"Politiker ließen sich einspannen"

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"Das Umweltargument wurde von der Industrie missbraucht, um größere Gewinne zu machen. Das ging auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung."

Christian Gratzer, Pressesprecher des Vereins VCÖ -Mobilität mit Zukunft, spricht im FURCHE-Interview über Transformationen und erklärt, warum sich Privatkäufer plötzlich für einen Motor begeisterten, der einst vor allem bei LKW und Traktoren eingesetzt wurde.

DIE FURCHE: Stichwort "Diesel-Skandal". Kritiker werfen den verantwortlichen Politikern vor, lange Zeit auf die Verminderung des Klimagifts Kohlendioxid gesetzt und deshalb den Diesel forciert zu haben. Stimmt der Vorwurf?

Christian Gratzer: Der Diesel-Motor wurde definitiv politisch unterstützt. Unter anderem durch eine niedrigere Mineralölsteuer. Die Autoindustrie warb damit, dass der Diesel umweltfreundlicher wäre, weil er weniger Sprit verbraucht. Dass beim Verbrennen von Diesel jedoch mehr Feinstaub, mehr Stickoxide und auch mehr CO2 entstehen, ließ man unter den Tisch fallen.

DIE FURCHE: Ein Diesel-Motor verursacht sogar mehr Kohlendioxid als ein Benziner?

Gratzer: Wenn ein Liter Diesel-Sprit verbrannt wird, verursacht das durchschnittlich 2,65 Kilogramm CO2 (Kohlendioxid), bei einem Liter Benzin sind es 2,34 Kilogramm. Außerdem werden beim Verbrennen auch viel mehr gesundheitsschädliche Abgase wie z. B. Stickoxid und Feinstaub erzeugt.

DIE FURCHE: Wie kam es dann dazu, dass der Diesel als "umweltfreundliche Alternative" zum Benziner beworben wurde?

Gratzer: Wenn man so will: Das war eine geschickte Marketing-Strategie der -vor allem deutschen -Automobilindustrie. Sie ließ die Konsumenten glauben, "weniger Sprit-Verbrauch" heißt gleichzeitig "umweltschonend". Das klingt ja ohne Hintergrundwissen auch erstmal plausibel. Damit reagierten die Hersteller Anfang der 1990er-Jahre auf den Zeitgeist -Umweltschutz wurde immer populärer. Und diese Werbeslogans führten wiederum dazu, dass sich plötzlich Privatkäufer für einen Motor begeisterten, der ursprünglich vor allem bei LKW oder Traktoren eingesetzt worden war.

DIE FURCHE: Wie reagierte die Politik auf diese "Diesel-Lüge"?

Gratzer: Das Umweltargument wurde von der Industrie missbraucht, um Gewinne zu machen -auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung. In der EU ist der Mindeststeuersatz für Diesel-Treibstoff niedriger als auf Benzin. Österreich hat im EU-Vergleich eine besonders niedrige Besteuerung auf Diesel. Im Vergleich zu Italien ist Diesel in Österreich im Schnitt um 27 Cent pro Liter billiger. Obwohl seit Langem bekannt ist, dass Dieselabgase besonders gesundheitsschädlich sind, wird Diesel in Österreich nach wie vor steuerlich begünstigt.

DIE FURCHE: Warum haben Umweltund Gesundheitspolitiker nicht lauter gegen diese Maßnahmen protestiert?

Gratzer: Sie werden keine Umweltorganisation finden, die sich damals für den Diesel eingesetzt hat. Genauso wenig wie die Ärztekammern oder Umweltmediziner. Auch der VCÖ hatte sich entschieden gegen diese Entwicklung ausgesprochen. Doch das enorme Werbebudget der Autobauer bzw. dessen Werbetrommeln haben die kritischen Stimmen schlichtweg übertönt.

DIE FURCHE: Sahra Wagenknecht von der deutschen Partei "Die Linke" wirft den Akteuren aus den Politikfeldern "Gesundheit" und "Umwelt" vor, in den entscheidenden Phasen nicht genügend zusammengearbeitet zu haben.

Gratzer: Die autofreundliche EU-Politik hatte stets die mächtige Handschrift der jeweiligen deutschen Kanzler. Fakt ist: Viele Politikerinnen und Politiker haben sich von der Autoindustrie einspannen lassen.

DIE FURCHE: Um jeden Zweifel auszuräumen: Obwohl der Diesel politisch forciert wurde, war auch der österreichischen Regierungsspitze zu jeder Zeit bekannt, welche Gefahren für Mensch und Umwelt Dieselabgase mit sich bringen?

Gratzer: Die Gesundheitsschädlichkeit von Dieselabgasen ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert bekannt.

DIE FURCHE: Hat zumindest der jüngste Diesel-Skandal ein Umdenken ausgelöst oder sitzt man ihn einfach aus?

Gratzer: Die gute Nachricht: Der Autoindustrie bleibt gar nichts anderes übrig, als endlich auf ein anderes Pferd als den Verbrennungsmotor zu setzen. 2050 müssen laut UN-Klimaabkommen alle Autos ohne Benzin und Diesel auskommen. Ohne die Herstellung emissionsarmer Produkte werden sich die europäischen Autobauer gegen andere Global-Player nicht durchsetzen können.

DIE FURCHE: Sie blicken also optimistisch in die Zukunft?

Gratzer: Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der erneuerbaren Energien. Diese Transformation ist unsere Chance.

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