Sie haben alles im Griff – bis auf die Zeit, die sie im Griff hat

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Eine präzise und scharfsinnige Analyse des Zeitnotstandes von Managern lieferte bereits vor einer Dekade der in Berlin tätige Soziologe Ulf Kadritzke. Die kapitalismuskritischen Befunde des als Wissenschafter und als Berater tätigen Deutschen, der – bezeichnenderweise – seine Diplomarbeit 1968 an der FU Berlin abgab, sind und bleiben aktuell sowie treffend: „Die in Betrieb und Gesellschaft höchst ungleiche Verteilung der Arbeitszeiten ist langfristig nicht nur sozial unverantwortlich und volkswirtschaftlich schädlich, sondern auch betriebswirtschaftlich unsinnig.“

Die Ursachen dafür sieht Kadritzky, ähnlich wie sein US-amerikanischer Kollege Richard Sennett (Autor von „Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“) in Dezentralisierung, flachen Hierarchien, flexiblen Beschäftigungsformen und Selbstorganisation. Dabei bleibe die Arbeitszeitpolitik hochqualifizierter Angestellter und des mittleren Management im Dunkeln. Diese Personen entwickelten dann oft einen „pathologischen Anwesenheitsdrang“, ein „eigenartige Mischung aus Fremd- und Selbstausbeutung. Eingeklemmt in die Anforderungen des Betriebes, der Leistung und des Privaten intensivieren sie ihre Arbeit. Da die Anforderungen wechseln und Beurteilungen in undeutlichen Gesprächen wie Zensuren vergeben werden, bleibe Anwesenheitsdauer „der einzig sichere Anhaltspunkt für Leistungsvermögen“. In einer von Kadritzke untersuchten Internet-Firma hatten die insgesamt 965 Beschäftigten insgesamt zwei Kinder.

Unvernünftig, für einzelne und für alle

Der Dreh- und Angelpunkt für eine Änderung zum Positiven, also zu einer persönlich zuträglichen Zeitbalance, läge in den Betrieben und im Denken, schreibt Kadritzke in seinem Beitrag „Manager unter Druck. Zum Zeitnotstand von Managern und anderen Sterblichen“: „Wenn das Bedürfnis nach einer vernünftigen Balance zwischen Arbeit und Leben ignoriert wird, bedroht das nicht nur die innere Motivation der besonders qualifizierten Arbeitskräfte, sondern auch deren Kreativität und damit das professionelle Selbstwertgefühl.“

Das stärkste Hindernis für den Wandel bilde jedoch das alte Leitbild männlicher, unteilbarer Führungskraft, das im Top-Management der meisten Unternehmen verankert sei. Die Unternehmen sollten den allzu konkurrenzbezogenen Individualismus nicht fördern, sondern einstellen. Doch weder an Hochschulen noch im Leben werde erprobt, die anfänglich unbändige Freude an professioneller Arbeit sinnvoll in die persönliche Lebensgestaltung einzufügen oder zumindest über das Verhältnis beruflicher und privater Ansprüche nachzudenken, ehe die Zeit die Manager, die sonst alles im Griff haben, eben im Griff hat.

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