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Ohne Reform kein EJJ-Beitritt

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1994 ist ein Entscheidungsjahr für Österreich. Das Jahr nämlich, in dem die Weichen über die weitere Zukunft Österreichs in Europa gesteUt werden.

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1994 ist ein Entscheidungsjahr für Österreich. Das Jahr nämlich, in dem die Weichen über die weitere Zukunft Österreichs in Europa gesteUt werden.

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In diesem Entscheidungsjahr 1994 stimmen die Wähler in einer historischen Volksabstimmung im Juni darüber ab, ob Österreich künftig als gleichberechtigter Partner an der europäischen Einigung mitarbeiten wird.

Diese für unser Land so weitreichende Entscheidung fällt in eine Zeit des Umbruchs. Dem engeren Zusammenrücken der europäischen Staaten auf der Basis von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft stehen nationalistische Auflösung und Verelendung im Osten unseres Kontinents gegenüber, bis hin zum schrecklichen Krieg im früheren Jugoslawien.

Das Fundament der Europäischen Union basiert nicht nur auf der Marktwirtschaft, deren Überlegenheit eindrücklich bewiesen ist. Die Union gründet auf Demokratie, Menschenwürde, Solidarität und dem Subsidiaritätsprinzip. Das heißt: Soviel Integration wie nötig, soviel Dezentralisation wie möglich.

Durch den Vertrag von Maastricht, der das Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich im EU-Recht verankert hat, wurde die Frage Staatenbund oder Bundesstaat sehr praktisch und zukunftsweisend gelöst. Der Weg führt damit nicht in einen einheitlichen, unstrukturierten Massenstaat Europa. Der Weg führt in ein vielfältiges Europa, in ein subsidiär strukturiertes Europa.

Es ist bemerkenswert, daß es gleichzeitig mit der engeren Integration in den Staaten der Union zu einem Anwachsen des Regionalismus kam. Dies wurde einerseits möglich, weil die Grenzen der Nationalstaaten ihre Funktion der Abschließung verlieren, andererseits ist es notwendig, weil im größeren Raum die kleineren Gemeinschaften als Orien-tierungs- und Lebensraum des Bürgers immer wichtiger werden.

FÖDERALISTISCHER GRENZFALL

Das Subsidiaritätsprinzip hat nicht nur Bedeutung für das Verhältnis zwischen der Union und deren Mit-

Šliedstaaten. Vielmehr ist es ein urchgängiges Bauprinzip für eine staatliche Organisation von unten nach oben, in der die kleineren Gemeinschaften in ihren Rechten gestärkt, aber auch in die Verantwortung genommen werden.

Die österreichische Bundesverfassung ist 70 Jahre alt, sie ist durch Hunderte von Änderungen und Einzelfallregelungen, oftmals solche von leichter Hand, unübersichtlich und teilweise ruinenhaft. Die meisten Verfassungsänderungen führten zur Schwächung der Länderrechte und zu einem gewaltigen Übergewicht des Bundes.

Der Verfassungsrechtler Theo Öh-linger bezeichnet Österreich unter diesem Aspekt als einen „Grenzfall eines föderalistischen Systems" und er betont, daß jede weitere Schwächung der Länder ihre Qualität als selbständige Glieder eines Bundesstaates schlechthin in Frage stellt. Vor diesem Hintergrund haben der Bundeskanzler und der Vorsitzende der Landeshauptmännerkonferenz im Oktober 1992 die politische Vereinbarung über die Neuordnung des Bundesstaates unterzeichnet. Vor wenigen Tagen konnte im Verhandlungskomitee unter dem ^ Vorsitz von Bundesminister Jürgen Weiss eine politische Einigung über die Umsetzung dieses Föderalisrnus-Paktums erreicht werden.

Ein wesentlicher Reformfortschritt ist der Wegfall der mittelbaren Bundesverwaltung. Auch wird im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die Selbständigkeit der Landesgesetzgebung und in verschiedenen Bereichen auch die Stellung der Gemeinden gestärkt.

Auch wenn die Länder nicht alle Wünsche in den Verhandlungen durchsetzen konnten, so enthält das

Verhandlungsergebnis Vorschläge für die umfangreichste Verfassungsreform seit 1929.

Die Ergebnisse der Verhandlungen werden nun den Landeshaupt-euten und der Bundesregierung vorgelegt. Ziel ist der Beschluß einer Regierungsvorlage noch vor der EU-Volksabstimmung.

ANGST VOR IDENTITÄTSVERLUST

Eine konsequente und umfassende Bundesstaatsreform, die die Rechte der Länder und Gemeinden stärkt und ihnen auch mehr Verantwortung überträgt, ist für mich eine wichtige Voraussetzung für einen Beitritt zur Europäischen Union. Hinter dem Engagement für einen Beitritt Österreichs zur Union bei gleichzeitiger Stärkung der Länderrechte steht auch und vor allem die Erkenntnis, daß die europäischen Nationalstaaten für die großen Probleme längst zu klein und für die kleinen Probleme zu groß sind.

Die Reaktionen in den Europäischen Staaten auf den Vertrag von Maastricht haben sehr deutlich gezeigt, daß die Menschen in Europa um ihre regionale Identität fürchten. Die Antwort darauf kann nur eine konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips und eine Stärkung des Föderalismus in den Nationalstaaten sein. Nur ein Europa, das in seinen Ländern und Regionen den Menschen Heimat bietet, ist auch ein Europa der Bürger.

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