"Reine Pflanzenkost könnte kritisch sein"

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Seit Jahren plädieren Ernäh-rungsexperten für einen häufigeren Griff zu Getreide, Gemüse und Co. Vor veganer Kost (ohne Milch, Milchprodukte und Eier) wird jedoch gewarnt. Auch Wolfgang Marktl, Professor am Institut für medizinische Physiologie der Universität Wien, mahnt im furche-Gespräch zur Vorsicht.

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Seit Jahren plädieren Ernäh-rungsexperten für einen häufigeren Griff zu Getreide, Gemüse und Co. Vor veganer Kost (ohne Milch, Milchprodukte und Eier) wird jedoch gewarnt. Auch Wolfgang Marktl, Professor am Institut für medizinische Physiologie der Universität Wien, mahnt im furche-Gespräch zur Vorsicht.

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die furche: Angesichts der BSE-Krise und des Schweinefleisch-Skandals überlegen viele Menschen, ihren Fleischkonsum zur Gänze oder großteils aufzugeben. Welche alternativen Ernährungsformen stehen zur Auswahl?

Wolfgang Marktl: Im Vordergrund steht bei uns der Lacto-Ovo-Vegetarier. Er konsumiert Milch und Eier, dafür aber kein Fleisch. Es handelt sich hier um eine im Prinzip vollständige Ernährungsform. Wir können beim Lacto-Ovo-Vegetarier kein gesundheitliches Problem erkennen. Die nächste Stufe wäre der Lacto-Vegetarier. Er isst keine Eier und kein Fleisch. Dass er keine Eier isst, hat ethische Gründe, weil er meint: "Aus dem Ei könnte ein Lebewesen entstehen, das ich mit dem Verzehr praktisch töte!" Auch mit dieser alternativen Ernährungsform gibt es kaum Probleme. Anders ist die Situation beim reinen Vegetarier, dem Veganer, der absolut nichts akzeptiert, was von Tieren stammt. Seine Ernährung beruht ausschließlich auf Pflanzenkost, was aus ernährungswissenschaftlicher Sicht durchaus problematisch sein kann. Bei Personengruppen wie Kindern, Heranwachsenden und sehr alten Menschen kann es zu Mangelerscheinungen kommen, wenn ohnedies einseitige Ernährungsweisen vorliegen. Da könnte reine Pflanzenkost kritisch sein.

die furche: Um welche Mangelerscheinungen könnte es sich handeln?

Marktl: Was mit Sicherheit bei dem absoluten Vegetarier - Veganer auftritt, ist ein Vitamin B12-Mangel. Anders ist die Situation bei der Folsäure, denn sie ist im Gegensatz zum Vitamin B12 auch in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten. Würde der Vitamin B12-Mangel drei bis vier Jahre anhalten, könnte es zur perniziösen Anämie (bösartige Blutarmut. Anm.) kommen. Da aber für den Erwachsenen pro Tag nur drei Milligramm davon zur Supplementierung notwendig sind, ist diese Menge auch für Veganer leicht erreichbar.

die furche: Wird der Körper überhaupt mit einer radikalen Umstellung von Fleischverzehr auf Pflanzenkost fertig?

Marktl: Keine Frage, es würde sich im Körper einiges umstellen. Dasselbe geschieht, wenn man zum Veganer wird. Denn ohne Milch und Milchprodukte könnte es Probleme bei der Versorgung mit Eiweiß, Kalzium und Eisen geben. Zwar sind diese Stoffe auch in Pflanzen enthalten, doch für den Menschen in nicht gut verfügbarer Form. Auszugleichen wäre etwa das Manko an Eiweiß durch Getreide und Hülsenfrüchte. Allerdings ist die Zusammensetzung des Eiweißes in beidem nicht ideal.

die furche: Wie lässt sich diese Kostform optimaler gestalten?

Marktl: Entscheidend hängt eine Aufwertung davon ab, wie vielseitig die Kostform ist. Wenn ich etwa jeden Tag ein Linsengericht esse, so ist das einseitig. Trinkt man zusätzlich täglich einen Liter Milch, hat man kein Problem in der Eiweißversorgung.

die furche: Viele Konsumenten steigen inzwischen auf Sojaprodukte um. Wie beurteilen Sie dies?

Marktl: Auch eine Ernährung nur mit Sojaprodukten ist nicht ideal! Das für uns hochwertigste Eiweißgemisch besteht aus Kartoffeln plus Ei. Man muss jedenfalls mehrere Pflanzenproteine miteinander kombinieren.

die furche: Was ist Ihr Resümee zu unserer jetzigen Fleischkrise?

Marktl: Wir alle sind an der gegenwärtigen Misere schuld. Unsere Vorfahren aßen seltener Fleisch. Unser ausufernder Fleischverzehr, unsere Unvernunft und Gier haben letztlich zur Massentierhaltung geführt. Hier ist ein Wandel dringend notwendig! Ich rate jedem, kritisch und bewusst seine Lebensmittelauswahl zu treffen. Gelegentliche Fehler kompensiert unser Organismus ohnedies. So empfindlich ist er durchaus nicht.

Das Gespräch führte Chris Stadtlaender

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