Rückzug der Bahn, Vormarsch des Lkw

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Auf dem Programm der Bundesbahnen steht die Einstellung des Betriebs auf den Nebenbahnen. Lauter Protest in den betroffenen Regionen, Ärger bei den Umweltbewegten. Was bleibt vom Schlagwort "Schiene statt Straße?"

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Auf dem Programm der Bundesbahnen steht die Einstellung des Betriebs auf den Nebenbahnen. Lauter Protest in den betroffenen Regionen, Ärger bei den Umweltbewegten. Was bleibt vom Schlagwort "Schiene statt Straße?"

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Ist die Rede davon, Bahnlinien einzustellen, kommt bei vielen automatisch eine nostalgische Wehmütigkeit auf: Wieder ein Stück Bahn weniger! Zählt man aber die Passagiere auf der betroffenen Strecke, so stellt man sehr oft fest: gähnende Leere in Abteilen. Unreflektiert wünscht man sich also den Fortbestand des Bahnverkehrs (die Bahn ist ja auch das mit Abstand ökologisch sinnvollste Verkehrsmittel für etwas längere Strecken) - aber wer steigt deswegen auch auf den Zug um? Vielleicht einmal bei einem Ausflug. Aber selbst da ...

Weil aber die Bahnen zu einer betriebswirtschaftlich vertretbaren Unternehmenspolitik gezwungen sind, lautet das Programm der ÖBB: Einstellung der Nebenbahnen. Insgesamt sollen es 32 sein (siehe Kasten), allein in Niederösterreich 23 Strecken. Das macht 1.600 Kilometer weniger Schienennetz zu betreuen und bringt Einsparungen von jährlich 1,5 Milliarden Schilling.

Auslöser für dieses Projekt der ÖBB waren die im Regierungsprogramm den Bundesbahnen verordneten Einsparungen von rund neun Milliarden Schilling in den kommenden drei Jahren. Für den ÖBB-Generaldirektor Helmut Draxler ein willkommener Anlass, sich von dem Ballast dieser Defizitbringer zu befreien. Was sich betriebswirtschaftlich nicht rechnet, wird eben abgestoßen oder heruntergefahren.

Letzteres geschieht ja jetzt schon. Ein Beispiel: Die Strecke Wiener Neustadt-Aspang. Dort sind derzeit sechs Bahnhöfe besetzt. Nach Installierung der vollelektronischen Zugleitanlangen werden es nur mehr zwei sein. Statt 23 Fahrdienstleitern wird man auf der Strecke dann nur mehr sechs brauchen.

Kostengünstiger wird das zwar sein, aber kundenfreundlich sicher nicht. Und so werden viele, vor allem Pensionisten, ausbleiben und auf den Bus umsteigen. Ist dieser ein ÖBB-Bus, mag das zwar betriebswirtschaftlich vorteilhaft sein. Aber "Schiene statt Straße" ist dann erst recht ad absurdum geführt.

Die Bahn: Rückzug aus der Fläche Gegen solches Ausdünnen und Zusperren protestieren klarerweise Lokal- und Landespolitiker. Unterschriften gegen das Zusperren werden gesammelt. "Das dürften sich die Länder nicht gefallen lassen," meinte etwa die zuständige Salzburger Landesrätin Gabriele Burgstaller. Man werde sich eben nach einem anderen Betreiber für die Krimmler Bahn umschauen.

Wem soll man nun in dieser Frage Recht geben? Eines ist jedenfalls festzuhalten: Je mehr sich die Bahn aus der Fläche zurückzieht und je mehr sie sich auf die Hauptachsen konzentriert, umso mehr verliert sie als Verkehrsmittel an Bedeutung. Sie vermag nämlich zu guter Letzt, Personen und Güter überhaupt nur mehr zwischen großen Agglomerationen und in deren Einzugsbereich zu befördern.

