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Von Jahr zu Jahr ziehen die Vorarbeiten zur Erstellung des Staatsbudgets das öffentliche Interesse mehr in ihren Bann. Fast scheint es, als ob bei einer sonst eher stagnierenden Innenpolitik die parteipolitischen Auseinandersetzungen mehr und mehr auf das Ringen um die Gestaltung des Staatshaushaltes konzentriert würden. Einerseits muß der staatliche Haushaltsplan fristgerecht erstellt werden, so daß die Koalitionsparteien den sonst häufig beschrittenen Ausweg, die Entscheidungen einfach aufzuschieben, in diesem Fall nicht anwenden können, sondern eine Einigung suchen und finden müssen; anderseits hat schon im Jahre 1867 der deutsche Nationalökonom Wagner das sogenannte „Gesetz über die steigenden Staatsausgaben" formuliert.

Die Zwangsläufigkeit der Steigerung der Staatsausgaben wurde jüngst von Professor Dr. Welinder nach einem umfassenden Studium der Entwicklung zahlreicher Staatsbudgets bestätigt. Beispielsweise betrugen vor dem ersten Weltkrieg die Ausgaben des schwedischen Staates 7 Prozent des Volkseinkommens; der Anteil stieg bis zum zweiten Weltkrieg auf 13 Prozent und beträgt derzeit etwa 28 Prozent. In Schweden ist daher die Besteuerung innerhalb von 60 Jahren von 1 Prozent des Einkommens auf durchschnittlich 30 Prozent gestiegen. Für Österreich liegen derartig eingehende und zusammenfassende Untersuchungen nicht vor, doch ist die Entwicklung auch hier zweifellos ähnlich. Daß der von der sozialistischen Seite der Regierungskoalition angestrebte soziale Wohlfahrtsstaat zumindest auf dem Sektor der Sozialpolitik immer größere Staatsausgaben erfordert, ist jedermann einsichtig. Aber auch die von der anderen Seite propagierte soziale Marktwirtschaft weist dem Staatsbudget beträchtliche Aufgaben zu; denn dieses Wirtschaftskonzept setzt sich ja aus einer zunächst möglichst freien Marktwirtschaft mit nachfolgender Korrektur durch sozialpolitische Maßnahmen zusammen, wodurch das Staatsbudget teilweise den Charakter einer zweiten Einkommensverteilung erhält.

Wie notwendig auch in Österreich mit einer ständig expandierenden Wirtschaft und einer ebenso ständigen Ausweitung des Staatsbudgets gerechnet werden muß, beweisen nicht zuletzt die gegenwärtig laufenden, intensiven Vorarbeiten für das Bundesbudget 1962. Finanzminister Dr. Klaus ist in diese Vorbereitung mit dem festen Konzept eingetreten, daß sämtliche Bundesstellen den Ausgabenrahmen des laufenden Jahres keinesfalls überschreiten dürfen, sofern nicht gesetzliche Verpflichtungen eine Ausgabensteigerung aus-

drücklich vorschreiben. Im Bundesfinanzgesetz für das laufende Jahr sind in der ordentlichen Gebarung Ausgaben von rund 4 5 Milliarden Schilling vorgesehen, zu denen noch rund 2 Milliarden Schilling Ausgaben der außerordentlichen Gebarung kommen, so daß sich ein Gesamtausgabenrahmen von rund 47 Milliarden ergibt.

Bereits jetzt muß aber der Finanzminister mit folgenden zusätzlichen Ausgaben rechnen: Die Gehaltsregulierung für die öffentlich Bediensteten wird eine Vermehrung der Personalausgaben um rund 1,5 Milliarden Schilling im kommenden Finanzjahr erforderlich machen. Schon früher von den Koalitionsparteien in Aussicht genommene Maßnahmen zur Rentenreform, die Forderungen der Landwirtschaft auf Grund des „Gün- nen Berichtes“ sowie verschiedene Akte der Wiedergutmachung für politisch Verfolgte und Heimatvertriebene werden noch vor Jahresende weitere gesetzliche Maßnahmen nach sich ziehen, die insgesamt Mehraufwendungen von zirka 1 Milliarde Schilling für das kommende Finanzjahr zur Folge haben dürften. Neben diesen großen Forderungen besteht noch eine Anzahl kleinerer, zusätzlicher Ausgabenverpflichtungen, die jedoch insgesamt ebenfalls eine merkliche Erweiterung des Budgetrahmens bedeuten werden. Es ist deshalb damit zu rechnen, daß an Stelle der im Bundesfinanzgesetz 1961 vorgesehenen Gesamtausgabensumme von 47 Milliarden Schilling ein Betrag von etwa 51 Milliarden Schilling treten wird.

Nun wurde im Bundesbudget schon vor längerer Zeit eine Unterscheidung zwischen „o r d e n- 1 i c h e r Gebarung" und „a u ß e r- ordentlicher Gebar un durchgeführt. Wie der Name sagt, sollen in der ordentlichen Gebarung die laufenden, sozusagen normalen

