Pazifisten proben den Aufstand

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Nicht nur Proteste wie in Seattle, sondern auch Dialog und Diskussion prägen die IWF- und Weltbank-Tagung in Prag.

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Nicht nur Proteste wie in Seattle, sondern auch Dialog und Diskussion prägen die IWF- und Weltbank-Tagung in Prag.

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Mehrere Tausend Menschen haben am vergangenen Wochenende in Prag gegen die erstmals in einem Land des ehemaligen Ostblocks stattfindende Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfond (IWF) demonstriert. Mit einer Prozession unter dem Motto "Schuldenerlass für die ärmsten Länder" zogen am Sonntag hunderte Menschen im Anschluss an einen Gottesdienst auf einen Hügel über der Moldau. Sie appellierten an die internationalen Finanzinstitutionen, über die bisher beabsichtigte Entschuldung von 20 Ländern hinauszugehen. Am Samstag waren in Prag rund 2000 Demonstranten auf der Straße, die sich für eine sofortige Entschuldung der ärmsten Länder stark machten.

Zu einer Auseinandersetzung anderer Art kam es ebenfalls am Samstag bei einer vom tschechischen Präsidenten Vaclav Havel angeregten und von rund 300 Gästen besuchten Diskussionsveranstaltung in der Prager Burg. Vertreter der zwei Finanzinstitutionen trafen auf dem Hradschin mit Repräsentanten tschechischer und internationaler Menschenrechtsgruppen zusammen. Vor der hochkarätigen Runde kritisierte der frühere Dissident Havel, dass "in den Medien zwar über die Anzahl der Wasserwerfer, nicht aber über die Inhalte der Tagung berichtet wird". Eines der Ziele, das mit dem von der Uno-Kommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, moderierten Podiumsgespräch verfolgt wurde, bestand darin, den Strassenprotesten die Spitze zu brechen, und die bis zur Totalblockade der Konferenz durch gewaltfreie Aktionen reichenden Drohungen schon im Vorfeld des Gipfels zu entschärfen.

Ein Teil der Basisinitiativen weigerte sich jedoch von Anfang an, an einem "Scheindialog" teilzunehmen. Und auch die dialogbereiten Menschenrechtsaktivisten mussten während der Veranstaltung feststellen, dass sich vor allem die Präsidenten von IWF und Weltbank, Horst Köhler und James Wolfensohn, kaum auf die Anliegen und sorgfältig ausgearbeiteten Gegenvorschläge einstellen konnten. Der Dialog zeugte vom Unverständnis füreinander. Während die Vertreter der Menschenrechtsgruppierungen nicht mit Kritik sparten und das Fortschreiten der weltweiten Armut für sie nicht trotz, sondern wegen der Arbeit beider Finanzinstitutionen passiert, vertrat der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel die Meinung, die Abschaffung von IWF und Weltbank würde die Armen der Welt sich selbst überlassen.

Der IWF ohne Herz?

Der Menschenrechtler Walden Bello, Soziologe und Gründer der weltweiten Initiative "Focus on the Global South", warf dem IWF vor, "Unterstützer korrupter Regierungen" gewesen zu sein. IWF-Chef Köhler antwortete: "Es scheint so, als müsse der IWF-Direktor ein Mann ohne Herz sein. Ich habe ein Herz, aber ich muss auch meinen Kopf nutzen, um Lösungen zu finden."

Die Veranstaltung verlief damit konfrontativer, als man es sich bei Podiumsdiskussionen unter Schirmherrschaft eines Staatspräsidenten erwartet. Wenn das Treffen dazu dienen könne, einen Dialog zu etablieren, dann betrachte er dies jedoch als Erfolg, meinte Havel.

Als Argument dafür, dass die Entschuldungen möglich seien, wurde auch auf die finanziellen Möglichkeiten von IWF und Weltbank hingewiesen. Nach den Interventionen wegen der Asienkrise war das IWF-Kapital auf 26 Milliarden Dollar geschrumpft, doch heuer sind wieder 103 Milliarden in der Kassa. Und die Weltbank hatte im vergangenen Geschäftsjahr einen Nettogewinn von 199 Milliarden Dollar. Dennoch stehen die Euro- und Ölpreiskrise mehr im Zentrum der Debatten, als die Überlebensprobleme eines Großteils der Menschheit, wie andere Dialogteilnehmer verbittert registrierten.

Es waren nicht nur die Stimmen aus dem "Süden", sondern auch aus dem ehemals kommunistischen "Osten", unter anderem Boris Kagerlitzky aus Moskau und Laszlo Karolyi aus Ungarn, die davor warnten, dass ihre Länder auf dem Weg in den "Westen" zunehmend in den verarmten "Süden" abrutschen.

Walden Bello nützte den Dialog in der Prager Burg, als auch den "Gegengipfel" der Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Basisinitiativen mit seinen tausenden Teilnehmern, als Gelegenheit um seine radikale Kritik anzubringen: Am Beispiel der Asienkrise zeigt sich die verfehlte Politik von IWF und Weltbank mit ihren verheerenden Ratschlägen wie Liberalisierung der Finanzmärkte, freie Kapitalflüsse, hohe Zinsen um Kapitalgeber anzulocken und eine Dollarbindung der Währung, um Stabilität zu garantieren. Das meist nur kurzfristig angelegte Investment-Kapital erreicht kaum die Kleinbetriebe und die Landwirtschaft. Statt dessen zirkuliert es in Hochrisiko- (und -profit-) Sektoren, zum Beispiel zur Ankurbelung der Konsumindustrie.

"Sie saugen euch aus" Bello warnte die NGOs: "Lasst euch nicht als alternative Experten durch diese Institutionen vereinnahmen und manipulieren. Sie saugen euch aus und entziehen euch die Energie für einen effektiven Widerstand und für die Arbeit an der Realisierung alternativer Konzepte. Wir dürfen uns nicht nur auf einzelne Phänomene konzentrieren, sondern müssen das System als Ganzes herausfordern, die Legitimation der transnationalen Konzerne und insbesonders die Dominanz der USA infrage stellen." Er unterstrich, dass dazu auch gewaltfreie Proteste anlässlich solcher Großkonferenzen nötig seien.

In kleineren Demonstrationen wurde auch gegen die Einreiseverbote für eingeladene Sprecher - vor allem aus dem Süden - protestiert. Die Informationsveranstaltungen - darunter jene von den "Freunden der Erde" zur Entschuldung und von "Diverse Women for Diversity" - werden noch bis Mittwoch dieser Woche weitergehen. Und dann soll wieder dezentralisiert "in einem weltweiten Netzwerk auf lokaler wie transnationaler Ebene weitergearbeitet werden", wie es der Prager Philosoph Milan Machovec bei einer Kundgebung formulierte.

Der Autor leitet das Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit in Bad Ischl.

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