Pröll zuerst richtig lesen

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Finanzminister Josef Pröll hat sich ein großes Verdienst erworben: Er eröffnete die fällige Debatte über Gerechtigkeit. Jetzt sollten sich viele einmischen. Denn die richtigen Fragen liegen noch lange nicht auf dem Tisch.

Josef Pröll hat Recht. Aber das, womit er Recht hat, trifft nur einen Teil der Wirklichkeit. Das ist der einzige und wahrlich milde Vorhalt, den man dem Vorstoß von Finanzminister und Vizekanzler Pröll für ein Transferkonto machen kann. Die Debatte darüber lohnt, ja, ist überfällig.

Die Initiative von Pröll trifft einen blinden Fleck der Öffentlichkeit. Man hat sich lange über wesentliche Fragen verschwiegen. Was ist gerecht und worin besteht Verteilungsgerechtigkeit? Worin besteht Leistung und was bedeutet dann Leistungsgerechtigkeit, etwa für Bezüge und für Steuern? Diese und andere Fragen blieben stets ausgeblendet, weil in Zeiten der Prosperität und des wirtschaftlichen Wachstums die Quelle drängenden Nachfragens mit Geld zugestopft wurde. Damit ist es vorbei. Längst geht es nicht mehr um die Umverteilung neuer Gelder, sondern um die Verteilung von Lasten für Schulden und für Fehler. Mit der Themenstellung muss sich wohl auch die Haltung ändern, mit der man in Österreich an politische Probleme herangeht.

Wer weniger verdient, erhält dafür mehr

Der Pröllsche Ansatz ist stimmig, greift allerdings etwas zu kurz, muss weiters erst richtig gelesen werden. Seine These: 2,7 Millionen Arbeiter und Angestellte verdienen weniger als 1205 Euro, zahlen daher keine Lohn- und Einkommenssteuer, seien aber zugleich die Hauptempfänger zahlreicher einkommensabhängiger Beihilfe. Dies führe dazu, dass „Steuerzahlerfamilien“ oft ein weit niedrigeres Einkommen hätten als jene, die gar keine Steuer zahlen, aber Anspruch auf zahlreiche Beihilfen hätten. Daher, so Pröll, frage er sich und seine Zuhörer: „Ist das Verteilungsgerechtigkeit?“

Wir sind versucht, zu sagen: Ja, genau darin besteht Verteilungsgerechtigkeit. Wer trotz voller Leistung weniger verdient, der soll mehr an staatlichen Leistungen erhalten, um an einem möglichst breiten, nahezu egalitären Lebensstandard teilhaben zu können. Denn es ist entwürdigend genug, so wenig zu verdienen, dass es bei vollem Einsatz eines Menschen nicht möglich ist, sich und die Seinen zu nähren. Aber darum ging es ja gar nicht. Denn Pröll beantwortete nicht die selbst gestellte Frage, ob das Verteilungsgerechtigkeit sei, sondern sprach über jene, durch deren Leistung die „vielen staatlichen Leistungen erst ermöglicht werden“. Das ist zwar so, macht es jetzt aber heikel.

In der Tat werden hier zwei Bevölkerungsgruppen einander gegenübergestellt, nämlich jene, die mehr aus Steuern erhält als sie abführt, gegenüber jener, die Steuern zahlt und dann ein niedriges Familieneinkommen erzielen als Erstere. Genau entlang dieser Linie verläuft eine, aber nicht die wesentliche Problematik. Diese sieht anders aus: Für die eine Gruppe stellt sich die Frage, ob die bezahlten Löhne nicht überhaupt zu niedrig sind. Und zwar so schändlich niedrig, dass nicht einmal einer der global führenden Besteuerungsstaaten wie Österreich sich getraut, das Vereinnahmte zu besteuern. Und für die andere Gruppe stellt sich die Frage, ob ihnen der Staat nicht so viel an Steuern wegnimmt, dass sich in deren Augen Leistung nicht mehr lohnt, zumindest nicht jene, die besteuert wird.

Klarheit als Grundlage für Gerechtigkeit

Natürlich ist es so, wie Pröll sagte: Nur durch jene Menschen, die Steuern zahlen, sind staatliche Leistungen erst möglich. Aber wir meinen, die Thematik der Gerechtigkeit sollte früher ansetzen: Bei den Löhnen und Gehältern, bei der Steuer und der Sozialversicherung, bei den Vermögenssteuern. Das sind inzwischen völlig undurchschaubare Systeme. Wer bitte kann hierzulande den Lohn- oder Gehaltszettel nachrechnen? Keiner. Haben nicht zu viele den jeweils anderen im Verdacht, bei weniger Leistung mehr zu verdienen? Und so wenig wie möglich davon zu versteuern? Gilt es denn nicht als Kavaliersdelikt, dem Steuer- und Sozialstaat ein Schnippchen zu schlagen, weil man sich damit ja ohnedies nur an der Obrigkeit rächt? All das gehört auf den Tisch, auf dem der Vorschlag des Transferkontos liegt. An diesem Tisch wird über Gerechtigkeit verhandelt, nicht aber die Spaltung der Gesellschaft.

* claus.reitan@furche.at

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