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Ruhepausen vor der Pension

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Die Grünen stellen ein „einfaches und transparentes" Pensionssystem mit folgenden Elementen vor: Grundeinkommen im Alter, Versicherungspension im Huckepack, Arbeitsurlaub statt Pension, Splitting, sowie eine Mindest- und Höchstpension.

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Die Grünen stellen ein „einfaches und transparentes" Pensionssystem mit folgenden Elementen vor: Grundeinkommen im Alter, Versicherungspension im Huckepack, Arbeitsurlaub statt Pension, Splitting, sowie eine Mindest- und Höchstpension.

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Zur Vorwarnung: Wer vom Grünen Pensionsmodell eine detaillierte Alternative zu unserem bestehenden System der Altersversorgung einfordert, wird vermutlich enttäuscht werden. Für einige Denk- und Diskussionsimpulse in einer Problematik, die sich schon seit Jahren festgefahren hat, müßte es allerdings schon reichen.

Schon seit einigen Jahren ist eines der größten Probleme unseres Pensionssystems Gegenstand von Koalitionsvereinbarungen. Die Regierungsparteien SPO und ÖVP haben in ihrem Arbeitsübereinkommen vom 17. Dezember 1990 etwa vereinbart: „Jede zukünftige Änderung im Altersversorgungsrecht muß eine weitere Auseinanderentwicklung zwischen den unterschiedlichen Systemen ausschließen. Alle Änderungen müssen daher in gleicher Weise für alle Alterssicherungssysteme gelten."

„Damit das System der Pensionsvorsorge auch weiterhin verständlich bleiben und als gerecht empfunden werden kann, sind die derzeit verschiedenen Pensionssysteme nur parallel fortzuentwickeln und langfristig zusammenzuführen. Nicht mehr begründbare Unterschiede sind auszugleichen."

Geschehen ist bis zu den Wahlen 1994 im wesentlichen nichts.

Im November 1994 vereinbarten die Regierungsparteien allerdings in ihrem Arbeitsübereinkommen:

„Die Regierungsparteien werden den Weg der Harmonisierung und längerfristigen Absicherung im Pensionssystem fortsetzen."

Eine gefährliche Drohung angesichts der Untätigkeit der Regierungskoalition bis zu diesem Zeitpunkt. In den wenigen Monaten der letzten Gesetzgebungsperiode wurde die Regierung allerdings tätig:

Bis 1994 haben Arbeiter, Angestellte und Beamte zwar verschiedene Pensionssysteme mit verschiedenen Leistungen gehabt, aber zumindest gleich hohe Beiträge (Arbeitnehmeranteil: 10,25 Prozent) gezahlt.

Seit 1995 gibt es nun auch verschieden hohe Pensionsbeiträge:

■ die ASVG-Versicherten zahlen 10,25 Prozent,

■ die Beamten zahlen 11,75 Prozent und

■ die Eisenbahner zahlen ab einer be stimmten Einkommenshöhe gar 12,25 Prozent (sonst 10,25 Prozent).

Der Weg zur versprochenen Harmonisierung der Pensionssysteme ist damit erheblich erschwert worden. Die konservative Beamtengewerkschaft jubelt nicht völlig zu Unrecht, daß mit dem höheren Beitrag das eigenständige Beamtenpensionsrecht zementiert worden ist.

Nichtsdestotrotz haben sich in der vergangenen Wahlbewegung erneut alle (!) fünf im Parlament vertretenen Parteien zur Harmonisierung der Pensionssysteme bekannt. Doch wie diese Harmonisierung anzugehen ist, auf welchem Niveau harmonisiert werden soll, darüber dürfte noch wenig Klarheit und schon gar nicht Einigkeit bestehen.

Die gesetzlichen Grundlagen unserer Sozialversicherung (und damit auch der Pensionsversicherung) für die unselbständig Beschäftigten sind in einem äußerst umfangreichen Gesetzeswerk, dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), geregelt. Seit seiner Einführung in den fünfziger Jahren ist das ASVG 110 mal (darunter sind die 52 offiziellen Novellen) geändert worden. Zum Vergleich: in der Schweiz ist die Alters- und Hinterbliebenenversorgung, die seit den dreißiger Jahren existiert, im Vorjahr nach mehrjähriger Debatte novelliert worden: zum zehnten Mal!

Was im ASVG für die unselbständig Beschäftigten geregelt ist, findet sich in fast gleichlautenden Gesetzen für die Selbständigen, die Bauern, die Gewerbetreibenden. Insgesamt regeln sieben Pensionsträger die Durchführung des Pensionsrechts.

