Schatten über der Sonneninsel

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Kreta präsentiert sich sonnig und optimistisch wie ehedem. Aber die Krise, die Griechenland im Griff hat, ist auch im Ferienparadies spürbar.

Krise. Demonstrationen, Unruhen, Generastreik. Es klingt nicht beruhigend, was der Sommergast über Pad und Kopfhörer vernimmt. Kaum aber hebt er den Blick, zeigt sich eine andere Welt: Sonnengebräunte Menschen liegen um den Pool, freundliches Personal bringt Erfrischungen, der Kuss eines Liebespaares nimmt kein Ende. Langsam dämmert es dem Urlauber: Mit der Wirklichkeit, in der er sich befindet, haben die Schlagzeilen nichts zu tun. Wo Krise und Niedergeschlagenheit herrschen sollten, dominieren Freundschaft und Lebensfreude. Das Video der kretischen Fremdenverkehrswerbung von 2012 endet mit dem Slogan: "Sehen Sie selbst. Fühlen Sie selbst.“ Ist Kreta von der großen Krise verschont geblieben?

Im Konferenzsaal einer Hotelanlage an der Nordküste Kretas hat eine österreichische Journalistengruppe unter Führung des griechisch-orthodoxen Metropoliten aus Wien Platz genommen. Ihre Gesprächspartner sind Bürgermeister aus der Region, Hoteliers und Touristiker mit einer klaren Botschaft an Urlauber aus Österreich: Kreta ist schön und interessant. Vergesst die Krise. Kommt und genießt, wir werden euch mit allen Künsten griechischer Gastfreundschaft verwöhnen.

Alles Sonne, alles Wonne?

Es gibt Grund zur Zuversicht. Die zuletzt massiv eingebrochenen Tourismuszahlen erholen sich langsam. Die Europäer kehren zurück. Auch die Österreicher buchen wieder mehr Kreta-Urlaube.

300 Sonnentage pro Jahr und das damit in großen Mengen produzierte Vitamin D helfen mit, zuversichtlich zu sein, sagt der Hotelier Alexandros Angelopoulos. Kreta sei daher so etwas wie das Land des Optimismus. Angelopoulos verleitet dieser Optimismus zum kühnen Satz: "Die Krise war zu Ende, als sie begann.“ Die eigentliche Krise, meint er, sei die Art und Weise gewesen, wie man in Griechenland vor dem Fast-Bankrott gelebt habe. Man könne eben nicht ständig mehr ausgeben als einnehmen. Außerdem hätten Griechen immer Schwierigkeiten gehabt, ihre Eigenbrötelei zu überwinden und zusammenzuarbeiten. Jetzt aber, so Angelopoulos, zögen etwa die ewigen Konkurrenten Iraklío und Chania an der Nordküste Kretas an einem Strang. Gemeinsam will man das Tourismusangebot diversifizieren und damit auch die Saison verlängern. Neben den Strandurlaubern sollen vermehrt Wanderer und Radfahrer auf die Insel kommen.

Die orthodoxe Kirche engagiert sich für den Ausbau des Religionstourismus. Malerisch gelegene Klöster, Ausgrabungen aus frühchristlicher Zeit oder die gut rekonstruierten Wege des Apostels Paulus im Süden bieten sich an. Auch für Bildungshungrige ist Kreta ein ergiebiges Ziel - jene Insel, auf der nach mythologischer Erzählung Zeus geboren wurde und die Minoer die erste europäische Hochkultur schufen. Minoer und Mykener, Griechen und Römer, Sarazenen und Venezianer, Osmanen und der griechische Befreiungskampf (man feiert heuer 100 Jahre Anschluss Kretas an Griechenland) haben jeweils sehenswerte Spuren hinterlassen. Also alles Sonne, alles Wonne?

Im Einzelgespräch erscheinen dann doch Sorgenfalten auf Alexandros Angelopoulos’ Stirn. Vom Festland her wetterleuchtet die innenpolitische Krise nach der Schließung des Staatsrundfunks. "Ein schwarzer Tag für Griechenland“, sagt Angelopoulos. Heute kann die Regierung einen Rücktritt vermeiden, dennoch rechnet man in Athen mit baldigen Neuwahlen.

Aber Sorgen bereitet auch Angelopoulos’ eigenes Geschäft. Zum ersten Mal zahlt der Staat 2013 den im Tourismus Beschäftigten keine Überbrückungshilfe mehr für die Wintermonate. Nicht alle können sich mit Jobs in der Landwirtschaft über Wasser halten, wenn die Hotels schließen. Mit Gehältern von 600 bis 800 Euro ist es aber schwer möglich, genug Geld für die lange arbeitslose Zeit anzusparen, auch wenn das Trinkgeld gut ist. Angelopoulos rechnet mit Protesten im Herbst. Dazu kommen Finanzierungsprobleme. Bisher war es üblich, im Winter anfallende Reparaturen und Investitionen, aber auch Gehälter mit Krediten zu finanzieren. Jetzt, in Zeiten der Krise, vergibt die keine Bank mehr, die Finanzierung wird knapp. Werden Hotels schließen? "Vielleicht nicht schließen“, sagt Angelopoulos, "aber die Besitzer wechseln“.

