Schnitten für den Kaiser

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Der Süßwarenhersteller Manner ist eines der Unternehmen, die weltweit für Österreich stehen. Und es ist eines von denen, die tatsächlich österreichisch geblieben sind.

Nähme man den Österreichern ein paar ganz bestimmte Sachen weg, hätte das zur Folge, daß der Österreicher nur noch ganz wenig Österreicher wäre, vielleicht gar kein Österreicher mehr.Er wäre dann ent-österreichert, ein unbestimmtes, wesenloses Individuum, letztendlich neutralisiert. Diese ganz bestimmten, wie ich sie nennen will: austrolegendären Sachen sind maßgebliche Bausteine unseres nationalen Selbstwertgefühls. Es sind die wahren Wappen der Republik. (...) Da muß augenblicklich die Mannerschnitte erwähnt werden.

(Peter Glaser "Die wahren Wappen Österreichs" in "Neues im Westen")

Der Geruch über dem Viertel um die Wiener Wilhelminenstraße 6 ist nichts für feine Nasen. Wonach es in diesem Teil des 17. Bezirkes riecht, lässt sich nicht definieren, aber die Assoziation zu den hier produzierten Köstlichkeiten wie Schokolade, Haselnussschnitten und Biskotten will einfach nicht aufkommen. Auch die Bezeichnung "Duft" kommt einem nicht in den Sinn. "Eine Mischkulanz aus der stinkenden Kakaorösterei und der duftenden Bäckerei" beschreibt dann auch Klaus Krupitzka die Geruchswolke rund um den Hauptsitz der Firma Josef Manner & Comp. ag.

Krupitzka ist seit mehr als 17 Jahren hier, zuständig für die Planung technischer Anlagen. Zu tun gibt es für ihn genug, hat doch sein Arbeitgeber allein im Vorjahr zehn Millionen Euro in die technischen Anlagen gesteckt. Auch nach 17 Jahren ist dem Techniker die Lust auf die süßen Köstlichkeiten nicht vergangen. Nur eine langjährige, liebgewonnene Angewohnheit hat er mit dem Tag seines Arbeitsantritts aufgegeben: "Bevor ich hier angefangen habe zu arbeiten, habe ich mir jeden Tag eine Packung Mannerschnitten ins Büro mitgenommen." Aber wer will schon Eulen nach Athen tragen? Schließlich ist den Mitarbeitern jederzeit der Griff nach den Süßigkeiten gestattet, frei nach dem Motto "all you can eat". Nur das Naschwerk mit nach Hause nehmen und Familie, Nachbarn und Freunde auch noch damit versorgen, das geht nicht.

Der Dom

Manner ist die einzigen Firma, die den Wiener Stephansdom zum Firmenzeichen machen durfte. Dafür zeigt sie sich erkenntlich: Einer der Steinmetze, die ständig mit der Renovierung des Kirchenbaus beschäftigt sind, steht seit Jahren auf der Gehaltsliste des Süßwarenherstellers. Dessen Verbindung zum Dom geht zurück in die Zeit noch vor der Firmengründung: Josef Manner, der Großvater des derzeitigen Senior-Chefs, hat ein Süßwarengeschäft am Stephansplatz. Angeblich ist der 1865 geborene Wiener aber, so sagt die Legende, mit den Produkten seiner Lieferanten unzufrieden. Der Gedanke, er könne es selbst besser, ist geboren, und er beginnt im Jahr 1890, in einem Kellerlokal zu experimentieren. Zuerst mit Schokolade, die er unter dem Firmennamen Chocolade Manner unter die Leute bringt. Die süßen Tafeln sind damals Luxus: Zwei Tageslöhne eines Arbeiters kostet ein Kilo davon. Das Geschäft läuft dennoch gut an. Zu den Schokotafeln gesellen sich bald Schokoladefiguren, Schokolade-Bonbons und Kakao in Dosen.

Ein Kreuzer für die Schnitte

1898 kommt schließlich die Schnitte dazu, die das Unternehmen auf der ganzen Welt berühmt machen wird. Eingetragen wird das Produkt unter dem Namen "Neapolitaner Schnitten Nro. 239". Die Haselnüsse, die aus der Gegend um Neapel kommen, sind Namensgeber. Genannt werden die Schnitten aber auch "Jubiläumsschnitten" - schließlich sind sie zu Ehren des 50-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz Josef auf den Markt gekommen. Einen Kreuzer - umgerechnet 12 Cent - kostet damals eine Mannerschnitte, die lose verkauft wird, damit sich auch jeder zumindest hin und wieder eine leisten kann.

Ein Hilfsarbeiter bekam damals für seinen Stundenlohn siebeneinhalb Schnitten, heute sind es 150. Damals wurden fünf bis sechs kleine Waffelblätter in einer Minute gebacken, heute sind es 200-mal so viele. Auch händisch bestrichen und mit der Handkreissäge geschnitten werden sie längst nicht mehr. Trotzdem konnten schon damals in zehn Stunden fünf Tonnen Manner Schnitte produziert werden. Heute sind es pro Acht-Stunden-Schicht rund 70 Tonnen.

3850 Tonnen der Original Neapolitaner, wie die Schnitten heute offiziell heißen, wurden im Vorjahr allein in Österreich verkauft. Mit anderen Worten: 51.333.000 Packungen. Ergibt 64 einzelne verspeiste Schnitten pro Österreicher. Manner mag man eben, wie die Firma selbst behauptet.

