"Pazifismus ist Realpolitik!"

Werbung
Werbung
Werbung

"Zwergentreff" statt "Elefantenrunde"! Nicht die x-te Wiederholung von Schüssel contra Gusi & Co macht das Wahlkampffinale spannend, sondern die Debatte zwischen den Parteichefs von KPÖ und LIF. Probesitzen im Parlament für den Kommunisten Walter Baier und den Liberalen Alexander Zach.

Die Furche: Wozu braucht es eine fünfte Partei im österreichischen Nationalrat?

Walter Baier (KPÖ): Eine fünfte, eine sechste, eine siebte Partei - Demokratie ist pluralistisch. Keine Partei kann in Anspruch nehmen, die Probleme der Zeit ausschließlich aus ihrer Sicht beurteilen zu können. In Österreich fehlt es zudem an einer Opposition, die den neoliberalen Konsens der etablierten Kräfte - Privatisierung, Rückbau des Sozialstaates, Aufgabe der Neutralität - in Frage stellt.

Alexander Zach (LIF): Im Gegensatz zur Blockbildung zwischen Schwarz-Blau und Rot-Grün, zwischen Fundamentalregierung und Fundamentalopposition braucht es eine dritte Kraft, die neue, andere Mehrheiten möglich macht. Außerdem: Wir leben in einer repräsentativen Demokratie, viele, vor allem junge Menschen, fühlen sich aber gegenwärtig nicht mehr repräsentiert.

Die Furche: Wenn Sie in den Nationalrat kommen, was würden Sie als erstes verändern?

Zach: Als erstes würde ich einen Antrag zur Abschaffung der Wehrpflicht stellen. Es ist weder gerechtfertigt noch zeitgemäß sowie ein volkswirtschaftlicher Schaden, junge Menschen zum Zwangsdienst zu verdonnern.

Die Furche: Wie halten Sie es dann mit der Neutralität?

Zach: Die Neutralität gibt es nur mehr formell, materiell ist dieses Konzept längst überholt. Mit dem Beitritt zur EU haben wir eine Art Beistandspflicht. Unser Bündnis heißt Europa. Ich bin nicht für einen NATO-Beitritt, aber ich bin für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa, die eine militärische Komponente miteinschließt und an der Österreich mit einem modernen, schlanken Berufsheer beteiligt ist.

Baier: Das sehe ich nicht so: Österreich soll seinen Beitrag zu einer friedensorientierten und solidarischen Weltentwicklung leisten. Das heißt, wir sollen uns nicht am Aufbau einer europäischen Armee beteiligen. Ich bin für ein Europa der offenen Grenzen, ein Europa der sozialen Standards und der demokratischen Rechte. Eine militärische Supermacht Europa lehne ich aber strikt ab.

Die Furche: Wie wollen Sie dann Krisen in Europa entgegentreten?

Baier: Problemlösung im 21. Jahrhundert erfordert sozialen Ausgleich. Die Umverteilung von Lebenschancen: innerhalb einer jeden Gesellschaft zwischen den Reichen und Armen aber auch von reichen zu benachteiligten Regionen. Die Politik müsste einer neuen Ethik unterworfen werden: einer Ethik des Teilens und der Solidarität. Dem widerspricht jeder militaristische Ansatz.

Die Furche: Also eine entmilitarisierte Europäische Union?

Baier: Die Entscheidung, die jetzt getroffen wird, ist, die EU zu militarisieren, die Rüstungsausgaben zu steigern und einen neuen Militärpakt zu bauen.

Zach: Unser Ziel ist es, in ein europäisches Bündnis einzutreten. Man kann es sich nicht so einfach machen und nur gegen Amerika schimpfen. Es gibt nicht zuviel Amerika, es gibt zuwenig Europa.

Baier: Ich bin Pazifist und glaube, dass nur pazifistische Politik die Realpolitik des 21. Jahrhunderts ist. Es geht um ein anderes Paradigma. Unsere Neutralität habe ich bislang als den Versuch eines durch die Geschichte klug gewordenen Kleinstaats verstanden, dieses andere Paradigma im Kleinen zu erproben und weiterzugeben.

Die Furche: Herr Baier, jetzt kennen wir ein wichtiges Anliegen von Ihnen. Auf die Frage, was Sie als Parlamentarier zuerst in Angriff nehmen würden, fehlt aber noch eine Antwort.

