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Reformen für das Gesundheitswesen, nicht Selbstbehalte

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DieFurche: Wie wirken Selbstbehalte im Gesundheitssektor?

Professor Christian Köck: Zu keiner Frage des Gesundheitswesens gibt es so gute Daten wie zu der des Selbstbehal-tes. Die größte sozialwissenschaftliche Studie, die wohl je gemacht worden ist, hat sich hauptsächlich der Frage gewidmet, was Selbstbehalte bringen können.

DieFurche: Was kam dabei heraus?

Köck: Man muß bei Selbstbehalten zwei Effekte unterscheiden. Den einen - er ist der weniger wichtige - könnte man als Finanzierungseffekt bezeichnen: Ein Teil der Kosten wird durch Einführung eines Selbstbehaltes vom Patienten übernommen. Der zweite bewirkt eine Steuerung des Verhaltens. Wird ein Selbstbehalt eingehoben, so bewirkt er ab einer gewissen Höhe eine Verminderung der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen: Etwa 50 Prozent Selbstbehalt bis zu einem jährlichen Maximum von 10.000 Schilling bringen rund 25 bis 30 Prozent an Einsparungen. Die erwähnte Studie hat das Verhalten von 6.000 Patienten über sechs Jahre in verschiedenen Versicherungssystemen und verschiedenen Höhen von Selbstbehalten beobachtet. Die Ergebnisse lassen jedenfalls eindeutig einen Steuerungseffekt erkennen.

dieFurche: Bringen Selbstbehalte nach Bereichen (Arztbesuche, Medikamente ...) unterschiedliche Ergebnisse?

Köck: Da gibt es Unterschiede, aber sie fallen nicht ins Gewicht. Ein anderer Aspekt ist wichtiger, nämlich die Frage: Welche Mechanismen wirken? Zunächst bekommen die Patienten Interesse daran, Leistungen zu hinterfragen: Sind sie auch wirklich nötig? Dann wächst das Interesse, seltener in das Medizin-System einzutreten. Weiters gibt es den Effekt, daß billigere Anbieter belohnt werden, was sich mittelfristig auf die Preisstruktur des Gesundheitswesens auswirkt. Wir in Österreich haben ja ein System, in dem es völlig egal ist, ob ein Krankenhaus Kosten spart oder nicht. Schließlich gibt es noch einen Punkt: Wir können in den Industrieländern davon ausgehen, daß mehr Medizin vor allem auch Spitzenmedizin - nicht unbedingt auch besser ist. In vielen Fällen ist die Frage berechtigt: In welche Gefahren bringt uns die Medizin? Da hat der Selbstbehalt nicht nur eine kostendämpfende, sondern kann auch eine qualitätssteigernde Wirkung haben.

dieFurche: Was heißt das: Die Medizin bringt uns in Gefahr?

Köck: Man kann davon ausgehen, daß rund vier Prozent aller Patienten eines Krankenhauses eine behandlungsbedingte Erkrankung erleiden: Krankenhausinfektionen, Zwischenfälle bei Operationen, Medikamentennebenwirkungen ... Krankenhäuser sind gefährliche Aufenthaltsorte. Man begibt sich nicht ohne Gefahr an einen Ort, wo man in Menschen hineinschneidet, wo Keime in großer Zahl sind, die es sonst nicht gibt. Außerdem wird in manchen Bereichen zu viel operiert: Wahrscheinlich sind 20 Prozent der Uterus-Entfernungen, 60 Prozent aller Bluttransfusionen unnötig. Zu viele Röntgen-Aufnahmen werden gemacht...

dieFurche: Soll man also Selbstbehalte einfuhren?

Köck: Da geht es um eine Frage, zu der Ökonomen eigentlich nichts sagen können. Das ist eine Frage der Wertung. Der Selbstbehalt ändert ein Grundprinzip unseres Gesundheitssystems: Krankheit soll nicht dazu führen, daß der Betroffene mehr zahlen muß. Unsere Beiträge zur Sozialversicherung richten sich nach der Höhe des Einkommens des Versicherten und nicht danach, ob jemand mehr oder weniger krank ist. Führt man aber einen Selbstbehalt ein, so entsteht die Situation, daß jene, die mehr krank sind, auch mehr zu zahlen haben. Ob Österreich so ein Gesundheitssystem haben soll oder nicht, ist keine ökonomische Frage.

dieFurche: Bringt ein Selbstbehalt ihrer Meinung nach derzeit etwas?

