"Sich der wissenschaftlichen Diskussion stellen"

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Reinhard Böhm, Klimaforscher auf der Hohen Warte in Wien, warnt vor einer "Übertreibungsspirale" in seiner Wissenschaft.

Die Furche: Herr Böhm, ist der Mensch schuld am Klimawandel?

Böhm: Ein menschlicher Einfluss auf's Klima ist da, angefangen mit dem Abholzen der Wälder im Mittelalter. Aber wenn eine Ursache immer nur eine Wirkung hätte, dann wäre es einfach im Leben. So auch hier: Den menschlichen Einfluss aus den vielen Wirkungsfaktoren herauszuschälen, ist die eigentliche Schwierigkeit. Auch die vom Menschen verursachten Treibhausgase sind zweifellos wirksam, aber ihre Bedeutung gegenüber den natürlichen Faktoren abzuschätzen, da tut sich die Klimaforschung sehr schwer - wenn sie ehrlich bleiben will.

Die Furche: Will die Klimaforschung ehrlich bleiben oder regiert die "Spirale der Übertreibung", wie es Klimaforscher Hans von Storch im letzten "Spiegel" beklagt?

Reinhard Böhm: Storch hat Recht, diese Übertreibungsspirale führt dazu, dass uns über kurz oder lang die Leute nicht mehr glauben werden. Wir sind derzeit in der fatalen Situation, dass man sich zuviel von der Klimawissenschaft erhofft - das kann sie derzeit noch nicht leisten.

Die Furche: Eine aktuelle Studie nennt einen Schwellenwert an Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre bei dem die Erderwärmung nicht mehr zu stoppen ist.

Böhm: Das ist blanker Unsinn. Gerade das Klimaproblem ist schleichend und langfristig, und es gibt keinen Schwellenwert, keine magische Zahl. Lustigerweise bestimmt die Studie den Schwellenwert ja bei exakt 400 CO2Teilen pro 1 Million Teile in der Atmosphäre - das zeigt ja schon die Lächerlichkeit, die Natur richtet sich sicher nicht nach geraden Zahlen. Das ist keine Schwelle, das ist ein Punkt auf einer Zeitskala. Die Veröffentlichung dieser Studie ist ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen soll.

Die Furche: Warum wird es aber doch sehr oft so gemacht?

Böhm: Etliche Fachkollegen sagen sich: Okay, um des höheren Zweckes willen, damit in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein entsteht, verschweigen wir die Unsicherheiten unserer Forschungen und übertreiben ein wenig. Aber in der Naturwissenschaft sollte es doch eher um die Wahrheit gehen und nicht um das, was opportun ist, oder womit wir die Welt retten können. Dazu sind andere da: Politiker, Umweltorganisationen, da sehe ich es ein, dass die das machen - aber in der Wissenschaft sollte das keinen Platz haben.

Die Furche: Jeder und jede fühlt sich doch durch gegenwärtige Wetterkapriolen in den bösen Voraussagen über den Klimawandel bestätigt.

Böhm: Es gibt weltweit keine Datenbank, laut der man sagen kann, die Extremereignisse vor 50 Jahren waren anders als jetzt. Da soll einmal jemand kommen und mir das nachweisen. Nicht einmal über die Häufigkeit von Tornados in den usa - man könnte meinen, eine einfache Sache - gibt es vergleichbares Datenmaterial.

Die Furche: Und für unsere Gegend?

Böhm: Wir auf der Hohen Warte bemühen uns da sehr und stecken viel Arbeitszeit hinein. Und bei den Hauptelementen, Temperatur und Niederschlag, gibt es bei uns lange Messreihen, 200 Jahre und länger.

Die Furche: Und was kommt bei diesen Vergleichen heraus?

Böhm: Die Variabilität bis hinunter zu einem Monat ist im Vergleich zwischen 19. und 20. Jahrhundert nicht gestiegen, sondern eher gefallen. Speziell im frühen 19. Jahrhundert hat man eine höhere Veränderlichkeit beim Wetter gehabt als heute. Die Extremwerte waren in beide Richtungen stärker ausgeprägt.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin an der Wiener Universität für Bodenkultur, warnt vor Wissenschaftern, die den menschlichen Einfluss aufs Klima bestreiten.