Ausgaben und Einnahmen des Staates veranschlagt werden. Hierbei gehört zweifellos ein gewisser Investitionsaufwand beispielsweise für kulturelle Neubauten, Verbesserung und Erweiterung des Straßennetzes usw. auch zur ordentlichen Gebarung. Hingegen sind die außerordentlichen Erfordernisse des Wiederaufbaues nach den totalen Zerstörungen des zweiten Weltkrieges sowie auch besondere Großinvestitionen, deren Erträgnisse späteren Generationen zugutekommen werden, in der außerordentlichen Gebarung veranschlagt. Alle Finanzminister der letzten Jahre haben immer wieder betont, daß diese außerordentliche Gebarung mit der staatlichen Konjunkturpolitik im Zusammenhang stehen müsse, da sie ja nicht durch laufende Einnahmen, sondern — abgesehen von allfälligen geringfügigen Überschüssen der ordentlichen Gebarung — durch eine langfristige Verschuldung gedeckt werden müssen. Für die Finanzierung der außerordentlichen Gebarung durch Staatsanleihen spricht zweifellos die Tatsache, daß der jetzt lebenden Generation nicht alle Lasten des Wiederaufbaues und auch nicht die gesamten Lasten solcher Großinvestitionen aufgebürdet werden können, aus deren Erträgnissen spätere Generationen den Hauptnutzen ziehen werden. Dennoch bleibt es eine Forderung der sogenannten „antizyk- lisehen Budget po1itik“, daß sich der Staat zu Zeiten einer wirtschaftlichen Konjunktur mit seinen Ausgaben und insbesondere dem Schuldenmachen zurückhalten soll, um seine Reserven dann einsetzen zu können, wenn in der Wirtschaft die Aufträge, Investitionen und die Beschäftigung zurückgehen sollten.

Nun hat sich aber gezeigt, daß selbst bei eindeutigen konjunkturpolitischen Notwendigkeiten weder eine Drosselung des Autobahnbaues noch eine solche der Elektrifizierung der Bundesbahnen oder der Automatisierung des Telephonnetzes usw. möglich ist. Abgesehen davon, daß der Finanzminister bei seinen Regierungskollegen in Fragen der Konjunkturbremsung niemals wirkliche Unterstützung findet, steht auch sofort ein Heer von Interessenten auf und fordert lautstark volle Weiterführung aller Investitionsvorhaben. Wie angesichts solcher Gegebenheiten eine elastische und konjunkturpolitisch angemessene Budgetpolitik betrieben werden soll, ist ein Problem, das bisher in Österreich nicht bewältigt werden konnte.

Wollte man im kommenden Finanzjahr auf eine weitere Verschuldung des Staates verzichten und sämtliche Ausgaben aus laufenden Einnahmen bestreiten, so müßte die Einnahmenseite des Budgets, die für heuer auf rund 45 Milliarden Schilling veranschlagt ist, in Wirklichkeit aber größer werden und etwa 46 Milliarden Schilling betragen dürfte, um mehr als zehn Prozent erhöht werden können. Mit einer derartigen Steigerung der laufenden Staatseinnahmen ist aber kaum zu rechnen, obwohl der Staat bei der derzeitigen Hochkonjunktur und Überdrehung der Lohn-Preisspirale kein schlechtes Geschäft macht. So haben beispielsweise die meisten Staatsangestellten nach der letzten Gehaltserhöhung feststellen müssen, daß ihnen die Steuer einen großen Teil der gewährten Gehaltsaufbesserungen wieder wegnimmt, wie ja überhaupt eine zunehmende Zahl österreichischer Einkommensempfänger in eine Steuerprogression hineinwächst, die einstmals für Hoch- und Spitzenverdiener berechnet war. während jetzt im Hinblick auf das inzwischen gewaltig gestiegene Lohn-Preisniveau diese Einkommen zu normalen Durchschnittsverdiensten zu zählen wären.

Alles in allem basiert die österreichische Budgetpolitik auf der Überzeugung oder zumindest Hoffnung, daß mit einem stetigen jährlichen Wachstum des Sozialproduktes gerechnet werden kann. Das ganze schöne System unseres Wohlfahrtsstaates geriete ins Schwanken, würde an Stelle des Wirtschaftswachstums, verbunden mit Vollbeschäftigung, Konsumfreudigkeit usw., eine geringere Güternachfrage, also eine Depression, treten.

Eine derartige Budgetpolitik rechnet praktisch mit einer sogenannten „Konsumgesellschaft“ sowie allen ihren positiven und negativen Seiten. Je mehr konsumiert wird, desto besser, denn je mehr verbraucht wird, um so mehr kann auch erzeugt und verkauft werden; wachsender Produktionsumfang aber bedeutet Vollbeschäftigung und steigende Verdienste. Dazu kommen noch die steuerlichen Maßnahmen zur Investitionsförderung, wodurch auch Maschinen nach wenigen Jahren verschrottet werden, obwohl sie jahrzehntelange Dienste leisten könnten, oder Kleingewerbetreibende und Kleinhändler zu Luxusinvestitionen bei Portalbauten, Autokauf usw. verlockt werden.

Zweifellos ist die Grenze zwischen volkswirtschaftlich gerechtfertigtem und ungerechtfertigtem Konsum, zwischen nützlichen und unnötigen Investitionen nicht leicht zu ziehen. Aber unsere staatliche Budgetpolitik zielt eher auf einen Zustand, in dem die Wirtschaft den Sinn der Bedarfsdeckung verloren hat, und umgekehrt für die produzierte Güterfülle durch Werbung, Prestigeaufstachelung usw. Bedürfnisse geweckt werden müssen. Damit aber wird die Grenze überschritten und jener Bereich verlassen, für den nur finanzpolitische Maß Stäbe herangezogen werden dürften. Für die Beurteilung der Konsumgesellschaft sind auch metaökonomische Erwägungen maßgeblich, und in diesem Sinne wird unsere staatliche Budgetpolitik mehr und mehr zu einer politisch überaus bedeutsamen und größte Aufmerksamkeit verdienenden Gesellschaftspolitik!

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