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Rückblick und Ausblick

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Eine Charakteristik der österreichischen Wirtschaftsentwicklung in den vergangenen zwölf Monaten könnte pauschal in die Feststellung gekleidet werden, daß eine auf anhaltenden Aufschwung der Binnenwirtschaft gerichtete aktive Konjunkturpolitik partielle Schwächen im Export auszugleichen vermochte und so von der Rezession in den USA und dem Nachlassen der Expansion in Westeuropa ausgehende Abschwä-chungstendenzen auf dem heimischen Markt praktisch kaum fühlbar werden ließ. Da im gegenwärtigen Zeitpunkt kaum Grund zu der Annahme besteht, daß die sich abzeichnende Wende im weltwirtschaftlichen Geschehen auf Oesterreich schon unmittelbare Auswirkungen haben könnte, wird sich für die kommenden zwölf Monate die Beibehaltung das bisher mit Erfolg beschrittenen Weges wohl von selbst empfehlen.

So steht die österreichische Wirtschaft auch zu dieser Jahreswende gefestigt und stolz auf die von ihr erzielten Leistungen da. Zur Illustration nur einige wenige Ziffern. Der Gold- und Devisenbestand der Nationalbank nimmt ständig zu; er belief sich Ende Oktober auf einen Gegenwert von 16,4 Milliarden Schilling gegenüber 13,2 Milliarden Schilling im gleichen Monat des Vorjahres. Die valutarischen Bestände reichen zur Deckung eines durchschnittlichen Importbedarfes von sieben Monaten aus. Die Summe der Spareinlagen stieg von 15,7 Milliarden Schilling Ende September 1957 auf 20,4 Milliarden Schilling. Der Index der Lebenshaltungskosten ermäßigte sich von 732,2 auf 728,5. Gestiegen sind auch die Indizes von Industrieproduktion und Produktivität. Die Zahl der Beschäftigten war im Oktober d. J. mit 2,258.900 um 6000 höher als zur gleichen Zeit des Vorjahres, wobei allerdings zugleich infolge eines größeren Arbeitskräfteangebotes die Rate der Arbeitslosigkeit von 3,0 auf 3,5 Prozent anstieg. Der Fremdenverkehr entwickelte sich überaus günstig. Für heuer erwartet man ein Devisenerträgnis im Gegenwert von etwa 4,3 Milliarden Schilling, wobei der Fremdenverkehr den ersten Rang unter allen Devisenbringern — also auch vor Stahl und Eisen — einnehmen dürfte. Oesterreich hat damit zum zweitenmal die Schweiz überrundet und steht nunmehr im europäischen Tourismus aberr mals an dritter Stelle hinter Frankreich und Italien. Mit dem zu erwartenden Einnahmeergebnis wird auch die strukturell passive Handelsbilanz ausgeglichen werden können.

Damit aber bin ich bei einem Kapitel angelangt, das insbesondere in dem vor uns liegenden Jahr noch weit intensiverer Aufmerksamkeit bedürfen wird als bisher. Der Wert der österreichischen Exporte ging in den ersten drei Quartalen 1958 von 18,8 auf 17,7 Milliarden Schilling zurück. Von dem Gesamtrückgang entfielen allein 777 Millionen Schilling auf Eisen und Stahl. Hier ist zum Teil zweifellos die seit 10. Februar d. J. innerhalb der Montan-Union bestehende Zollfreiheit und die damit zwangsläufig verbundene Diskriminierung der österreichischen Exporte, insbesondere nach Italien, die Ursache. Da die Einfuhr in dieser Periode 20,9 Milliarden Schilling erreichte, ergibt sich ein Defizit von 3,2 Milliarden Schilling. (Gleichzeitiges Devisenerträgnis des Ausländerreiseverkehrs 3,8 Milliarden Schilling; bei Abzug der Ausgaben für Auslandsreisen von Inländern verbleiben davon 3,1 Milliarden Schilling.)

Mit den OEEC-Staaten wickelten wir nahezu drei Vierteln unseres Außenhandels ab, mit den Oststaaten etwa 12 Prozent, mit den USA ebensoviel. Unsere Wirtschaft ist somit weiterhin mit dem Ablauf des westeuropäischen wirtschaftlichen Geschehens aufs engste verknüpft. Unser Export liegt seit Beginn 1958 — bei Ausschaltung der Preissenkungen — um 4 Prozent unter dem Vorjahrsniveau. Dieser Rückgang ist keineswegs bedeutsam; aber er ist eine Mahnung. Mahnung zu noch vermehrter und verbesserter Leistung. Gewiß hat die Abschwächung der Konjunktur auf den Weltmärkten auch in den meisten anderen Ländern zu einer Einbuße der Außenhandelsumsätze geführt, doch liegt Oesterreichs Ausfuhrrückgang um etwas mehr als die Hälfte über dem OEEC-Durchschnitt. Dies ist offenbar eine Folge unserer krisenempfindlichen Exportstruktur.

