Unterfangen und ein steiniger Weg.

Es geht aber auch um Akzeptanz und Anerkennung der Bauern durch die Gesellschaft. Der ländliche Raum und „Bäuerlichkeit“ brauchen die Lobby der gesamten Gesellschaft. Denn, wenn das Land nicht lebt, stirbt auch die Stadt.

Der Autor ist Leiter der Abteilung Bildung der Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft Steiermark.

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