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Digital In Arbeit

Pensionen sichern die Arbeitsplätze

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Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft fordern dasselbe: Wer nicht mehr arbeitet, muß trotzdem genug konsumieren.

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Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft fordern dasselbe: Wer nicht mehr arbeitet, muß trotzdem genug konsumieren.

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Altere Arbeitnehmer stehen den Jungen im Weg. Ältere, die vorzeitig aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden, haben gefälligst zu akzeptieren, daß ihre Pensionen gekürzt werden müssen. Derzeit sind die älteren Lehrer dran. Ihnen wird verdeutlicht, daß sie, müde und ausgebrannt, wie sie sind, endlich sich einen schönen Lebensabend und Platz für junge Lehrer machen sollen. Mit vier Prozent Pensionsabzug für jedes auf 65 fehlende Jahr.

Im öffentlichen Dienst sind freilich die Pensionen höher und die Möglichkeiten, Altere gegen ihren Willen in die

Frühpension abzuschieben, begrenzt. In der Privatwirtschaft nimmt der Druck, Platz zu machen, zu, und die Mittel, mit denen es erreicht wird, sind oft gar nicht fein. Von den Goldenen Brücken, die man Älteren in den privilegierten Bereichen baut, können die Unprivilegierten nur träumen. Sozialministerin Lore Hostasch verteidigte dieser Tage die zusätzliche Vergoldung des „Goldenen Händedrucks” in der Versicherungswirtschaft mit öffentlichen Mitteln: Sie findet es in Ordnung, wenn gekündigte Mitarbeiter ein Jahr lang zur „administrativen Firmenpension” auch die Arbeitslosenunterstützung beziehen. Ein weiterer Fußtritt für alle, die es sich nicht richten konnten. Daß sich die OMV schöner Gewinne erfreut, ist mit der Ankündigung, ein weiteres Tausend müsse gehen, bestens vereinbar. Die Schraube dreht sich also immer weiter. Millionen wissen, daß es eine kalte Senkung des Pensionsniveaus bedeutet, wenn Politiker verkünden, den Trend zur Frühpension stoppen zu wollen, während die Betriebe weiter Leute in die Frühpension abschieben. Daß die Folgen für den einzelnen oft katastrophal sind, wenn das obligate Vorpensions-Mob-bing plötzlich einsetzt, weiß wohl jeder. Doch was bedeutet es für die Volkswirtschaft, wenn die Frühpension zur Norm und das im ASVG-Be-reich meist wehrlose Opfer auch noch bestraft wird?

Der Betroffene erleidet einen Verlust an Kaufkraft, die große Zahl der Betroffenen bedeutet einen Ausfall von Massenkaufkraft. Nun leben wir aber in einer Gesellschaft, in der immer weniger Menschen benötigt werden, um eine gegebene Menge von Gütern und Dienstleistungen zu produzieren. Der Grundsatz, wer nicht arbeitet, solle auch nicht essen, hat sich in der modernen Industriegesellschaft völlig überlebt. Je mehr die Produktivität steigt und je mehr Arbeitskräfte überflüssig werden, desto mehr sind wir auf Menschen angewiesen, die konsumieren, aber nicht produzieren. Das für Sozialleistungen aufgewendete Geld ist daher nicht nur ein Erfordernis der Gerechtigkeit. Es erhält der Volkswirtschaft die Kaufkraft von Pensionisten, die endgültig, und von Arbeitslosen, die (hoffentlich) vorübergehend aus dem Produktionsprozeß ausscheiden. Ohne dieses Geld ginge der Konsum dramatisch zurück. Die Arbeitslosigkeit würde noch viel schneller steigen, wir wären längst wieder dort, wo wir in den frühen dreißiger Jahren waren.-

Mit weiteren Steigerungen der Produktivität wird auch die Zahl der Menschen steigen, die nicht nur zu essen, ein Dach über dem Kopf und Kleidung benötigen, sondern auch Auto fahren und reisen und neue Fernseher anschaffen und Dienstleistungen nachfragen oder (was volkswirtschaftlich aufs selbe hinausläuft) ihren Kindern und Enkelkindern Geld zustecken sollen, weil ohne diesen Konsum der Überschuß an Gütern und Dienstleistungen den Arbeitsmarkt vollends abwürgen würde.

