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Digital In Arbeit

Skandalöser Umgang mit Arbeitslosen

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Wien sollte nicht nur gebannt auf Brüssel blicken, sondern Chancen der Kooperation mit den Ostnachbarn nützen - auch um Arbeitsplätze zu schaffen, so der Landessekretär des ÖAAB-Wien, Stefan Adler.

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Wien sollte nicht nur gebannt auf Brüssel blicken, sondern Chancen der Kooperation mit den Ostnachbarn nützen - auch um Arbeitsplätze zu schaffen, so der Landessekretär des ÖAAB-Wien, Stefan Adler.

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Irgendwie verschläft Wien die Chancen, die sich aufgrund der besonderen geographischen und historischen Lage bieten, hat Stefan Adler den Eindruck. „Wenn wir uns unseres Standortvorteils nicht bewußt werden, werden wir auch in Brüssel nicht jenes Gewicht haben, das uns zukommt.” Wien müßte die Kontakte, die zu Mittelosteuropa bestehen, vermehrt pflegen und ausbauen, um zu einer „Arbeitsteilung zwischen Ostösterreich, speziell Wien, und dem nahe gelegenen Ausland zu kommen”. Mit Blick auf die Ostkredite der Gemeinde Wien (siehe Dossier in furche 8, Interview mit Bürgermeister Michael Häupl) betont Adler, daß es nicht Ziel sein könne, irgendwelche Kühlhäuser in Polen zu finanzieren, sondern Projekte zu fördern, die für beide Seiten von Vorteil sind.

Was meint Adler mit dem Begriff „Arbeitsteilung” in diesem Zusammenhang? Aufgrund des hiesigen hohen Ausbildungsniveaus breiter Kreise könnte es für die Nachbarn besonders interessant sein, „mit uns zusammenzuarbeiten, wenn sie lernen und profitieren können, und zwar in allen Bereichen”. Adler weiter: „Wir brauchen uns nicht einzubilden, daß beispielsweise die Ungarn oder die Slowenen gerne unsere verlängerte Werkbank wären. Das können sie mit den Deutschen und Franzosen, wo mehr Cash dahinter ist, besser machen. Aber unsere Nachbarn müssen das wirkliche Gefühl haben, daß es sich hier um eine partnerschaftliche und gleichberechtigte Beziehung handelt. Dann werden sie auch darauf einsteigen. Aber wenn wir uns einbilden, mit unserer harten Westwährung können wir dort auf den Tisch hauen, wird uns Kooperation nicht gelingen.”

Der Wiener ÖAAB-Landessekretär plädiert für eine Teilung der vorhandenen Arbeit mit den Nachbarn. Es gelte, das hohe Potential an freien Arbeitskräften der Ostländer zu nutzen - „Ich rede hier keinem Dumping das Wort” - und die schlecht ausgebildete Arbeit zu einer besser ausgebildeten zu führen. „Wenn wir an den Aufbau der Produktion in Steyr nach dem Krieg denken: Das waren auch nicht lauter gesuchte Spitzenleute. Die haben das auch erst im Laufe der Zeit gelernt und gut gelernt. Wenn wir das nach Osteuropa rüberbringen, daß sie durch diese Zusammenarbeit profitieren, dann wird es gelingen.” Stefan Adler setzt in diesem Zusammenhang auf den Dienstleistungssektor, nicht unbedingt auf Werkbänke, weil Dienstleistung von der menschlichen Arbeitskraft her der intensivste Bereich sei. „Überall sonst in der Produktion geht die Entwicklung ja weg von der menschlichen Arbeitskraft hin zum vollautomatisierten Betrieb, in dem einmal pro Woche die Putzfrau durchgeht.”

Von Versuchen der Wiener Stadtverwaltung, mittels High Tech Kommunikationszentren Arbeitsplätze zu schaffen, hält Stefan Adler nicht viel. Er verweist auf das Gelände der alten Tabakfabrik in Wien-Otta-kring, auf dem ein solches Zentrum entstehen soll. Telekommunikation, so Adler, hat zwischen Wien und Brüssel, Wien und New York ihre Berechtigung und macht Sinn, sie bringe aber nichts, wenn Leute, die mit ihrer Firma kommunizieren, nur von Ottakring in die Josefstadt, also von einem Wiener Bezirk in den anderen einpendeln müßten. Arbeitsplatzmäßig, glaubt der ÖAAB-Landessekretär, sind nicht mehr als 1.500 bis 2.000 Abeitsplätze in den nächsten 40 Jahren im Telekommunikationsbereich drinnen. „Und in Wien brauchen wir viel mehr.”

Für Adler wird Arbeitslosigkeit auch vom Prestigedenken bezüglich Arbeit mitverursacht. Viele Arbeitsbereiche haben heute nicht mehr den Stellenwert, der ihnen zustünde. Hausarbeit werde nicht mehr entsprechend gewürdigt, manche Arbeit werde als minderwertig angesehen (Putzen, Hilfsarbeit), obwohl kein Produktionsprozeß ohne Hilfsarbeiter funktioniere. „Wenn es uns gelingt, das Prestigedenken von der Arbeit wegzubekommen, wenn nicht mehr wichtig ist, was, sondern daß ich arbeite, wenn mir als Hilfsarbeiter oder Putzfrau nicht mehr die Schamesröte aufsteigt, wenn ich darüber gefragt werde, sondern voll Stolz sage, ich verdiene mir mein Geld durch meiner Hände Arbeit, dann ist das Problem lösbar.”

Als skandalös bezeichnet Adler, daß die Arbeitsmarktverwaltung beispielsweise 50jährige Umschulungswillige mit dem Hinweis, daß es sich ohnehin nicht mehr auszahle und sie bald in Pension gingen, wegschicke. „Da reden Sozialpolitiker davon, daß man das faktische Pensionsalter anheben muß - und gleichzeitig gibt es Menschen, die bis 65 arbeiten wollen und keine Arbeit mehr finden.”

Als eine wesentliche Aufgabe des Österreichischen Arbeiter- und Angestellten Bundes sieht der Wiener Landessekretär die Integration von sozial Schwachen und Ausgeschlossenen an. Damit könnten auch Sicherheitsprobleme gelöst werden. „Als Demokrat einer Partei oder Organisation wie des ÖAAB muß ich zeigen, daß es rechts von uns keine demokratische Alternative mehr gibt. Das erscheint mir ganz wesentlich. Rechts von uns, das ist demokratiegefährdend. ”

An dieser Stelle geht Adler auch auf die Attentate der letzten Wochen in Österreich ein. Diese Vorfälle hätten ihm gezeigt, „daß die Behörde ihr Wissen über den rechtsextremen Bodensatz der Gesellschaft maßlos überschätzt. Sie weiß gar nichts über diese rechten Randgruppen. Und in Wahrheit schützen sie die Rechten vor den Antifaschisten statt die Gesellschaft vor den Rechten. Das liegt daran, daß in manchen Bereichen die Führung der Polizei auf dem rechten Auge blind ist. Für mich war es erschreckend, daß in der Alarmabteilung der Polizei, wo es offensichtlich einige Probleme mit rechtsextremen Beamten gab, sechs zunächst versetzt wurden, diese aber heute bereits wieder ihren Dienst in derselben Abteilung versehen.” Versuche, Bichter bei polizeilichen Abhörmaßnahmen auszuschalten, hält Adler für demokratiewidrig und gefährlich. „Man müßte eher den richterlichen Spielraum erweitern, nicht ihn beiseiteschieben.”

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