Indessen schafft die Erholung der amerikanischen Wirtschaft auf den internationalen Märkten wieder ein freundlicheres Klima. Wir erwarten deshalb, daß sich insbesondere die für Oesterreich entscheidende westeuropäische Wirtschaft an die etwas abgeschwächte Konjunkturlage anpaßt. Mittlerweile hat vor allem der

Bund durch die Erstellung eines auf die gegebenen Verhältnisse zugeschnittenen Voranschlages für 1959 das möglichste getan, um den Ueber-gang in eine Periode neuen Aufschwunges möglichst reibunglos verlaufen zu lassen. Das Budget sieht bekanntlich an Ausgaben 40,4 Milliarden Schilling, davon 37,4 im ordentlichen und 3 Milliarden Schilling im außerordentlichen Haushalt vor. Dabei hofft man, das Defizit im ordentlichen Budget durch Mehreinnahmen aus der Welt zu schaffen. Die Ermächtigung des Finanzministers, zur Bedeckung des außerordentlichen Budgets für 4 Milliarden Schilling in- und ausländische Anleihen aufzunehmen, deutet darauf hin, daß dieses Budget praktisch ausschließlich auf diesem Wege finanziert werden wird. In jedem Falle werden die wirtschaftsfördernden Tendenzen nicht geringer sein als heuer. Kann Oesterreich der zu erwartenden neuen Welle der wirtschaftlichen Expansion dank dieser konjunkturgerechten Budgetpolitik schon von einer günstigeren Warte aus entgegensehen als Länder, die vorerst einen Rückschlag überwinden mußten, so wird auch der schließliche neue Start in der Außenwirtschaft auf einer um so festeren Grundlage stehen.

All diese erfreulichen Bilanzen und Perspektiven werden überschattet von der wirtschaftspolitischen Entwicklung im freien Europa. Am 16. April 1948 war unter der Patronanz weitblickender Männer diesseits und jenseits des Atlantiks die Organisation für Europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit gegründet worden, mit dem Hauptzweck, die Wiederaufbauarbeit der durch den zweiten Weltkrieg schwer getroffenen freien Staaten dieses Kontinents zu koordinieren und zu fördern. Die in dem vergangenen Dezennium in den Mitgliedsstaaten erzielten Erfolge sind beachtlich, ja vielfach bewundernswert. Ganz besonderen Anteil daran hatte die Ausweitung der zwischenstaatlichen Handelsbeziehungen, die bewußt durch weitestgehende Befreiung des Warenverkehrs von Jedweden Beschränkungen gefördert wurde. Die Gründung der Europäischen Zahlungsunion setzte an die Stelle des handelshemmenden zweiseitigen Aus- . gleichs von Forderungen und Schuld das zweckmäßigere System des multilateralen Verrechnungsverkehrs. Daneben vollzog sich im Rahmen des GATT eine sukzessive Herabsetzung der Zölle. Es braucht nicht erst betont zu werden, daß alle diese Vereinbarungen die Ausschließung jeglicher Diskriminierung zur obersten Richtschnur hatten.

Durch den Vertrag von Rom haben sich die schon bisher in der Montan-Union vereinigten sechs Staaten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammengeschlossen. Bekanntlich wird dieser Vertrag mit 1. Jänner 1959 in Form von Zollsenkungen und Kontingenterhöhungen praktisch wirksam. Großbritannien war es, das vor bald drei Jahren die Idee der Freihandelszone in das europäische Wirtschaftsgespräch trug. Das Auf und Ab der unter dem Vorsitz von Minister Maudling geführten diesbezüglichen Verhandlungen ist bekannt. Tatsache bleibt, daß die Freihandelszone jedenfalls termingerecht nicht zustande kam, ja daß Frankreich das bisherige britische Konzept hierfür endgültig abgelehnt hat.

Was nunmehr den nicht der EWG angehörenden OEEC-Staaten zur Milderung der Diskriminierung an Konzessionen angeboten wird, ist für diese — und damit auch für Oesterreich — höchst unbefriedigend. Während die EWG-Staaten am 1. Jänner 1959 ihre Zölle untereinander um 10 Prozent senken, werden diese Zollsenkungen gegenüber den GATT-Staaten nur Industrieprodukte und nur jene Zollsätze betreffen, die über dem ab 1962 schrittweise in Kraft tretenden gemeinsamen Außenzolltarif der EWG liegen. Das trifft aber bei zahlreichen Positionen nicht zu. Die Zollsenkung schließt auch die Montanwaren aus. Ferner erhöhen die EWG-Staaten im gegenseitigen Handel ihre globalen Einfuhrkontingente um 20 Prozent; sie billigen den anderen elf aber nur auf Reziprozität beruhende zehnprozentige Kontingenterhöhungen zu. Auch die neu einzuführenden Minimalimportkontm-gente von 3 Prozent der Inlandsproduktion bei bisherigem Fehlen eines Kontingents bleiben auf die EWG-Staaten beschränkt.

So beinhalten die vom Ministerrat in Brüssel gefaßten Beschlüsse noch immer eine beträchtliche Benachteiligung der Exportinteressen der anderen elf Länder. Die Vorzugsbehandlung innerhalb der EWG bedeutet zwangsläufig eine Diskriminierung der Außenstehenden. Und hier kommt man mit den Satzungen der OEEC in Konflikt, die ausdrücklich den Grundsatz der Gleichberechtigung vertreten. Was sich Europa aber gerade jetzt am allerwenigsten leisten kann, ist eine Aufspaltung in Blöcke, ein Wirtschaftskrieg, wofür nach dem lachenden Dritten nicht erst lange Umschau gehalten werden muß. Aber elbst der wirtschaftlich starke Raum der Sechs wird eines Tages die Vorteile des noch größeren europäischen Marktes voll erkennen und sein Handeln — so hoffen wir — danach einrichten. Oesterreich aber wird weiter bemüht bleiben, an der Auffindung und Realisierung wirklich europäischer Lösungen mitzuwirken. Möge das Jahr 1959 die Bestätigung des Wortes von der „Dynamik des Unvollkommenen“, die entscheidende Wendung zur Vernunft und die endgültige Sicherung der künftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa bringen.'

Alles in allem: Wir werden auch 1959 vor schweren Entscheidungen stehen, aber mit Optimismus und Selbstvertrauen, mit harter Arbeit und gewissenhaften Ueberlegungen und vor allem mit dem vom Herrgott erbetenen Segen unseren Weg zu weiterer wirtschaftlicher Wohlfahrt gehen.

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