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Bei den derzeitigen Milchpreisen bleiben den Milchbauern nur drei bis vier Euro Stundenlohn. Deutlich zu wenig zum Überleben, daher fordert die Interessenvertretung IG-Milch faire Preise. Und droht mit Boykott.

Das Bauernsterben ist kein Phänomen der vergangenen Jahre. Doch zehn Jahre nach dem Beitritt Österreichs zur eu scheint bei den Milchbauern die Schmerzgrenze erreicht zu sein: Gab es 1994 landesweit noch knapp über 80.000 Milchbetriebe, so ist jetzt die 50.000er-Grenze bereits unterschritten. "Und diese Zahl soll sich in den nächsten zehn Jahren auf 25.000 weiter halbieren", zitiert Ewald Grünzweil aus düsteren Zukunftsprognosen. Grünzweil ist Bauer und geschäftsführender Obmann der im vergangenen Jahr gegründeten ig Milch. "Wir haben die Höfe von unseren Eltern übernommen und wollen sie an unsere Kinder weitergeben. Deshalb müssen wir kämpfen", zeigt er klar auf, nicht gewillt zu sein, diese Entwicklung widerspruchslos hinzunehmen. Gemeinsam mit inzwischen rund 4500 Weggefährten - das ist immerhin bereits ein Zehntel aller österreichischen Milchbauern - hat er sich geschworen, zu sagen, was Sache ist: "Damit nehmen wir endlich wieder einen Teil des Schicksals in unsere Hand."

Knackpunkt Milchpreis

Die Sache, um die es sich zentral dreht, ist der niedrige Milchpreis. Dieser beläuft sich für die Bauern derzeit auf 26 bis 28 Cent netto pro Kilogramm Milch, was fast exakt einem Liter entspricht. "Zur Zeit des eu-Beitrittes haben wir noch umgerechnet 38 bis 40 Cent von den Molkereien bekommen, von da an ging es stetig nach unten - während alles andere wie Strom und Sozialversicherung teurer wurde", schildert Grünzweil den großen Einkommensverlust. Ständig sei den Landwirten von ihrer Standesvertretung geraten worden, zu rationalisieren. Doch sobald eine Rationalisierung wie der Stallausbau abgeschlossen war, sei der gewünschte Effekt aufgrund des inzwischen niedriger gewordenen Milchpreises meist auch schon wieder verpufft gewesen: "Im Jahr 2001 kauften die Leute wegen der bse-Krise weniger Fleisch und mehr Milch, woraufhin der Preis das bisher letzte Mal merklich auf 36 bis 37 Cent anstieg. Wenn wir diesen Wert als Vergleich hernehmen, haben wir im Jahr 2004 ganze 64 Tage umsonst gemolken. Wir geben den Rationalisierungsprozess direkt an den Handel weiter." Dies bedeute einen Verdienst von drei bis vier Euro pro Stunde, was natürlich auf Dauer nicht zum Leben reiche: "Wir machen es gerne, es ist auch unser Traumberuf, aber wir haben auch das Recht auf einen fairen Lohn."

Stundenlohn drei Euro

Da bei der Durchsetzung des "Rechtes auf einen fairen Lohn" nach Meinung vieler Milchbauern die Standesvertreter von Bauernbund und Landwirtschaftskammern versagt haben, begannen sie, sich in Form gezielter Proteste Handel und Molkereien selbst vorzuknöpfen: Zahlreiche Billa-, Zielpunkt- und andere Filialen, die Milch oder Butter zum Diskontpreis anboten, sahen sich im vergangenen Jahr auf einmal einer Hundertschaft protestierender Bauern und - zumindest genauso schlimm - auch einigen davon berichtenden Journalisten gegenüber. In Verhandlungen mit Filial-, Einkaufs- oder Marketingleitern konnten die Vertreter der gerade erst in Aufbau befindlichen ig Milch oft recht schnell ihre Forderungen nach einem Ende der Diskontangebote durchsetzen. Inzwischen scheint mit dem auf die öffentliche Meinung sensibel reagierenden Handel eine Einigung erzielt worden zu sein: Er habe die mündliche Zusage so gut wie aller maßgeblichen Handelsketten, bestimmte Preisgrenzen nicht zu unterschreiten, erklärt Grünzweil. Demnach muss der Liter Eigenmarken-Milch im Geschäft mindestens 69 Cent, der Liter Markenmilch mindestens 89 Cent kosten und soll ein Viertel Kilogramm Butter nicht unter 99 Cent zu haben sein. "Und diese Preise werden auch lückenlos eingehalten." Dass dies immer noch sehr wenig ist, zeigt der Vergleich mit dem Jahr 1994: Damals kostete der Liter Milch im noch geschützten österreichischen Agrarmarkt umgerechnet zirka 1,10 Euro.