Köck: Wenn ich mich frage, ob ein Selbstbehalt an der derzeitigen Schwachstelle unseres Gesundheitssystems ansetzt, so ist die Antwort nein. Alle sind darüber einig, daß Österreich eine grundsätzliche Systemreform braucht. Wird diese aber durch einen Selbstbehalt, wie er vorgeschlagen wird, eher gefördert? Meine Antwort: Derzeit würde er sie eher behindern, weil ein zusätzlicher Finanzierungstopf aufgemacht wird und der Druck auf Beform schwächer wird.

Und noch etwas: Mit dem Selbstbehalt lenkt man Patientenströme. Da wir ein Gesundheitssystem mit zu vielen Krankenhausaufenthalten haben, bringt es nichts, wenn wir einen Selbst-behalt für die Inanspruchnahme der Leistung des niedergelassenen Arztes einführen.

dieFurche: Wo müßte die Reform ansetzen?

Köck: Im Bereich des Angebots ein medizinischen Leistungen. In Österreich wird eben viel zu viel im Krankenhaus erledigt. Wir haben im OECD-Durchschnitt zu viele Krankenhausbetten, zu lange Aufenthalte.

dieFurche: Ein zu teurer Ork?

Köck: Ja. Die Leistung wird einerseits besonders teuer erbracht und es wird weitaus mehr getan als bei häuslicher Pflege. Geht man mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus, so wird mit dem Patienten viel mehr unternommen, als der Hausarzt es tun würde. Für viele Behandlungen sind Krankenhäuser also tendentiell ungünstiger.

dieFurche: Also muß man den Zugang zum Krankenhaus erschweren?

Köck: In Österreich gibt es ja einen freien Zugang zum Krankenhaus. Gesundheitssysteme, die ihre Probleme gut in den Griff bekommen, regulieren in gewisser Form den Zugang zu den speziellen Einrichtungen. Da kann man beispielsweise als Patient nicht wie in Wien morgens entscheiden: Ich gehe ins AKH, weil ich mich nicht wohl fühle. Dieser freie Zugang ist ein Problem, denn kaum ist man ins System eingetreten, ist es schwierig zu verhindern, daß dort unnötige Untersuchungen gemacht werden.

dieFurche: Welche angebotsseitige Maßnahmen bieten sich an?

Köck: Maßnahmen auf zwei Ebenen: Wir brauchen ein System mit einer Anreizumkehr. Niedergelassene Arzte sollten nichts davon haben, wenn sie mehr am Patienten tun. Sie sollten nicht für Mehrleistungen honoriert werden. Denkbar wäre folgendes: Jeder Versicherter sucht sich einen Primärarzt. Dieser ist von da an für die Grundbetreuung dieser Person verantwortlich und wird dafür regelmäßig von der Kasse bezahlt. Damit hat der Arzt ein Interesse daran, daß sein Klient nicht krank wird. Und wenn er erkrankt, ist der Arzt verpflichtet, ein definiertes Spektrum von Maßnahmen zu setzen, bevor er den Patienten an den Facharzt oder ans Spital weiterreichen darf.

Für den Kranken bekommt der Arzt nicht mehr Geld als für den Gesunden. Der Arzt ist also daran interessiert, daß seine Klientel möglichst gesund bleibt.

dieFurche: Sie sagten in Osterreich gäbe es zu viele Krankenhausbetten...

Köck: Ja. Man wird einige sperren müssen, sicher mehr als die zehn Prozent, von denen Gesundheitsministerin Krammer im Krankenanstaltenplan gesprochen hat. Außerdem bedarf es einer besseren Kommunikation zwischen den Versorgungsstufen des Systems. Daß Leute beim niedergelasse-' nen Arzt Untersuchungen machen, die im Krankenhaus wiederholt werden, ist ein Unfug.

DieFurche: In einem solche Umstrukturierungspakte hätte dann auch der Selbstbehalt eine Funktion?

Köck: Wenn das angebotseitige Problem gelöst wäre, müßte man sich fragen, ob wir dann noch eine so grundsätzliche Abkehr von den Prinzipien unseres Gesundheitssystems wollen und brauchen. Das ist aber, wie gesagt, eine grundsätzliche, über das Ökonomische hinausgehende Frage.

Professor Dr. Christian Köck ist Arzt und Gesundheitsökonom, war fünf Jahre lang für die Organisationsentwicklung im Bereich der Wiener Krankenhäuser zuständig und ist seit September Gastprofessor in Harvard Mit ihm sprach Christof Gaspari

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