Soll das Konzept "Schiene statt Straße" nicht zu einem inhaltsleeren Schlagwort verkommen, so gilt es, die umfassende Dienstleistung der Bahnen zu erhalten. Der Verkehrsexperte, Professor Hermann Knoflacher formuliert es so: "Was die Bahnen brauchen, sind viele Bahnhöfe, ein Management, das vernetzt denkt und handelt und eine Verkehrspolitik, die die übrigen Verkehrssysteme auf die Bahnhöfe ausrichtet, gerechte Fahrkosten verlangt und faire Wettbewerbsbedingungen schafft." ("Landschaft ohne Autobahnen", Böhlau, Wien 1997, öS 336.-)

Der springende Punkt ist also die Verkehrspolitik. Und diesbezüglich ist in der Regierungserklärung der ÖVP/FPÖ-Koalition nichts wirklich Zukunftsweisendes zu finden (siehe Kasten). Nichts jedenfalls, was auf eine gezielte Förderung der Schiene gegenüber dem weiterhin stark überhandnehmenden Straßenverkehr hinweisen würde.

Dass eine solche Umorientierung aber höchste Priorität haben sollte, zeigt nicht zuletzt eine kürzlich vorgestellte Studie der Arbeiterkammer: Allein in den neunziger Jahren habe der grenzüberschreitende Güterverkehr in Österreich um 50 Prozent zugenommen. Und besonders markant war die überproportionale Zunahme beim Straßengüterverkehr, dessen Anteil von 47 auf 55 Prozent anstieg, insbesondere im Handel mit unseren westlichen Nachbarn. Keine Spur also von "Schiene statt Straße".

Dasselbe Bild beim Verkehr über den Brenner. Pausenlos neue Rekorde beim Lkw-Transit. Im Vorjahr lagen dessen Werte um 14 Prozent über dem, was bei Österreichs EU-Beitritt vereinbart wurde. Und allein im ersten Quartal 2000 gab es eine weitere Steigerung um zwölf Prozent. Von Verlagerung auf die Bahn also auch hier keine Spur. Zwar habe Österreich die dafür notwendigen Voraussetzungen geschaffen, stellt das "Transitforum Tirol-Austria" fest, aber Italien und Deutschland seien säumig. Daher erwägt das Forum ernsthaft Blockade-Maßnahmen auf dieser Nord-Süd-Verbindung, denn ohne Veränderung der Rahmenbedingungen werde eben weiter der bequeme Straßengüterverkehr bevorzugt, Das haben die Erfahrungen der letzten Jahre bewiesen - trotz aller gegenteiliger Beteuerungen.

Solange der Straßenverkehr so kostengünstig ist wie heute, wird sich an seiner Explosion nichts ändern.

Subventionierter Straßenverkehr Diesen Umstand hat er allerdings allein der Tatsache zu verdanken, dass er massiv subventioniert wird, wie auch eine im Vormonat in Brüssel vorgestellte Untersuchung der Situation in den 15 EU-Staaten sowie in Norwegen und der Schweiz ergab: Mit 92 Prozent Anteil ist der Straßenverkehr hauptverantwortlich für die externen Verkehrskosten. Unter diesen sind alle Folgen zu verstehen, die vom Verkehr verursacht, aber von der Allgemeinheit getragen werden, also beispielsweise Spitals- und Rehabilitationskosten nach Unfällen, Aufwendungen für den Umweltschutz oder negative Wirkungen auf das Klima.

Kostenwahrheit bleibtdas Grundprinzip Zugegeben, die Studie war von internationalen Eisenbahnverbänden in Auftrag gegeben worden. Also mögen ihre Zahlen etwas günstig für die Schienentransporte ausgefallen sein. Aber selbst wenn man diese mögliche Schlagseite mitberücksichtigt, geben sie doch zu denken: Der Wert dieser externen Kosten des Straßenverkehrs beläuft sich nämlich im Erhebungsjahr 1995 auf beachtliche 8.325 Milliarden Schilling für die oben genannten 17 Länder. Das entspricht einem Wert von neun Prozent von deren Bruttonationalprodukt! So jedenfalls die Studie, die eine Internalisierung dieser Kosten des Verkehrs einmahnt.

Und damit sind wir bei einer zentralen Forderung an die Verkehrspolitik: Sie hat dafür Sorge zu tragen, dass die tatsächlich entstehenden Kosten einer Tätigkeit, dem Verursacher dieser Kosten zugerechnet werden. Kostenwahrheit ist ein Grundprinzip vernünftigen Wirtschaftens. Im Bereich des Verkehrswesens wird es jedoch systematisch missachtet. Und damit arbeitet der heutige Verkehr zu Dumpingpreisen, die es betriebswirtschaftlich sinnvoll machen, Waren des täglichen Konsums über Hunderte, ja Tausende Kilometer zu karren.