Überschuß ist ja keineswegs gleichbedeutend mit Überfluß.

Dies ist kein Zynismus, sondern einfach Aussprechen des ökonomischen Sachverhalts, daß die Pensionisten nicht nur soziale Rechte haben. Gerade, weil sie nur konsumieren, nicht aber produzieren, sind sie in einem Wirtschaftssystem, das gewiß perverse Züge hat, keine unnützen Esser, was immer öfter als Unterton anklingt, sondern unentbehrliche Konsumenten. Das Geld muß aber gerecht verteilt werden. Ist dies nicht der Fall, steigt bei denen, die sich ungerecht behandelt fühlen, die Wut. Sie können zwar nicht mehr streiken, bleiben aber Wähler.

Freilich ist mit dem Aussprechen dieser Sachverhalte nicht das Problem gelöst, wie die Pensionen früher und länger finanziert werden können. Die Diskussion macht aber den

Eindruck, nur unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung geführt zu werden. Ganz so, als hätten die Verantwortlichen Begriffe wie Gesamtkaufkraft aus ihrem Wortschatz gestrichen. In einer ganzheitlichen Betrachtung kann die Finanzierung der Pensionen nur als Teil des größeren Problems gesehen werden, daß die Rationalisierung laufend mehr Arbeitsplätze vernichtet, als durch neue Produkte und Dienstleistungen entstehen. Die Prophezeiung eines Wirtschaftssprechers, mit dem Übergang von der alten zur neuen Wirtschaft werde auch die Arbeitslosigkeit zurückgehen, war wohl Ausdruck höchster Ratlosigkeit. Wie diese neue Wirtschaft aussehen soll, vermag uns nämlich niemand zu sagen.

Ein ehrlicher und weitblickender Politiker müßte zugeben, daß der Kampf um die Finanzierung der Pensionen gemeinsam mit dem Kampf um die Arbeitsplätze gewonnen oder verloren wird. Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Steigt die Arbeitslosigkeit weiter, ist der Konsum derer, die nicht mehr produzieren dürfen, bald nicht mehr finanzierbar. Damit würde auch die Produktion immer weiter heruntergebremst.

Brauchbare Vorschläge gibt es: Stärkung der Arbeitskraft im Konkurrenzkampf gegen den Energieeinsatz durch Befreiung von den Lohnnebenkosten (die auf andere Weise hereingebracht werden können). Eine Energieabgabe, deren Ertrag dazu dient, die Arbeit zu verbilligen. Eine Ausgleichsabgabe für Importe aus Ländern mit niedrigerem sozialem Standard, um die Auslagerung von Arbeitsplätzen zu bremsen. Und so weiter.

Der tägliche Hohlsprech in den Medien vermittelt den Eindruck, daß jene, die allemal auf der sicheren Seite sind, auch deshalb so konsequent unter den alten Hüten über Stock und Stein reiten, weil sie Neues scheuen wie der Teufel das Weihwasser: Es könnte ja ein Risiko sein. Da müßte man ja gar frühere Fehlentscheidungen eingestehen. Positive Auswirkungen könnten sich erst nach den nächsten Wahlen zeigen. Der politische Gegner könnte den Rahm abschöpfen. Obendrein wäre womöglich Standfestigkeit in Brüssel oder gar in der World Trade Organization, dem alten GATT, nötig. Da wursteln wir lieber weiter, erklären uns gegenüber der Arbeitslosigkeit machtlos und richten den Blick fest auf den nächsten Wahltermin.

Einige Zeit hatte es den Anschein, als könnte man wenigstens mit der Vereinheitlichung der Pensionssysteme rechnen. Sie ist nicht nur ein finanzielles Erfordernis, sondern noch mehr eines der Gerechtigkeit. Selbst sie ist fraglich geworden. Die Rechnung dafür wird möglicherweise sehr bald präsentiert. Sie kann fürchterlich aussehen.

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