Smart City als big BUSINESS

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Smart Cities sind in aller Munde, doch was machen die neuen Technologien mit den Menschen? Ein Gegenentwurf zum aktuellen Hype.

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Smart Cities sind in aller Munde, doch was machen die neuen Technologien mit den Menschen? Ein Gegenentwurf zum aktuellen Hype.

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Wenn man von der Smart City spricht, tut man immer so, als ob es sich um das Paradies handeln würde", sagt der Architekt Wolfgang Köck salopp. "In Wirklichkeit haben Smart Cities - wie alles - auch Nachteile." Der Grazer sitzt, flankiert von zwei Kollegen, am langen Besprechungstisch des Architekturbüros Pentaplan mit Blick hinunter auf den Lendplatz. Hinter den drei Herren, allesamt in dunklen Hemden, sind deren jüngste Entwürfe ausgestellt - darunter auch Projekte für die Grazer Smart City-Areale Reininghaus und Waagner-Biro, die in wenigen Jahren realisiert sein sollen.

Den Hype um den Zukunftstrend Smart City betrachten die Grazer Architekten dennoch mit Skepsis -und befinden sich mit ihrer Kritik in guter Gesellschaft. Denn "smart" ist mittlerweile alles, das uns als "effizient" und "innovativ" verkauft wird: Das kleine Stadtauto "Smart" von Mercedes wurde schon in den 90er-Jahren mit dem Modewort beworben, smart sind inzwischen auch unsere Handys, smart sollen die Städte von morgen werden. Denn dort sind verschiedene Infrastruktur-Bereiche wie Energie, Gebäude oder Mobilität durch die neuesten Informationstechnologien miteinander verbunden. Warum, das wird bei näherem Hinsehen schnell klar: Smart City verspricht big business. Doch wer kann schon etwas gegen nachhaltige Städte mit zukunftsträchtigen Mobilitäts-und Kommunikationskonzepten haben?

Technologie statt Sozialem

Die Konzepte für Smart Cities basieren vor allem auf dem technologischen Potenzial, statt von den Bedürfnissen der urbanen Gesellschaft auszugehen, lautet ein Hauptkritikpunkt. "Um aber eine Gesamtnachhaltigkeit zu erreichen, müssten technische Angebote hinterfragt werden: Was ist wirklich nötig, was schadet der Umwelt mehr, als es nützt?", gibt Köcks Kollege Klaus Jeschek zu denken. Oft würden technikverliebte Planer die Benützerfreundlichkeit zuwenig berücksichtigen. "Wenn sich das eigene Verhalten bereits den Technologien anpassen muss, sind wir schon Gegner dieser Entwicklung", bekräftigt Köck.

Der soziale Aspekt ist den Architekten von Pentaplan als Grundpfeiler jeder Gebäude- oder Stadtviertel-Planung wichtiger als die bloße Technologie. "Die Umgebung muss so gestaltet sein, dass die Menschen dort gerne leben", so Köck. "Das Fleisch der Stadt" zu bauen ist sein Anspruch: "Keine monumentalen Gebäude mit Herzeige-Charakter, sondern ganz normale Stadthäuser, die funktional sind und das urbane Leben in seiner Vielfalt abbilden." Dazu gehöre auch, die Stadt nicht aushungern zu lassen und lauter Shopping Centers an den Stadtrand zu setzen, sodass niemand mehr zum Einkaufen in die Stadt kommt.

Lobbying in Politik und Forschung

Doch der Einfluss von Konzernen wie IBM, Siemens oder Kapsch auf politische Entscheidungsträger ist groß -oft werden Konzerne selbst zu Betreibern, die ganze Städte bauen und verwalten. "Auf den Websites von bekannten Smart Cities wie Masdar City in Abu Dhabi, PlanIT Valley in Portugal oder Songdo in Südkorea wird man auf der Suche nach Informationen zu politischen Entscheidungsstrukturen nicht fündig", berichtet Christoph Laimer, Obmann von "dérive - Verein für Stadtentwicklung" in Wien. Auch auf EU-Ebene sind sämtliche Smart City-Gremien mit Konzernvertretern bestückt, die großes Interesse an Standards für die EU-weite Umrüstung haben. Bleibt nur zu hoffen, dass sich Profitmaximierung mit sinnvollen sozialen und ökologischen Zielen verbinden lässt.

Fakt ist, dass sich bestehende Städte nicht so einfach in Smart Cities verwandeln lassen. Auch in Graz erfolgen trotz eifrig beworbener Smart City-Prestigeprojekte nach wie vor 90 Prozent der Stadtgestaltung nach konventionellen Gesichtspunkten - von einem stimmigen Gesamtkonzept keine Spur. "Gerade alte Stadtstrukturen und historische Gebäude können gar nicht in dieser Perfektion nach den Maßstäben einer Smart City umgewandelt werden", sagt Köck.

