Sinnfutter für die Seele

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Viktor Frankl (1905-1997), Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, wäre am 26. März 100 Jahre alt geworden. Facetten eines hartnäckigen Sinn-Suchers.

Man stelle sich vor: eine kz-Baracke. Die Lagerführung erfährt, dass ein halbverhungerter Häftling ein paar Kilo Kartoffel gestohlen hat. Weil er von seinen Kameraden nicht verraten wird, bekommen alle einen Fasttag aufdiktiert. Schließlich geht auch noch das Licht aus. Plötzlich beginnt einer in die Verzweiflung hinein zu reden: "Ich erzählte meinen Kameraden (...) davon, daß menschliches Leben immer und unter allen Umständen Sinn habe, und daß dieser unendliche Sinn des Daseins auch noch Leiden und Sterben, Not und Tod in sich mit einbegreife. Und ich bat diese armen Teufel, die mir hier in der stockfinsteren Baracke aufmerksam zuhörten, den Dingen und dem Ernst unserer Lage ins Gesicht zu sehen und trotzdem nicht zu verzagen".

Ein Psychologe im KZ

Es ist der Wiener Nervenarzt Viktor Emil Frankl, der seine Mithäftlinge solcherart tröstet - und selbst seine Erinnerungen nach der Rückkehr aus dem kz im Bericht "Ein Psycholog erlebt das Konzentrationslager" verewigt. Das Buch floppt. Erst später, als Frankl es mit dem programmatischen Titel "...trotzdem Ja zum Leben sagen" versieht - eine abgewandelte Zeile aus dem "Buchenwald-Lied" -, wird das Werk zum Welterfolg: Bis heute sind rund zehn Millionen Exemplare erschienen.

Mit dem trotzig-lebensbejahenden Titel spricht sich Frankl vor allem selbst Mut zu: Während er die Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau, Kaufering III und Türkheim überlebt, erfährt er in Wien, dass fast die gesamte Familie im kz umgekommen ist:Vater, Mutter, Bruder und seine junge Frau Tilly. Nur Schwester Stella hat überlebt

Nicht nur seine Familie, auch das Manuskript der Erstfassung seines Hauptwerkes "Ärztliche Seelsorge" hat Frankl verloren. Vom Fleckfieber gezeichnet war es ihm im Lager Türkheim zumindest gelungen, die Grundgedanken notdürftig zu rekonstruieren. 1946 schließlich erscheint sein Opus magnum - und ist binnen drei Tagen vergriffen.

Das Buch stellt jene psychotherapeutische Methode vor, die bis heute untrennbar mit dem Namen Viktor Frankl verbunden ist: die Logotherapie (Logos - Sinn), auch als "Dritte Wiener Schule der Psychotherapie" bezeichnet. Anders als Sigmund Freud, der in seiner Psychoanalyse die Triebhaftigkeit des Menschen ins Zentrum stellt, und anders als Alfred Adler, der mit seiner Individualpsychologie dem menschlichen Streben nach Macht auf der Spur ist, richtet Frankl seinen Fokus auf etwas Drittes: den Lebenssinn. Es gehe darum, die Menschen - hinter aller Erkrankung - als verantwortungsfähige, freie und nach Sinn strebende Wesen zu sehen. Mit Theologie habe das nur am Rande zu tun, so Frankl: Die Logotherapie sei "mit dem Heil der Seele, aber nicht mit dem Seelenheil befasst."

Mit Frankls Büchern geht auch der Ruhm des Psychiaters, der 1947 seine zweite Frau Elly heiratet und bis zu seiner Pensionierung 1970 als Primar für Neurologie an der Wiener Poliklinik arbeitet, um die Welt: Heute existieren rund 70 anerkannte Institute für Logotherapie und Existenzanalyse. Auch in Österreich ist die Logotherapie als Therapierichtung anerkannt. Ein eigener Lehrstuhl für Logotherapie an der Universität Wien bleibt Frankl freilich trotz 29 Ehrendoktoraten verwehrt.