Helle und düstere Farben

Besuch beim Regionspräsidenten von Kreta, Stavros Arnoutakis, in der Inselhauptstadt Iraklío. Er zeichnet das Bild der Lage in hellen Farben. Die Krise sei eine Chance auf eine bessere Zukunft, sagt der frühere Europaparlamentarier. Der Abwanderung von klugen Köpfen aus Kreta und Griechenland, dem Brain Drain, setzt er ein "Brain Gain“ entgegen. Ein Forschungsinstitut bei Iraklío soll interessante Leute anziehen. Die Zukunft kann kommen.

"Ich bin froh, dass ich das nicht übersetzen musste, ich hätte nicht so positiv sprechen können“, sagt unten auf der Straße Vater Michalis, ein gut Deutsch sprechender Priester, der die Journalisten begleitet. Warum nicht? "Die Menschen leiden doch!“ Nach dem Mittagessen erzählt Michalis von der Arbeitslosigkeit, die auch in Kreta spürbar hoch ist. Und von den vielen Familien, die ihr Essen täglich von der Kirche bekommen, weil sie sonst ohne Hilfe wären. Der Priester leidet auch selbst mit. Sein Gehalt wurde auf 1000 Euro gekürzt. Davon muss er Miete zahlen und seine fünfköpfige Familie ernähren. Neben den vielen Steuern und Abgaben, die das Familienbudget nun arg belasten, ärgert ihn vor allem eines: Ab dem dritten Kind hebt der Staat eine Kindersteuer ein. 415 Euro soll er für 2012 berappen, weil er mehr als zwei Kinder hat.

Viel Selbstkritik ist in diesen Tagen zu hören, viel über die Bereitschaft, das mit billigem Geld finanzierte "falsche Leben“ sein zu lassen. Vor allem Kirchenvertreter sehen in der Finanzkrise tiefer liegende spirituelle und moralische Ursachen. Nur verhalten klingt Kritik an Europa an. Griechenland fühle sich als "Versuchskaninchen“, an dem Methoden zur Rettung Europas ausprobiert würden, sagt der Regionspräsident.

Europas Solidarität ist gefragt

"Warum hat Europa nicht früher gehandelt?“, fragt Amfilochios, der Metropolit von Kisamos und Selino. "Und warum setzt es jetzt so radikale Maßnahmen?“ Die Kirche hilft, wo sie kann. Von den 25.000 Einwohnern seiner Diözese erhalten 1500 täglich eine warme Mahlzeit. 100 wohnen in kirchlichen Heimen, sie wären sonst obdachlos.

Von den Europäerinnen und Europäern anderer Länder wünscht sich der Metropolit vor allem eines: Solidarität. Es ist ihm nicht entgangen, wie abwertend einige Politiker und Medien über das griechische Volk geurteilt haben.

Sonne und Schatten. Kreta hat von seiner Faszination nichts eingebüßt. Das strahlende Antlitz der Insel, die Freundlichkeit der Menschen und der gute Wein machen es den Besuchern nicht einfach, Krisensymptome wahrzunehmen. Und doch sind sie da.

Zum Beispiel im ostkretischen Kritsa. Der Leiter einer Kooperative für Olivenöl zeigt den Besuchern stolz die Produktionsstätten. Die Nachfrage stimmt, 80 Prozent gehen in den Export. Europa ist an guter Qualität interessiert. Yiannis Rapanis, ein Mitarbeiter, der die Flaschen auf Glasschäden überprüft, erzählt dann auch, was man derzeit in Griechenland nicht oft zu hören bekommt: Sein Gehalt von sechs Euro pro Stunde sei trotz Krise nicht gesunken. Doch dann kommt das große Aber: Die neuen Steuern sind erdrückend. Für sein Haus, für seine eigenen Olivenbäume, für den Grund, auf dem sie stehen: auf alles und jedes werden plötzlich Steuern erhoben. Und weil Yiannis vier Kinder hat, zahlt er gleich doppelt Kindersteuer. Drei Jobs hat er jetzt. Trotzdem ist es schwer geworden, die Familie zu ernähern.

Die Werbung lügt nicht: Kreta ist ein guter Ort zum Abschalten und Urlauben. Aber die Insel wird von der Krise nicht verschont. Für viele Kreterinnen und Kreter sind die Zeiten äußerst hart. Und keiner weiß, wann es besser wird.

Der Autor ist ORF-Religionsjournalist. Im September erscheint bei Styria Premium sein Buch "Durch die Krise kommt keiner allein. Was Griechenland Europa lehrt“.

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