Aber auch weltweit ist Manner in vieler Munde: Die Hälfte der Produktion ist für den Export bestimmt. Dabei vermag es kaum zu verwundern, dass man nahezu in der gesamten Europäischen Union die süßen Produkte des Wiener Betriebes findet. Dass man auch in 40 außereuropäischen Ländern, etwa der Mongolei, Aserbaidschan und Kolumbien, nicht auf die süßen Versuchungen aus Österreich verzichten muss, vielleicht schon eher. Einige Produkte sind überhaupt nur im Ausland erfolgreich. Mannerschnitten mit Himbeergeschmack zum Beispiel. Die will hierzulande anscheinend kein Mensch. Im fernen Osten dagegen sind sie so beliebt wie die Geschmäcker verschieden.

Geändert hat sich an der Haselnuss-Version der Schnitten in all den Jahren nicht viel: Von Anfang an waren sie mit 47 mal 17 mal 17 Millimeter mundgerecht bemessen, vier Schichten Haselnuss-Zucker-Kokosfett-Kakaopulver-Masse zwischen fünf Waffeln. Nur kleine Veränderungen gab es am Grundrezept, und mehr Nüsse sind drin als früher. Allerdings auch nur in den original Mannerschnitten. Nachahmerprodukte, die die Firma für Kaufhausketten unter anderem Namen herstellt, enthalten weniger Nüsse.

Im Jahr 1900 holte Josef Manner sich einen Kompagnon, Josef Riedl, und mit seinen Ideen und dessen Geld wurden die bis heute weitgehend unveränderten

Gebäude des Wiener Werks gebaut. Die Firma wurde zur Aktiengesellschaft und zur größten Süßwarenfirma in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Seit 1919 ist Manner an der Börse. Mittlerweile sind die Firmen Casali, Walde Candita und Victor Schmidt & Söhne übernommen: Die Konkurrenz wurde damit kleiner in Österreich, das Sortiment von Manner entsprechend größer. Und so kommen inzwischen Casali Rum-Kokos und Schokobananen, Napoli Drageekeksi und Ildefonso-Pralinen aus demselben Haus wie die berühmten Schnitten, auch wenn die ursprüngliche Firmenbezeichnung auf den Packungen von den Übernahmen nichts vermuten lässt. 125 Tonnen Waffeln und Waffelprodukte, 24 Tonnen Schokoladeprodukte und 30 Tonnen Eierbiskotten verlassen an einem durchschnittlichen Tag das Wiener Werk. Produziert wird

ausschließlich in Österreich. Aus Tradition, heißt es, und weil die Qualität der Arbeit hier eben passe. Einen Versuch gab es, noch lange vor der eu-Erweiterung, ein Werk in Ungarn aufzubauen. Mit der Qualität der Produkte war die Firmenleitung nicht zufrieden, seither gibt es keine Ambitionen mehr, die Produktion in ein anderes Land zu verlegen. Die rund 700 Mitarbeiter an den Produktionsstandorten in Wien, Wolkersdorf in Niederösterreich und Perg in Oberösterreich freuts.

Mehr als mit den Produktionskosten kämpft die Firma allerdings ohnehin mit dem Bundesdenkmalamt. Dessen Mitarbeiter würde nämlich gern ein wenig mitreden bei baulichen Veränderungen der beiden lang gezogenen, mehr als 90 Jahre alten Gebäude, in denen die Produktion auf sechs ober-und zwei unterirdischen Stockwerke verteilt ist. Schon seit Jahren, seit die Maschinen immer größer werden, muss in den Häusern getrickst werden, um auch alles unterzubringen. Tragende Säulen sind im Weg, hundert Meter Gebäudelänge sind zu kurz für die Fließbänder, auf denen Schokoladeknöpfe, Neapolitaner, Biskoten und Pfeffernüsse dahinsausen. Kurven mussten daher eingebaut, Maschinen modifiziert werden; und die Biskoten werden sogar, nachdem sie gebacken sind, unter dem großen Ofen durchtransportiert, weil alles andere aus Platzgründen nicht möglich war.

Denkmal versus Fortschritt

Und nun kommen zu den baulichen Schwierigkeiten auch noch die Vorgaben des Denkmalschutzes dazu. Der nicht unbedingt denselben Überlegungen folgt wie die Vorschriften über Hygiene, Sicherheit und technische Standards. Die Folge: Allein der Einbau moderner automatischer Türen zur Insektenabwehr erforderte wochenlange Diskussionen mit den Gebäudeschützern. Über die Errichtung einer neuen Produktionsanlage wird derzeit gerade gestritten.

Die Kunden - vor allem große Lebensmittelketten - interessieren die Querelen wenig, sie haben schon für Weihnachten bestellt und erwarten pünktliche Lieferung. Sogar der Katalog für Ostern 2007 wird schon verteilt, mit Osterschnitten, Ildefonso-Hasen und Rum-Kokos-Eiern. Für Arbeit ist also gesorgt, und so ist es ziemlich gewiss, dass auch weiterhin eine seltsame Mischkulanz aus stinkender Kakaorösterei und duftender Bäckerei das Viertel um die Wiener Wilhelminenstraße 6 einhüllen wird.

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