Dennoch herrscht kein Mangel an Sponsoren bei den unzähligen Smart City-Konferenzen, die laufend rund um den Globus stattfinden, zuletzt die "urban future"-Konferenz mit 1500 Experten in Graz. Kaum ein Vortrag kommt dabei ohne die Wörter "future","innovative", "smart","sustainable" oder "transformation" aus. Auch die Pro-Smart-City-Forschung an den Hochschulen erweist sich als äußerst lukratives Feld, in das die EU und führende Konzerne viel Geld buttern. Kritische Stimmen hingegen kommen nicht so leicht in den Genuss drittmittelfinanzierter Forschungsprojekte.

Die Regierungen von Städten mit Smart City-Ambitionen müssen aber neben Investoren und Experten auch die Bevölkerung mit ins Boot holen. Wie also verkauft man die Utopie einer Stadt, in der mittels Big Data (siehe Kommentar rechts) alles gemessen, geregelt, überwacht und evaluiert werden soll? Mit dem Spruch "Beste Lebensqualität für alle Wienerinnen und Wiener" wirbt die Stadt Wien für ihre Smart City-Aktivitäten. Die idealen Bürger, genannt "Smart People", werden gerne als besonders kreativ, flexibel, sozial heterogen und vernetzt dargestellt. Doch die Vernetzung hat auch ihre Kehrseite: Für Rio de Janeiro hat IBM bereits einen zentralen Kontroll- und Überwachungsraum entwickelt - unter dem Namen "Intelligent Operations Center". Die Überwachung des öffentlichen Raumes sehen auch die Architekten von Pentaplan kritisch. Ein belebter öffentlicher Raum kontrolliere sich schließlich selbst. "Wenn man unbedingt überall Kameras benötigt, ist doch in puncto Sicherheit und Soziales schon einiges schief gelaufen", betont Jeschek.

Für das Zusammenleben in der Smart City gilt als oberste Prämisse: Alle Abläufe müssen reibungslos funktionieren. Kritiker erkennen darin eine Stadt, in der den einzelnen die Notwendigkeit abgenommen wird, sich aktiv Lösungen zu überlegen. "Smart City vermittelt das Bild einer postpolitischen Gesellschaft, in der das Auswerten von Daten Diskussionen bei Entscheidungsfindungen ersetzt", kritisiert Laimer. Ob die Innovationen das Leben der Bürger tatsächlich einfacher und besser gestalten, oder sie vielmehr zu Konsumenten degradiert werden, die nur mehr mit Smart Apps am Handy ausgestattet sind? Der US-Soziologe Richard Sennet erkennt in den Werkzeugen der Smart City eher das Potenzial, die urbane Bevölkerung zu verdummen.

Kosten für Bürger - Profit für Betreiber

Was den Bürgern in der Praxis oft bleibt, sind die zu tragenden Umstellungskosten - und die Gewissheit, dass Hersteller ein gutes Geschäft gemacht haben. "Das Ausmaß an unkritischer Technikgläubigkeit erinnert frappant an die Fünfziger- und Sechzigerjahre", meint Laimer. Sogar die Visualisierung so mancher Smart City ähnle den futuristischen Stadtvisionen von damals. Was für die Pentaplan-Architekten eine Stadt also wirklich smart macht? "Wenn das gesamte Leben an einem Ort stattfinden kann, wenn man nicht ständig den Ort wechseln muss, um zu arbeiten, einzukaufen oder auszugehen", erklärt Architekt Stephan Loidl. Gerade für die wachsende Gruppe der älteren und weniger mobilen Menschen sind solche belebten Viertel essentiell. Das Zusammenleben verschiedener Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen stärkt schließlich die soziale Kompetenz. "Man hilft etwa gebrechlichen Menschen über die Straße. Wenn jeder nur stur in seiner eigenen Schiene unterwegs ist, nimmt er ja die anderen gar nicht mehr wahr", betont Loidl.

Ein Ort, an dem die vielzitierte urbane Vielfalt gelebt wird, ist das von den Pentaplanern entworfene Pawlatschenhaus mit dem klingenden Namen "Prinzessin Veranda" am Lendplatz. Dort gibt es Büros und Wohnungen genauso wie Geschäfte und Dienstleister. "Es ist ein kommodes Grätzel, man kennt sich", sagt Jeschek. Er bezieht etwa sein Olivenöl von dem griechischen Lokal, das sich im Erdgeschoß des Hauses einquartiert hat. "Wir rufen einfach beim Griechen an, und er bringt uns die Sachen herüber." Genau diese Identifikation vor Ort sei für das Heimischwerden im Viertel ausschlaggebend - viel mehr als jede Smart App.

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