Baier: Mir käme es darauf an, ein Gesetz anzuregen, dass das öffentliche Eigentum an den infrastrukturellen Unternehmen der Daseinsvorsorge - Wasserversorgung, Bildung, Gesundheit, Pensionen und öffentlicher Verkehr - verfassungsrechtlich schützt. Österreichische Unternehmen der Daseinsvorsorge dürfen nicht an transnationale Konzerne verkauft werden. Amerikanische Verhältnisse im Gesundheitswesen sind nicht wünschenswert, englische Verhältnisse bei der Bahn nicht erstrebenswert.

Die Furche: Also ein Gegenkonzept zu den aktuellen GATS-Verhandlungen über die Liberalisierung des Dienstleistungssektors im Rahmen der WTO?

Baier: Österreich soll sich für einen Stopp dieser Verhandlungen aussprechen. Das ist auch eine Frage der internationalen Solidarität, da die Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen zu dramatischen Verschlechterungen vor allem in ärmeren Bevölkerungsschichten und Entwicklungsländern führen wird. Und hier schließt sich der Kreis zum vorherigen Thema, denn wer eine solche Politik zulässt, wird sich auf Dauer auch nicht mit militärischen Mitteln gegen die katastrophalen Folgen dieser Weltentwicklung schützen können.

Zach: Die Globalisierung ist primär eine enorme Chance. Zwei Pfeiler, auf denen diese Entwicklung beruhen muss, sind Demokratie und Marktwirtschaft. Diese Mischung hat bei uns zum Erfolg geführt, das muss und wird auch den heutigen Entwicklungsländern zugute kommen. Anstatt Entwicklungshilfe zu zahlen, würde es daher viel mehr bringen, die europäischen Märkte für Produkte aus Entwicklungsländern zu öffnen.

Baier: Globalisierung mag eine Chance sein und ich bin ein Anhänger der Globalisierung der menschlichen Gesellschaft. Aber heute heißt Globalisierung: zwei Milliarden Menschen, die mit weniger als einem Dollar am Tag leben müssen; 900 Millionen Menschen ohne Krankenversorgung, Mangel an Wasser etc.; 30 Millionen Hungertote pro Jahr. Das ist das Erfolgsrezept derer, die den freien Markt preisen. Daher muss Globalisierung der sozialen Kontrolle unterworfen werden.

Die Furche: Sie halten es mit dem Slogan der Globalisierungskritiker: "Eine andere Welt ist möglich!"

Baier: Ja, denn es geht um einen entscheidenden Wechsel: weg von der Kommerzialisierung des Lebens, weg von der Entfremdung, die diese Kommerzialisierung erzeugt, hin zu solidarischen und demokratischen Beziehungen. Das ist in der gegenwärtigen Weltordnung nicht möglich.

Zach: Wenn Sie von Umverteilung sprechen, hätte ich nur gerne gewusst, wer zu uns umverteilt hat? Österreich hat sich auch allein entwickeln müssen.

Baier: Die kapitalistischen, reichen Gesellschaften des Nordens sind das Resultat eines jahrhundertelangen kolonialen Umverteilungsprozesses. Der Kapitalismus konnte und kann sich nur auf Grund eines permanenten Umverteilungsprozesses von Arm zu Reich entwickeln.

Zach: Aber das sind Dinge, die muss ich politisch lösen. Kein Großkonzern stellt die Regeln in einem Land auf. Wo kommen wir da hin, wenn Unternehmen eine soziale Verantwortung haben! Im Gegenteil: Ein Unternehmer hat unternehmerische Aufgaben - Gewinnmaximierung etc. - zu erfüllen, nicht aber Staatsaufgaben zu übernehmen.

Die Furche: Dazu braucht es aber einen starken Staat...

Zach: Ich bin ja auch nicht gegen den starken Staat. Ich will einen starken, aber schlanken Staat. Und wenn von großen Einkommensunterschieden die Rede ist: Wer günstiger produzieren kann, hat einen wichtigen Standortvorteil. Das heißt aber nicht, dass ich Dumpinglöhnen und Ausbeutung das Wort spreche. Der freie Markt ist das beste System, in dem sich das Individuum entfalten kann. Aber die Politik muss Grenzen setzen, denn die Unternehmen neigen aus Eigeninteresse dazu, das Maximum herauszuholen.

Baier: Wir stimmen also darin überein, dass Konzerne keine Wohltätigkeitsorganisationen sind und wir es nicht dem Markt überlassen dürfen, ob Menschenrechte von Großkonzernen respektiert werden.

