Pro-vozieren mit heiligem Zorn

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" Die Eliten sollten sich mit der päpstlichen Streitschrift auseinandersetzen, statt mit durchaus berechtigter Kritik an einzelnen Punkten die Kernbotschaft zu überhören. “

Das hat gesessen. "An der Wurzel verdorben“ sei dieses Wirtschaftssystem und Geld der neue Götze von heute. Sogar von einer "Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne wirklich menschliches Ziel“ ist die Rede. Dieser explosiven, im päpstlichen Lehrschreiben verpackten Fundamentalkritik folgte von Seiten ihrer wichtigsten Zielgruppen in ersten Reaktionen überwiegend verständnislose Abwehr und Verdrängung statt nachdenklicher Betroffenheit.

Die einen relativierten den brisanten Text mit der Erklärung, sein Autor sei durch Erfahrungen in seiner argentinischen Heimat geprägt, deren seit Menschengedenken von sozialen Spaltungen geprägtes System sich grundlegend von unserem europäischen Modell unterscheidet. Andere waren allzu rasch mit dem Urteil zur Stelle, hier habe sich die Katholische Soziallehre wieder einmal mit Karl Marx verbündet.

Es ist zweifellos eine riskante Strategie, die der Papst da eingeschlagen hat. Denn derart laute Kritik lässt sich nicht beliebig oft äußern. Wenn sie ihre Adressaten nicht erreicht, war es wieder nur ein Donnergrollen ohne Konsequenzen. Der im Tonfall heiligen Zorns verfasste Wirtschaftsteil des Dokuments ist jedoch ganz offensichtlich nicht auf Ausgewogenheit des Urteils angelegt, sondern auf Provokation. Und pro-vozieren heißt: etwas hervorrufen wollen.

Dass im letzten Jahrzehnt die Orientierung an den eisernen Gesetzmäßigkeiten der Kapitalmärkte und dem Popanz des "Shareholder-Value“ überhandgenommen hat, ist wohl unbestreitbar. Statt die Wertschöpfung der Unternehmen zu fördern, forcierten internationale Großbanken mit Duldung der Politik einen spekulativen Finanzkapitalismus. Was den eigentlichen Erfolg eines sozial-marktwirtschaftlichen Systems ausmacht, geriet hingegen in Vergessenheit.

Aufruf zu grundlegender Erneuerung

Blinde Gläubigkeit an die Perfektion sich selbst regulierender Märkte hat verdrängt, dass Marktwirtschaft am besten dort funktioniert, wo klare Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb, Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit sorgen. Seit die hohen Folgekosten der Finanzkrise in zahlreichen europäischen Ländern den Mittelstand in Bedrängnis bringen und das Prekariat zu der am raschesten wachsenden sozialen Schicht machen, ist das leider nicht mehr selbstverständlich.

Die Gründer der Sozialen Marktwirtschaft haben ganz bewusst eine Alternative zu dem in der ersten Weltwirtschaftskrise schon einmal gescheiterten, zügellosen Finanzkapitalismus geschaffen. Die franziskanische Mahnpredigt des Papstes ist als Aufruf zu einer grundlegenden ordnungspolitischen Erneuerung zu lesen, mit der allein eine Wiederholung der Katastrophe von damals zu verhindern ist.

In diesem Sinn sollten sich die Wirtschafts-, Medien- und Wissenschaftseliten mit der päpstlichen Streitschrift auseinandersetzen, statt mit durchaus berechtigter Kritik an einzelnen Formulierungen die Kernbotschaft zu überhören. Denn der Appell ist in diesem Fall wichtiger als die sachliche Substanz.

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