Mit unbeugsamer Konsequenz verfolgt EZB-Präsident Mario Draghi die angekündigten Ankäufe von Staatsanleihen aus den Beständen von Geschäftsbanken. Da sich Notenbanken bekanntlich bei niemandem verschulden müssen, schaffen sie mit jedem dieser Ankäufe neues Geld. Dieses soll, geht es nach dem Erfinder, über Kreditgewährung an Unternehmen und Haushalte den Weg in die dadurch neu belebte Realwirtschaft finden. Tut es aber nicht.
Die europäische Variante der lockeren Geldpolitik ("Quantitative Easing") verfestigt wohl eine wirtschaftshistorisch einzigartige Periode extrem niedriger Zinsen. Das entlastet alle Schuldner, ganz besonders aber die Budgets jener europäischen Staaten, bei denen eine Rückkehr der Zinskosten für Staatsanleihen zu langjährigen Normalniveaus zwischen drei und fünf Prozent die nächste Budgetkrise auslösen würde.
Auf der Schattenseite steht jedoch eine massive Belastung jener, die durch Sparen für Investitionen oder die Pension vorsorgen wollen, ohne größere Risiken einzugehen. Auch die großen (Lebens-)Versicherungen stehen mit ihren Mindest-Renditeversprechen unter Druck. Ähnliches gilt für Stiftungsvermögen, die zu risikoarmer Veranlagung gezwungen sind. Darüber hinaus bauen sich im Anleihebereich hohe Kursrisiken auf.
Nicht einmal das von der Flucht vor den Niedrigzinsen ausgelöste Feuerwerk der Börsenkurse kann beruhigen. Die inflationäre Steigerung von Finanz-Vermögenswerten führt zu immer größerer Absturzgefahr an der nächsten konjunkturellen Klippe. Sie verschärft die ohnehin wachsenden Verteilungsprobleme und ist so ungesund wie die durch Flucht ins vermeintliche "Betongold" ausgelöste Preissteigerung für Immobilien.
Notenbankpolitischer Scheinfriede
Die EZB ist in einem in Folge der Staatsschuldenkrise geschwächten Umfeld mittlerweile zur allzuständigen wirtschaftspolitischen Instanz geworden. Sie verspricht uns Sicherheit, kann aber die Wirkungen und unerwünschten Nebenwirkungen ihres Maßnahmenpaketes mangels historischer Erfahrung nicht verlässlich einschätzen. Das erinnert an den notenbankpolitischen Scheinfrieden der Jahre vor der Finanzkrise, als die Überzeugung herrschte, man hätte die Entwicklung auf ewig im Griff.
Vor wenigen Tagen verstarb Franz Kreuzer, einer der Großen aus der Gründerzeit des modernen Österreich in den Siebzigerjahren. In Erinnerung an persönliche Begegnungen mit ihm nahm ich eines seiner Bücher über Sir Karl Popper zur Hand. Darin zitiert er den in Wien geborenen Philosophen mit einer Passage, die sich wie ein aktueller Kommentar zur Politik der EZB liest:
"Wenn in einem Wirtschaftssystem die Machthaber das Ziel verfolgen, bestimmte Risiken zu vermindern, dann wird die Summe all dieser unterdrückten Risiken eines Tages in Form einer massiven Zunahme systemischen Risikos wiederkehren, und dies wird geschehen, weil dieses Risiko nicht erkennbar ist."
Wie spannend wäre es gewesen, Franz Kreuzer dazu in einem Gespräch mit Mario Draghi zu erleben!
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