Die Furche: Frau Kromp-Kolb, ist der Mensch schuld am Klimawandel?

Helga Kromp-Kolb: Zu wesentlichen Teilen nach allem, was wir bisher wissen, ja.

Die Furche: Lässt sich denn sagen, welchen Anteil er hat?

Kromp-Kolb: Es lässt sich schwer prozentuell berechnen. Wenn zum Beispiel der Mensch durch Kohlendioxid-Emissionen eine Temperaturerhöhung verursacht hat, verdunstet mehr Wasser von den Meeren. Somit ist mehr Wasserdampf in der Atmosphäre, was wiederum den Treibhauseffekt verstärkt. Es ist schwierig, die Grenze zu ziehen, was vom Menschen verursacht ist und was nicht. Wesentlich ist, dass wir einen bedeutenden Anteil an der Erwärmung haben. Wir müssen schauen, dass der Kreislauf der Treibhausgase wieder ausgeglichen wird - ohnehin auf einer höheren Ebene als früher, etwas anderes können wir in absehbarer Zeit gar nicht erreichen.

Die Furche: Es gab doch schon immer Eiszeiten und wärmere Phasen, wo ist also das Problem?

Kromp-Kolb: Das stimmt, aber unser heutiges gesellschaftliches System ist dem Klimawandel nicht gewachsen. Die Spezies Mensch wird das locker überleben, auch wenn wir uns überhaupt nicht darum kümmern. Wie viele von uns das überleben werden, ist eine andere Frage bei der Anzahl an Menschen, die es gibt und dem geringen Raum, der jedem zur Verfügung steht, um sich zu ernähren. Auch die Natur wird es überleben, sie wird sich anpassen. Die Frage ist, ob wir das wollen. Es gab tatsächlich immer schon Eiszeiten und warme Phasen. Wir sind ja auch jetzt in einer Zwischeneiszeit, in einer kalten Phase der Erdgeschichte. Aber die Veränderungen gehen schneller als früher, und Extremereignisse wie Hitzewellen, Trockenheit, Stürme werden zunehmen. Und auch dem sind wir nicht gewachsen. Man sieht ja, was schon ein bisschen Schnee in Wien anrichtet.

Die Furche: Was halten Sie Wissenschaftern entgegen, die der Ansicht sind, der Anteil der Menschen am Klimawandel sei nicht so bedeutend, wie in vielen wissenschaftlichen Publikationen geschrieben wird?

Kromp-Kolb: Dann möchte ich bitte die Belege dafür sehen. Man kann sich auf alles mögliche berufen, das nicht öffentlich ist. Aber das ist nicht der wissenschaftliche Weg. Der wissenschaftliche Weg ist der, dass man Berechnungen auf den Tisch legt und sich der wissenschaftlichen Diskussion unter Fachkollegen stellt.

Die Furche: Der deutsche Klimaforscher Hans von Storch hat im letzten Spiegel die Debatte um den Klimawandel als "Spirale der Übertreibung" bezeichnet...

Kromp-Kolb: Das ist das Problem: Wenn ein Wissenschafter eine Aussage macht, wird sie in den Medien überzeichnet. Man wird oft in Interviews dazu verleitet, die Aussagen schärfer zu formulieren, als man das in Forscherkreisen tun würde. Und sehr oft ist es gar nicht die Aussage des Wissenschafters, die dann publiziert wird.

Die Furche: Es gibt aber doch Wissenschafter, die den menschlichen Einflusses auf das Klima bestreiten. Welche Intentionen haben die?

Kromp-Kolb: Das kommt darauf an, wer es ist. Es gibt - das wurde von Journalisten recherchiert - Aufträge von Erdöl- und Braunkohlefirmen an manche so genannten Forscher, den Zweifel am menschlichen Beitrag zum Klimawandel aufrecht zu erhalten, um dadurch Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu verhindern.

Das Gespräch führte Claudia Feiertag.

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