Umstrittener Pionier

Tatsächlich sind die Meinungen über die Bedeutung Frankls, der keinen "Zauberkasten" an Methoden entwickelt, sondern eine Grundhaltung geprägt hat, geteilt. "Die Sinn-Frage, die eine Zeit lang in der Psychiatrie völlig vernachlässigt wurde, ist wieder von Bedeutung", meint etwa Werner Schöny, ärztlicher Leiter der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Reine Frankl-Schüler gebe es dennoch wenige, weil "das Lehrgerüst solcher psychotherapeutisch-philosophischer Lehren nicht in die Schematisierungen unserer Zeit nach Ursache und Wirkung passt." Anders Siegfried Kasper, Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie an der Wiener Medizinuniversität: Frankls Schriften seien "hochaktuell" und hätten "volle Gültigkeit".

Pionierarbeit hat Frankl jedenfalls in der Suizidprävention geleistet: Um die hohe Zahl an Schülerselbstmorden in Wien zu senken, hat er schon 1928 in der elterlichen Wohnung in der Wiener Czerningasse eine kostenlose Jugendberatungsstelle eingerichtet. In der Folge wurde 1931 kein einziger Schülersuizid gemeldet.

Indes werden - pünktlich zu den Frankl-Jubiläumsfeiern - auch vermehrt kritische Stimmen laut. So behauptet der us-amerikanische Historiker Timothy Pytell in seinem Buch "Viktor Frankl. Das Ende eines Mythos?", dass Frankl zwischen 1940 und 1942 als Leiter der neurologischen Abteilung am Wiener Rothschildspital ethisch fragwürdige Experimente an jüdischen Patienten vorgenommen haben soll. Seitens des Wiener Viktor-Frankl-Instituts, das den Nachlass des weltbekannten Psychiaters verwaltet, betont man, dass Pytell nie vor Ort recherchiert habe.

Dass das Verhältnis Frankls zur Israelitischen Kultusgemeinde getrübt war, ist indes gewiss: Frankl, der zwar jüdischer Herkunft war, doch "seine Religiosität privat gepflogen hat" (so Frankls langjähriger Assistent Harald Mori), hat weder den Gedanken einer Kollektivschuld noch die Notwendigkeit einer Geschichts-Aufarbeitung betont. Den Gipfel erreichte die gegenseitige Entfremdung 1988, als Frankl im Rahmen der "Anschluss"-Gedenkveranstaltung am Wiener Rathausplatz davon sprach, dass es "nur zwei Rassen von Menschen" gäbe - "die Rasse der Anständigen und der Unanständigen". Alexander Friedmann, Psychiater und enger Freund des damaligen Präsidenten der Wiener Kultusgemeinde, Paul Grosz, erinnert sich:"Frankl hat nach seiner Rede zu Grosz, gesagt: ,Ich bin sicher, Sie sind nicht mit mir zufrieden.' Und Grosz hat darauf gemeint: ,Ist es Ihnen denn wichtig, dass ich mit Ihnen zufrieden bin?'"

VERANSTALTUNGSHINWEISE:

Am Donnerstag, 31. März um 19 Uhr

referieren Lüder Deecke und Jürgen Kriz im Festsaal des Wiener Rathauses über "Sinnorientiertes Wollen und Handeln zwischen Hirnphysiologie und

kultureller Gestaltungsleistung".

Von 1. bis 3. April findet im Wiener Austria Center ein internationaler Kongress für Logotherapie und Existenzanalyse statt. Infos: www.der-wille-zum-sinn.org

BUCHTIPPS:

VIKTOR FRANKL, WIEN IX. Erlebnisse und Begegnungen in der Mariannengasse 1. Eine Biographie in Bildern.

Von Eleonore Frankl, Alexander Batthyany, Marie Czernin, Juliane Petzold, Alexander Vesely. Tyrolia: Innsbruck/ Wien 2005. 115 S., geb., e 19,90.

DIE ÄRZTLICHE SEELSORGE. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Zehn Thesen über die Person. Von Viktor E. Frankl. 11., überarb. Neuaufl. Deuticke: Wien 2005. 352 S., e 18,40.

...TROTZDEM JA ZUM LEBEN SAGEN. Und ausgewählte Briefe (1945-1949). Von Viktor E. Frankl. Böhlau, Wien 2005. 108 S., geb., e 29,90.

GOTTSUCHE UND SINNFRAGE. Ein

Gespräch. Von Viktor E. Frankl/Pinchas Lapide. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2005. 144 S., brosch., e 15,40.

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