Selbstmitleid ist keine Strategie"

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Herbert Böhm, Vorstand des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS), über die Bedürfnisse Arbeitsloser ab 45 Jahren.

Die Furche: Ältere Menschen haben ein geringeres Risiko als junge, arbeitslos zu werden, aber ein höheres, es zu bleiben. Warum sind ältere Arbeitslose schwieriger vermittelbar?

Herbert Böhm: Das hat mit Vorurteilen zu tun. Viele denken, man wolle sie nicht mehr, sie seien zu wenig flexibel oder zu teuer. Und darin werden sie teilweise leider auch bestärkt, weil sich einerseits diese Prophezeiung durch die entsprechende Erwartungshaltung selbst erfüllt, andererseits manche Unternehmer sie in dieser Haltung bestärken.

Die Furche: Was muss bei der Betreuung älterer Arbeitsloser besonders berücksichtigt werden?

Böhm: Sie haben viel Lebenserfahrung, haben manchmal auch schon viel durchgemacht. Sie sind erwachsen und auch so zu behandeln. Man muss mit ihnen mit der entsprechenden Würde und Ernsthaftigkeit umgehen. Sie möchten aus ihrem Leben noch etwas machen, aber 0815-Lösungen sind für sie nicht unbedingt das Optimale. Das bedeutet, dass man in der Zuwendung zu diesen Menschen, in der Beratung und Information vor speziellen Anforderungen steht. Und zwar sowohl was die Qualifizierung selbst angeht als auch, dass das Interesse am nochmal Durchstarten erst geschaffen werden muss. Natürlich stehen da nicht nur unsere Mitarbeiter, sondern auch unsere Bildungspartner und Partner am Arbeitsmarkt vor besonderen Herausforderungen.

Die Furche: Werden Sie diesen Herausforderungen gerecht? Gerade von älteren Arbeitslosen hört man häufig Beschwerden über Kursmaßnahmen: etwa, dass sie Schulungen machen müssten, die ihnen sinnlos erscheinen oder dass sie schon das sechste Bewerbungstrainings hinter sich hätten.

Böhm: Der Platz in einem Kurs ist oft nicht das, wovon sich diese Menschen eine Lösung versprechen. Damit ist die Reaktion auf das Qualifizierungsangebot dieser Zielgruppe wesentlich sensibler als die anderer Gruppen. Aber wir haben insgesamt ein sehr hohes Maß an Zufriedenheit mit den Angeboten. Es gab im Vorjahr 857 Beschwerden über Schulungen, bei 200.000 Schulungsteilnehmern. Gleichzeitig bewerten die Teilnehmer der Schulungen ihre Zufriedenheit nach dem Schulnotensystem - die Durchschnittsnote ist 1,7. Das Angebot des ams an Unterstützung, Beratung, Coaching, Bewerbungstrainings und Qualifizierung ist also schon richtig ausgestellt. Es ist eben wie bei allen Dienstleistungsprozessen: Die Wirkung einer Maßnahme kann man von vornherein nicht mit Sicherheit vorhersagen. Aber 58 Prozent der Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen sind sechs Monate nach der Schulung in Beschäftigung - hinter Belgien liegen wir damit europaweit auf dem zweitbesten Platz.

Die Furche: Was erwarten Sie eigentlich von älteren Arbeitslosen?

Böhm: Dass sie das, was sie in ihrer Freizeit an Engagement, Kreativität und sozialer Kompetenz aufweisen, auch behalten im Unternehmen. Selbstmitleid ist keine besonders erfolgversprechende Strategie. Wenn jemand nicht an sich selbst glaubt, warum sollte dann ein anderer an ihn glauben. Das muss man sich auch mit 50 oder 55 Jahren vor Augen führen.

Das Gespräch führte Claudia Feiertag

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