Was der Gesetzgeber den Versicherten mit dem Sozialversicherungsrecht zumutet, hat auch den Verfassungsdienst erzürnt und dazu veranlaßt, dringend Änderungen in Rich-tung Vereinfachung und Lesbarkeit einzufordern.

Mit dem Grünen Pensionsmodell wird nicht nur das österreichische Pensionssystem neu fundamentiert, sondern auch das Pensionsrecht entschlackt. Durch die Trennung in zwei Stufen, eine Solidarstufe, die das Grundeinkommen für alle im Alter garantiert, und eine Versicherungsstufe, die nach versicherungsmathematischen Kriterien und erwerbsabhängig gestaltet ist, wird das Pensionssystem einfacher und transparenter.

Erst dann, wenn diese Voraussetzungen gegeben sind und das Pensionsrecht alle - Unselbständige, Selbständige, Bauern und Beamte -umfaßt, kann das, was die meisten für den Kern der Harmonisierung halten, die Zusammenlegung der Pensions-Versicherungsanstalten, erfolgen und damit auch der Verwaltungsaufwand reduziert beziehungsweise die Verwaltung bürgernah ausgestaltet werden (regionale Gliederung).

Derzeit (Ende 1995) werden über 2,1 Millionen Pensionen an knapp 1,9 Millionen Pensionisten und Pensionistinnen ausbezahlt. Davon entfallen zirka 280.000 Pensionen an Pragmatisierte und deren Hinterbliebene. Für die Pensionen aus dem Bereich der Pensionsversicherungen werden ungefähr 240 Milliarden Schilling aufgewendet, für die Pensionen der Pragmatisierten rund 100 Milliarden. Rund 15 Prozent der Pensionisten und Pensionistinnen kommen aus dem Kreis der Pragmatisierten, rund 66 Prozent aus dem Kreis der ASVG-Versicherten. Während allerdings die 66 Prozent ÄSVG-Versi-cherten nur über rund 60 Prozent des gesamten Pensionsvolumens verfü-genkönnen, entfallen auf die 15 Prozent Pragmatisierte etwa 30 Prozent des Pensionskuchens. Das ist das erste Element ungleicher Verteilung zwischen den Pensionssystemen.

Aus Steuermitteln werden zwischen 120 und 130 Milliarden Schilling aufgebracht, die zwischen den unterschiedlichen Pensionssystemen völlig ungleich verteilt werden. Während der Bundesbeitrag für die ASVG-Versicherten rund 30 Milliarden Schilling beträgt, wird für die wesentlich kleinere Gruppe der Selb-ständigenpensionen annähernd die gleiche Summe als Bundesbeitrag aufgebracht. Die Pensionen für Pragmatisierte erhalten über 60 Milliarden Schilling aus Steuermitteln (in dieser Summe ist allerdings auch der „Arbeitgeber"anteil des Staates enthalten).

1955, als das ASVG in Kraft gesetzt wurde, versprach der Bund noch eine Drittelfmanzierung (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Bund). In den siebziger Jahren betrug der Bundeszuschuß für die ASVG-Pensionen rund 25 Prozent. Heute liegt er dort bei 15 Prozent, während er bei den Selbständi-genpensionen in Richtung 80 Prozent tendiert. Das ist das zweite Element ungleicher Verteilung zwischen den Pensionssystemen.

Ein drittes Element liegt in der Höhe der Pensionen. Während Frauen (sofern sie die Anspruchsvoraussetzungen überhaupt erfüllen) als Arbeiterinnen und Bäuerinnen mit extrem niedriger! Eigenpensionen zwischen 3.000 und 5.000 Schilling im Durchschnitt auskommen müssen, können die Spitzenpensionen bei Pragmatisierten die 100.000-Schilling-Grenze erreichen: eine Relation von 1:30 zwischen Niedrigst- und Höchstpensionen, die bei den Aktiveinkommen fast nicht vorstellbar ist! Das bestehende Pensionssystem vergrößert die Ungleichheit des Erwerbslebens, besonders die zwischen Männern und Frauen.

Manche allerdings fallen überhaupt aus dem Pensionssystem hinaus. Eine knappe halbe Million Menschen (darunter 400.000 Frauen) verfügt derzeit über keinerlei Pensionsanspruch, hat also keine eigenständige Existenzabsicherung im Alter. 250.000 Frauen werden zumindest über eine Witwenpension abgesichert, 150.000 allerdings haben überhaupt keine finanziellen Ansprüche.

Das bestehende Pensionssystem produziert also nicht nur Ungleichheit und Ungerechtigkeit, sondern auch Armut im Alter.

(Fortsetzung Seite ß)

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