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Sind Kinder nur ein Privatvergnügen?

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Wie es scheint, werden nun auf dem Rücken der nächsten Generation ideologische Konflikte von gestern ausgetragen.

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Wie es scheint, werden nun auf dem Rücken der nächsten Generation ideologische Konflikte von gestern ausgetragen.

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Wenn Jörg Haider ein Thema aufgreift, dann weiß er, warum - weil es viele Menschen in Osterreich gibt, die mit der Handhabung dieses Themas unzufrieden sind und keine starke politische Lobby haben. Ein solches aktuelles Thema ist der Umgang der Gesellschaft mit Kindern - und mit Familien, in denen mehrere Kinder aufwachsen.

Wenn Haider ein Thema aufgreift, steht aber auch fest, daß sofort alles, was Haiders Vorschlägen auf diesem Gebiet auch nur entfernt ähnelt, von anderer Seite Polemik erntet. So hat Bernd Marin, Direktor des Wiener „Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung” jüngst im „Standard” das „Familiensplitting”, mit dem auch Familienministerin Sonja Moser liebäugelt, dermaßen als „unverantwortlich und reaktionär” heruntergemacht, daß auch die dahinterstehende legitime Grundidee -nämlich die Sicherung des Existenzminimums für alle Mitglieder einer Familie - unter die Räder zu geraten droht. Denn' Kinder als Privatsache (was sie sicher zum überwiegenden Teil, aber nicht ausschließlich sein sollen) hinzustellen und im Zusammenhang mit staatlicher Unterstützung für den Nachwuchs von „Mutterkreuz”, „Gebärbringschuld” und dergleichen zu reden, ist reine Ideologie.

Es geht nämlich nicht darum, die Geburtenrate anzukurbeln, wie Marin unterstellt, sondern darum, bereits Geborenen das Existenzminimum zu sichern. Es geht darum, daß es ungerecht ist, wenn jemand, der andere Menschen zu erhalten hat, steuerlich genauso behandelt wird wie einer, der niemanden erhalten muß. Es geht um Solidarität - nicht nur mit alten, sondern auch mit ganz jungen Mitbürgern. Es muß aber gar nicht sein, daß deshalb das Haushaltseinkommen au-” tomatisch zusammengerechnet und dann zur Berechnung der Steuer geteilt wird (Familiensplitting).

Eine in Kürze erscheinende Kummer-Institut-Studie „Familie zwischen Steuerdruck und Sozialstaatsdebatte” (Herausgeber Wolfgang Schmitz, Verlag Herold) zeigt auf, daß derzeit ein Alleinverdiener, dessen Einkommen nur dem Existenzminimum aller Familienmitglieder entspricht, dennoch pro Jahr 23.496 Schilling bei einem Kind, 32.648 bei zwei'Kindern und 41.128 bei drei Kindern Steuer zahlen muß. Als Existenzminimum gelten dabei 84.200 Schilling, der nicht verdienende Ehepartner schlägt mit 80 Prozent davon, jedes zu erhaltende Kind mit 60 Prozent davon zu Buch. Könnte im Zuge des Splittings ein Alleinverdiener die Hälfte seines Einkommens bei seinem nicht verdienenden

Ehepartner geltend machen, sähe die Sache natürlich für die Familie günstiger aus.

Auch Betreiber des steuerfreien Existenzminimums sehen aber gute Gründe, weder von der Individualbesteue rung abzugehen noch das deutsche Modell (Wahlmöglichkeit zwischen Splitting und Individualbesteuerung) anzustreben. Derzeit werden die Kosten für Kinder sowohl durch Transferleistungen (Kinderbeihilfen) als auch wieder durch Absetzbeträge (nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes von 1991) berücksichtigt, das Existenzminimum aber nicht erreicht. Helmuth Schattovits, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Familienforschung, tritt im Gespräch mit der furche für höhere Transferleistungen und Absetzbeträge ein. Seine Devise: „Es soll nicht möglich sein, durch diese Beträge seinen Lebensstandard zu verbessern, dieser soll aber auch nicht dadurch leiden, daß man Kinder zu erhalten hat.”

Man sollte aufhören, ständig bei den Familien zu sparen (neuestes Beispiel: die geplante Streichung der Kinderbeihilfen für Studierende), fordert Cacilia Lipp, Generalsekretärin des Katholischen Familienverbandes Österreichs. Sie hält auch nichts von sozialen Staffelungen: „Man sollte Familienpolitik und Sozialpolitik auseinanderhalten.”

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