Nun mag man einwenden, die Regierung sehe ohnedies die Einführung einer Lkw-Maut auf den österreichischen Autobahnen ab 1. Juli 2002 vor, also werde der Straßenverkehr ja verteuert. Die vorgesehenen zwei Schilling pro Kilometer sind aber viel zu wenig, sie stehen in keinem Verhältnis zu den tatsächlich erzeugten Kosten.

Die bisherigen Maßnahmen der Regierung mit Auswirkungen auf das Verkehrswesen sind daher äußerst kritisch zu beurteilen. Keine Rede einer zukunftsweisenden Verkehrspolitik. Die Verteuerung der Maut-Vignette, die Erhöhung der motorbezogenen Versicherungssteuer, die Einführung der Lkw-Maut und die Kürzung bei der ÖBB sind rein budgetpolitisch motiviert. Sie haben nur minimale ökologische Steuerungswirkung. Und sie werden, wie die verordneten Sparmaßnahmen für die ÖBB zeigen, zu einem weiteren Verkümmern des Schienenangebotes führen.

Statt die Bahn zu begünstigen, wird sie weiter unter einen (unfairen) Wettbewerbsdruck gesetzt. Also wird sie sich weiter auf die großen Achsen konzentrieren, auf die West- und Südbahn sowie die Alpen querenden Nord-Süd-Verbindungen. Und sie wird ihr Angebot weiter ausdünnen, überall dort, wo es sich derzeit nicht rentiert.

Und der Slogan "Schiene statt Straße" bleibt ein Spruch für Sonntagsreden von Politikern vor umweltbewegtem Publikum.

ZUM THEMA Regierungserklärung zum Verkehr: - Liberalisierung und Wettbewerb im Schienenverkehr. Gezielte Erleichterung des Zugangs Dritter zur Schieneninfrastruktur.

- Schaffung eines verkehrträgerübergreifenden Bundesverkehrswegeplanes.

- Umweltfreundlicher Ausbau von Bahn-, Straßen und Wasserstraßen.

- Optimierung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs, auch hinsichtlich der Bestellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen.

- Zusätzliches Güterverkehrsaufkommen sind auf umweltfreundlichen Verkehrsträgern abzuwickeln. Dieser Grundsatz soll vor allem im Zuge der EU-Erweiterung gelten. Die Liberalisierung der Verkehrsmärkte mit den Beitrittsländern soll von umweltpolitischen Schutzmaßnahmen abgesichert werden.

- Rascher und ökologischer Transport von Gütern durch Österreich; anzustreben sind Verbundlösungen, kombinierter Verkehr - Logistik/Management.

- Lückenschluß im hochrangigen Straßennetz.

- Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur gerade in Randlagen als Strukturförderung und zur Verkehrsvermeidung durch Telearbeit; insbesondere im ländlichen Raum.

Nebenlinien auf der Abschussliste * Außerfernbahn * Krimml-Zell am See * Klagenfurt-Rosenbach * Braunau-Steindorf * Kammer-Vöcklabruck * Ried-Attnang-Puchheim * Schärding-Ried/lnnkreis * Aschach-Haiding * Grünau-Wels * Aigen/Schlägl-Linz/Urfahr * Gmünd-Groß Gerungs * Zwettl-Schwarzenau * Waidhofen/Thaya-Schwarzenau * Hadersdorf-Sigmundsherberg * Drosendorf-Retz * Zistersdorf-Drösing * Gaweinstal-Gänserndorf * Gänserndorf-Marchegg * Engelhartstetten-Siebenbrunn * Lunz/See-Waidhofen/Ybbs * Kienberg-Pöchlarn * St. Pölten-Mariazell * St. Pölten-Wieselburg * Türnitz-Freiland * St. Aegyd-Traisen * Gutenstein-Wr. Neustadt * Schneeberg-Wr. Neustadt * Wulkaprodersdorf-Parndorf * Lackenbach-Deutschkreuz * Oberwart-Friedberg * Vordernberg-Leoben * Bad Radkersburg-Spielfeld

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