Weniger erfolgreich waren Grünzweil & Co. bisher bei ihren direkten Abnehmern, den Molkereien. Hier wird immer wieder darauf verwiesen, dass der Milchmarkt grenzenlos geworden sei und die Konkurrenz dementsprechend auch - nicht nur im In- sondern ebenso im Ausland. Auf mittlere Sicht sei zu erwarten, dass sich auch hierzulande der Milchpreis für Bauern Schritt für Schritt weiter dem Weltmarktpreis von rund 22 Cent nähern wird. "Um das Geld kann kein einziger Bauer in Österreich kostendeckend produzieren", schüttelt der ig-Milch-Chef den Kopf.

Und sind sie nicht willig ...

Gemeinsam mit Kollegen aus ganz Europa will er mithelfen, andere Fakten zu schaffen: Nämlich einen Milchpreis von mindestens 35 Cent netto bis September 2005 und von mindestens 40 Cent ein Jahr darauf. Denn dann würde im Zusammenhang mit einer Förderung von rund zehn Cent pro Liter Milch ein gerechter Preis bestehen. Um dies zu erreichen, haben sich im ersten Schritt die unzufriedenen Milchbauern aus Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien, Schweden, Dänemark, Spanien, Italien, Schweiz und eben Österreich vernetzt, "denn wir lassen uns nicht mehr von unseren Standesvertretungen gegeneinander ausspielen". Überall seien den Landwirten mit Hinweis auf Nachbarländer eine Vergrößerungen des Viehbestandes nahegelegt worden: In Österreich habe das "Vorbild" Bayern geheißen, in Bayern Norddeutschland und in Norddeutschland Holland.

Grundübel WTO

Im zweiten Schritt wollen die Bauern Ende dieses Jahres einen europaweiten Milchboykott folgen lassen, dessen Vorbereitung bereits läuft. Da sich bisher vor allem die großen Landwirte den Protestbewegungen angeschlossen haben, sieht Grünzweil gute Chancen für einen Erfolg: "Nur ein europaweiter Protest mit einer hohen Beteiligung hat einen Sinn. In Deutschland sind bereits Bauern mit 40 Prozent der gesamten Milchmenge dazu bereit, bei uns ist der Anteil ebenso hoch. Wir machen aus der kurzen Haltbarkeit der Milch, die normalerweise unsere größte Schwäche ist, unsere größten Stärke." Wie Erfahrungen aus anderen Ländern gelehrt hätten, würden eklatante Lieferengpässe rasch zu Panikkäufen führen.

Keine reelle Chance auf Veränderungen sehen hingegen die Molkereien: "Die größten Sorgen machen wir uns im Zusammenhang mit den bevorstehenden wto-Verhandlungen, die noch im heurigen Jahr abgeschlossen werden sollen. Sollte die europäische Agrarpolitik die österreichischen Milchbauern und die nachgelagerten Verarbeitungsbetriebe wirklich ungeschützt den Weltmarktbedingungen aussetzen, dann ist mittelfristig mit drastischen Einschnitten bei Milchbauern und Verarbeitungsbetrieben zu rechnen", erklärte Hans Steiner, Präsident der Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter, anlässlich einer Pressekonferenz im April.

Gerade die Aussage vom scheinbar ausweglosen, von der Welthandelsorganisation wto diktierten Marktmechanismus lässt Grünzweil nicht gelten: "Auf dem Markt spielt auch das Unternehmensimage eine wichtige Rolle. Es fragen beispielsweise immer mehr Konsumenten bei uns an, von welcher Molkerei sie Milchprodukte kaufen sollen." In diesem Sinne verfolgen die aufständischen Bauern das hoch gesteckte Ziel, durch ihre Aktionen ein Umdenken in der eu-Politik herbeizuführen, denn "das Grundübel ist der Kniefall der eu vor den usa und der wto".

Nicht radikal - trotz Bové

Großen Wert legt Grünzweil darauf, dass die ig Milch bisher ausnahmslos friedlich protestiert hat und dieser Linie auch treu bleiben werde - wie er meint, nicht gerade zum Wohlgefallen der arrivierten Bauernvertretungen, "die uns in ein radikales Eck drängen wollen". Besonders deutlich klangen diese Töne an, als der radikale französische Bauernführer José Bové anlässlich seines mehrtägigen Österreich-Besuches im April auch an einer Demonstration der ig Milch vor der nöm-Zentrale in Baden teilnahm. Nur die Agrochemiekonzerne profitierten davon, dass die wto "Einheitspreise, Öffnung der Grenzen und Aushöhlung der Regionalpolitik" vorantreibe, zeigt er sich überzeugt. "Aufgrund dieser Politik ist die Landwirtschaft der ganzen Welt und sind alle Bauern in Gefahr", warnt der Gründer der Kleinbauerngewerkschaft "Confédération Paysanne". Sein Ziel ist klar: "Wir müssen die Landwirtschaft aus den Klauen der wto befreien."

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