Die Furche: "Sichern geht nicht mehr" heißt einer der Slogans des LIF. Was alles kann in Österreich nicht mehr gesichert werden?

Zach: Dieser Slogan ist primär auf das derzeitige Pensionssystem und die Lüge von den sicheren Pensionen gemünzt.

Baier: Ich kann nicht finden, dass die Pensionen nicht finanzierbar wären. Tatsache ist, dass sich in den letzten zehn Jahren die Produktivität um 100 Prozent erhöht hat, dass unsere Gesellschaften soviel Reichtum produzieren wie niemals zuvor. Das umlagefinanzierte Pensionssystem wurde zu Zeiten eingerichtet, als die wirtschaftliche Lage um vieles schwieriger war. Jetzt soll plötzlich das Pensionssystem nicht mehr finanzierbar sein?

Zach: Das Problem ist, dass unser Pensionsystem uns die Zukunft stiehlt. Warum? Das System ist finanzierbar - aber nur, weil alles dorthin umgeschichtet wird, um das marode System zu stopfen.

Baier: Die Finanzierungslücke bei den Pensionen entsteht dadurch, dass diejenigen, die große Vermögen besitzen, immer weniger zur Finanzierung des Staatshaushaltes beitragen.

Zach: Ziel liberaler Steuerpolitik muss sein: Ich zahle Steuern und weiß konkret, welche Leistungen ich dafür bekomme. Das ist ja das gegenwärtige Grundproblem: Wir zahlen ein, aber keiner weiß, was mit dem Geld geschieht. Deswegen fordern wir ja ein individuelles Pensionskontomodell, damit ich überhaupt weiß, was ich Zeit meines Lebens eingezahlt habe.

Baier: Umverteilung findet derzeit in Österreich nicht von Reich zu Arm, sondern von Arm zu Reich statt. Würde dieser Prozess gestoppt, wäre der Sozialstaat finanzierbar.

Zach: Ich habe nichts gegen eine soziale Grundabsicherung für jene, die aus dem Arbeitsprozess herausfallen. Eine Absicherung, die aber als Sprungbrett zurück in den Arbeitsprozess und nicht als Ruhekissen gedacht ist. Unser vorrangiges Ziel ist jedoch die Leistungsgesellschaft. Deswegen kreiden wir ja auch der jetzigen Regierung ihre schweren Versäumnisse in der Bildungspolitik an.

Die Furche: Wie stehen Sie beide zu den Studiengebühren?

Baier: Studieren ist keine Ware, sondern ein Recht, mit dem die Chancen in einer Gesellschaft ausgeglichen werden können. Der Studierende ist kein Kunde, das ist neoliberaler Wahnwitz.

Zach: Ist Ihnen lieber, der Studierende ist eine Nummer?

Baier: Die Universität ist ein sozialer Raum, in der die Gesellschaft wissenschaftliche Entwicklungen diskursiv und demokratisch steuern soll. Es so zu betrachten, als ob die Wissenschaft wertneutral und die Hochschule ein besserer Friseurladen wäre, wo man mit Geld seine Chancen optimiert, halte ich für grässlich.

Zach: Was ist daran sozial, wenn Lehrlinge und Arbeiter den Direktorenkindern das Studium bezahlen? Damit muss Schluss sein. Eine Universität hat selbstverständlich kundenorientiert zu sein. Wenn ich in einen Hörsaal gehe und dort keinen Sitzplatz kriege, ist das ein Nepp. Noch dazu, wenn ich dafür bezahlt habe. Aber nachdem die Universitäten einmal kundenorientiert umgebaut sind, kann ich mir vorstellen, dass man für die Hochschulausbildung etwas verlangt. Wenn ich Bildung konsumiere, ist das doch primär für mich selber. Ich studiere nicht für die Gesellschaft, sondern um meine Chancen zu optimieren.

Baier: Für mich ist das in höchstem Maße bedenklich, wenn sich die Leute auf der Universität nur mehr als Kunden oder Konkurrenten begegnen. Die Universität ist doch kein Unternehmen und es gibt auch andere Motive effiziente Leistungen zu erbringen als die, dass ich dafür Geld bekomme. Der Mensch ist nicht allein homo oeconomicus, sondern es geht noch um einen anderen Sinn des Lebens.

Das Gespräch moderierte Wolfgang Machreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung