Reform oder Revolution

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Was bringt, was schadet die Marktwirtschaft? Ob sie Reichtum oder doch Armut für die große Masse der Menschen bringt und ob Alternativen oder doch Weiterentwicklungsmöglichkeiten gesucht werden müssen, diskutierten Wilfried Stadler und Ulrich Duchrow.

Die Diskussion über eine Alternative zur sozialen Marktwirtschaft ist wie eine Diskussion über eine Alternative zur Demokratie", meinte Investkredit-Chef Wilfried Stadler am Ende eines öffentlichen Streitgespräches mit dem deutschen Theologen und Wirtschaftsethiker Ulrich Duchrow. Den Rahmen für die Debatte bot die Veranstaltung "Auf der Suche nach Gerechtigkeit: Christlicher Glaube und die Herausforderungen der Globalisierung im 21. Jahrhundert" der Katholischen Sozialakademie Österreich. Duchrow und Stadler einte dabei die Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus. Aber während Duchrow die völlige Abkehr vom Kapitalismus fordert und ein neues System für nötig befindet, plädiert Stadler dafür, "für systeminterne Probleme auch systeminterne Lösungen zu finden."

Besitzende und Besitzlose

Duchrow bezieht sich in seiner Kritik unter anderem auf die Bibel. Denn schon dort werde die Einteilung der Gesellschaft in die Besitzenden, die aus ihrem Besitz Zinsen lukrieren, und die Besitzlosen, die die Kredite als Schuldsklaven abarbeiten müssen, verurteilt. Die Bibel habe darauf unter anderem reagiert mit poetischer Kritik, etwa bei Amos und Jesaja; rechtlichen Regelungen, etwa dem Zinsverbot als präventive Maßnahme gegen die Spaltungsprozesse und korrektiven Gesetze wie Schuldenerlass alle sieben Jahre und Schuldsklavenentlassung.

"Bereits die Bibel", erklärt Duchrow weiter, "fordert eine Ökonomie des ,Genug für alle' und lehnt eine Ökonomie der Akkumulation von Reichtum für wenige samt Verarmung und Versklavung der Mehrheit ab." Eben diese Verarmung und Versklavung werde aber im heutigen System des Kapitalismus deutlich. Denn auch die soziale Marktwirtschaft, etabliert in der Nachkriegszeit nach den Erfahrungen mit dem Laissez-faire-Liberalismus und der Weltwirtschaftskrise, biete keine Antworten auf die Globalisierung. Zum einen, weil sie durch die Arbeiterschaft erkämpft worden war, die aber seither massiv an Stärke verloren habe. Zum anderen, weil die soziale Marktwirtschaft nur dank nahezu unbegrenzten Wachstums möglich war. Duchrow: "Das Kapital konnte genügend Rendite abschöpfen, gleichzeitig blieb etwas übrig für die Verteilung." Unbegrenztem Wachstum stünden aber heute ökonomische und ökologische Gründe entgegen, außerdem baue der Kapitalismus auf fossilen Brennstoffen auf, die "spätestens in 40 Jahren erschöpft sind, wenn China sie weiter so beansprucht." Und schließlich seien Volkswirtschaften im Gegensatz zu den Anfängen der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr national regelbar. "Jetzt haben wir global mobiles Kapital, das Regierungen gegeneinander ausspielen kann, Arbeiterschaften gegeneinander ausspielen kann. Die Möglichkeit, seinen Einsatz zu regulieren, sind massiv zurückgegangen."

Dabei, betont er, sei er als Gegner des Kapitalismus keineswegs ein Befürworter der Planwirtschaft, "sondern eines sich von unten aufbauenden Wirtschaftssystems. Wir müssen uns zusammentun mit den Verlierern der Globalisierung. Und wir müssen uns zusammentun in regionalen, sich teilweise aus dem Weltmarkt ausklammernden Formen solidarischer, sozialer Ökonomie. Und diese Ökonomien müssen sich vernetzen, um Regulierungen zu erzwingen."

Wilfried Stadler dagegen fordert dazu auf, nicht "eine berechtigte Kritik an einer marktfundamentalistischen Übertreibung" darin enden zu lassen, "auf die Legitimationsfragen, die sich aus der Globalisierung und den Verrücktheiten der Kapitalmärkte heraus an die Marktwirtschaft stellen, systemfremde Antworten zu suchen." Nicht nur sieht er in diesem Ansatz die Gefahr eines Neofundamentalismus, "der uns auch nicht weiterbringt", sondern auch den Verzicht auf das, was "eine verantwortete Marktwirtschaft an Positivem hervorgebracht hat." Diese Marktwirtschaft gelte es, in einem systemischen Ansatz weiter zu entwickeln. Schließlich sorge sie - sofern sie gut organisiert sei - dafür, dass für die große Zahl der Menschen die persönlich frei entschiedene Verfolgung ihrer Lebensziele am besten möglich sei. Als Beispiel nennt Stadler die Straßenkinder von Bukarest, für die sich der österreichische Jesuit, Pater Georg Sporschill, engagiert. Von Journalisten Anfang des Jahres gefragt, wieso denn deutlich weniger Straßenkinder in der rumänischen Hauptstadt lebten als noch vor einigen Jahren, habe Sporschill geantwortet: "Wenn die Eltern Arbeit haben, gibt es keine Straßenkinder." Stadler dazu: "Diese Arbeit haben nicht Gegner der Marktwirtschaft geschaffen, sondern Menschen, die investiert und Betriebe aufgebaut haben."

Allerdings sei unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft die Etablierung einer Good Governance, deren wesentliche Elemente Demokratie, Rechtssicherheit, Erwerbsfreiheit und Menschenrechte seien. "Das Elend der Menschen ist dort am größten, wo es noch nicht gelungen ist, Good Governance zu etablieren", sagt Stadler. Daher auch seine Forderungen:

* Armutsbekämpfung durch Erreichung des 0,7-Prozent-Zieles. (Die Industriestaaten haben sich zwar bereit erklärt, 0,7 Prozent ihres jeweiligen Bruttosozialproduktes für die Bekämpfung der Armut in Entwicklungsländern zu verwenden, die tatsächlich eingesetzen Summen liegen aber darunter.)

* Staaten, die noch keine Good Governance haben, auf dem Weg dorthin zu unterstützen.

Ethik am Beginn

Man dürfe eines nicht vergessen, mahnt Stadler: "Ludwig Erhard und die anderen, die am Beginn der sozialen Marktwirtschaft gestanden sind, waren zutiefst von ethischen Überlegungen geleitet und sind aus einer wertegeleiteten Vernunft zu dem Schluss gekommen, dass eine Marktwirtschaft mit all ihren Kräften der Entfaltung von Wertschöpfung in einen politischen Rahmen gehört. Dass es also ein ganz selbstverständliches, mittlerweile aber zum Teil in Vergessenheit geratenes, Primat der Politik gibt." Allein schon der Begriff "soziale Marktwirtschaft" definiere das Soziale als etwas, was der Marktwirtschaft als Entscheidungsorgan vorausgehe. "Die jeweilige Gesellschaft ist also für die Spielregeln verantwortlich, in denen sich Marktwirtschaft bewegt. Und diese Spielregeln muss sie gestalten."

Eine Überschneidung der Forderungen Stadlers und Duchrows findet sich aber trotz aller Unterschiede: Als Konsequenz ihrer jeweiligen Argumente fordern beide eine Besteuerung von Finanzspekulationen und - zumindest in manchen Bereichen - ein Ende des innereuropäischen Steuerwettbewerbs. Duchrow: "Der Mensch muss wieder die zentrale Rolle spielen, nicht der Kapitalmarkt, der definiert, wie viel Freiheit er den Menschen lässt."

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