Riskante Schnäppchen

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Produktpiraterie ist ein blühender Wirtschaftszweig. Geschätzte 280 Milliarden Euro Schaden entstehen dabei jährlich. Aber nicht nur der wirtschaftliche Verlust ist enorm - Imitate können tödlich sein.

Die typischen Urlaubsmitbringsel bereiten nicht immer Freude: Die zum Schnäppchenpreis am Strand von Grado erworbene Uhr, die einer Rolex so täuschend ähnlich sieht, oder das vermeintliche Lacoste-Shirt aus Bangkok, das hierzulande das Dreißigfache kosten würde, entpuppt sich manchmal als wahre Toxinschleuder. Denn niemand verhindert die Verwendung giftiger Farben in gefälschten Textilien, und die Uhr landet schnell im Müll, wenn den Besitzer allergische Reaktionen plagen.

Produktpiraterie, die unberechtigte Übernahme einzelner oder aller Elemente von bereits im Markt eingeführten Produkten oder besonders geschützten Entwicklungen, ist vielerorts ein lukrativer Wirtschaftszweig. Vor allem in Thailand, China, Russland, Serbien, Spanien, Italien und in der Türkei betreiben Fälscher ihre Produktionsstätten. Die Internationale Handelskammer (ICC) schätzt, dass fünf bis sieben Prozent des Welthandels mit Plagiaten erwirtschaftet werden. Demnach belaufen sich die Umsatzeinbußen der Markenartikel-Hersteller weltweit auf rund 280 Milliarden Euro. Mit dem erwirtschafteten Geld werden sogar Terroraktivitäten finanziert. Die islamische Gruppe, die 1993 das World Trade Center in die Luft sprengen wollte, hat sich zum Teil durch den Verkauf von gefälschten T-Shirts und Sportartikeln finanziert. Und es wird vermutet, dass die nordirische IRA mit dem Verkauf der illegal kopierten Version des Films "Lion King" bis zu sechs Millionen Euro verdient hat.

Kein Kavaliersdelikt

"Viele Konsumenten sehen Produktpiraterie noch immer als Kavaliersdelikt", bemängelt der Geschäftsführer der ICC in Wien, Maximilian Burger-Scheidlin, im Furche-Gespräch. Den wenigsten sei dabei bewusst, dass der wissentliche Erwerb verbotener Nachahmungen strafbar ist. Aber was bei Schmuck- und Kleidungsimitaten noch vergleichsweise harmlose gesundheitliche Folgen haben kann, stellt sich auf einem anderen Gebiet eventuell als fatal heraus: "Derzeit wird mit gefälschten Flugzeugteilen weltweit mehr Geld gemacht als mit Drogen", erklärt Burger-Scheidlin. Die möglichen Konsequenzen minderwertiger Produkte in der Luftfahrt kann man sich leicht ausmalen.

Auch die Fahrzeugindustrie bleibt nicht verschont: Amerikanische Experten schätzen, dass US-Autofirmen jährlich umgerechnet elf Milliarden Euro durch gefälschte Teile verlieren. Bei einigen Autounfällen mit tödlichem Ausgang in den USA wurde festgestellt, dass die Bremsbacken aus Holzspänen gefertigt waren. Auch der österreichische Zoll konnte schon gefälschte Mercedes-Bremsbacken sicherstellen.

Ebenso "beliebt" sind medizinische Produkte: "Vor allem bei den im Internet angebotenen Medikamenten sind zahlreiche gefälschte dabei. Viele davon enthalten gefährliche Substanzen", warnt der ICC-Geschäftsführer und erzählt von jährlich tausenden Todesopfern in China und Nigeria, weil dort der Handel mit medizinischen Fälschungen blüht.

550.000 verbotene Kopien

In Österreich, wo vor allem die Zollämter für die Feststellung und Beschlagnahme gefälschter Produkte zuständig sind, wurden im ersten Halbjahr 2004 mehr als 800 Lieferungen von verbotenen Imitaten entdeckt. Insgesamt 550.000 kopierte Artikel wurden aus dem Verkehr gezogen. Der Großteil davon waren Computerspiele und Spielzeug sowie Bekleidungszubehör wie Taschen, Brillen und Schuhe. Und 160.000 Zigaretten. Der Wert der entsprechenden Originalprodukte: mehr als 4,5 Millionen Euro. Der tatsächliche Schaden dürfte ein Vielfaches betragen. Schätzungen zufolge werden in anderen Bereichen der Wirtschaftskriminalität nur fünf bis zehn Prozent aller Kriminalfälle bekannt. Trifft das auch auf den Bereich der Produktpiraterie zu, kann man in Österreich von einem Schaden von mindestens einer Milliarde Euro jährlich ausgehen. Und da sind die Verluste, die der Musikindustrie durch illegale Internet-Tauschbörsen entstehen, noch nicht einmal eingerechnet; ebensowenig die Schäden heimischer Firmen, deren Produkte gefälscht und in anderen Ländern vertrieben werden, von großen Maschinen über Wintersportgeräte bis hin zu Strumpfhosen.

Auch der Vorarlberger Wäschehersteller Wolford wurde schon Opfer von Fälschern. Firmensprecherin Margot Lang erzählt, dass es reiner Zufall war, dass die Imitate überhaupt gefunden wurden: "Eine Mitarbeiterin von uns war in Taiwan unterwegs und hat auf einem Straßenmarkt eine Verpackung gesehen, die unseren Kartons täuschend ähnlich sah. Es stellte sich dann heraus, dass es eine Fälschung war." Trotz Einschaltung der Rechtsabteilung waren die Produzenten jedoch nicht zu finden, auch die Anzahl der Imitate, die in Umlauf gebracht worden waren, ließ sich nicht eruieren.

Seit Juli dieses Jahre gilt in Österreich das neue Produktpirateriegesetz, das auf der ebenfalls seit Juli gültigen Produktpiraterie-Verordnung der Europäischen Union basiert. Die Verordnung sieht vor, dass Markenproduzenten bei den Zollämtern einen Antrag auf Tätigwerden stellen können. Sie machen Angaben über Vertriebswege und Erkennungsmerkmale ihrer Produkte, zusätzlich über eventuell bereits bekannte Fälschungen. Werden dann Artikel gefunden, die nicht den offiziellen Merkmalen entsprechen, wird der Markeninhaber von dem Verdacht informiert. Wenn er und der Eigentümer der Ware zustimmen, werden die Fälschungen durch die Zollbehörde vernichtet. Alternativ kann der Markeninhaber auch ein Gerichtsverfahren anstrengen. "Das passiert aber selten", erklärt der Produktpiraterie-Experte im Finanzministerium, Gerhard Marosi. "Meistens stimmen die Geschädigten einer Vernichtung zu, das spart enormen Aufwand und Kosten." Im Vorjahr, sagt Marosi weiter, habe es 600 Vernichtungen, aber nur etwa zehn bis zwölf Gerichtsverfahren gegeben. Ein Problem bei den Verfahren: Die Produzenten sind kaum greifbar, höchstens die Importeure. Diese müssten allerdings teilweise mit hohen Strafen rechnen, betont er. "Wenn ihnen Gewerbsmäßigkeit nachgewiesen werden kann, müssen sie den Wert der Originalware ersetzen. Außerdem droht eine Haftstrafe."

Vor einer solchen muss sich der Urlauber im falschen Lacoste-Shirt und mit vermeintlicher Rolex am Handgelenk normalerweise nicht fürchten. Die Freude über die Schnäppchen macht aber möglicherweise bald dem Ärger über zollrechtliche oder gesundheitliche Konsequenzen Platz.

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