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Soll das Spiel mit dem Leben weitergehen?

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Gentechnisch veränderte Organismen werden in der EU - wie die weiter unten stehende Graphik zeigt - in verstärktem Maße in die Umwelt freigesetzt. 1995 wurden 215 Anträge vor allem in den Ländern Frankreich, Italien, Großbritannien, Niederlande, Belgien und Deutschland gestellt.

Mehrheitlich wurden gentechnisch veränderte landwirtschaftliche Nutzpflanzen und nur in einigen wenigen Fällen gentechnisch veränderte Bäume beziehungsweise Mikroorganismen (Bakterien) zur Freisetzung beantragt. In der Regel werden beantragte Freisetzungen von den zuständigen Behörden der EU-Mitgliedsländer auch genehmigt.

Hauptsächlich wurden Mais, Raps, Zuckerrübe, Kartoffeln und Tomaten freigesetzt. Die gentechnischen Veränderungen betrafen besonders Herbizidresistenz (also die Resistenz gegen Unkrautbekämpfungsmittel) beziehungsweise Herbizidresistenz in Kombination mit Ertragssteigerung (mehr als 50 Prozent der Anträge).

Weit weniger wurden Pflanzen mit dem Ziel des Einbringens von Resistenzen gegen Pflanzenschädlinge (Insekten, Viren et cetera) beziehungsweise der Änderung der Inhaltsstoffe (zum Beispiel Stärke-, Fettsäurezusammensetzung) gen-technisch verändert und zur Freisetzung beantragt.

Seit 1986 sind damit über 500 Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen in der EU durchgeführt worden, weltweit sind es mehr als 3.000. Zahlenmäßig führend sind die USA, flächenmäßig China. Die prozentuelle Verteilung der Pflanzen beziehungsweise gentechnischen Veränderungen, wie sie oben für die EU angegeben wurden, sind auch für die USA und die meisten anderen Länder repräsentativ.

Eine zunehmende Tendenz ist auch bei der Anzahl der Anträge auf Inverkehrbringen von Produkten, welche gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen, zu erkennen. 1995 wurden vier Anträge in der EU gestellt (Ertragsgesteigerter und herbizidresistenter Ra-dicchio, Import von herbizidresistenter Sojabohne aus den USA; insekten- und herbizidresistenter Mais, ertragsgesteigerter und herbizidresistenter Raps). Rei allen vier Produkten läuft noch das Genehmigungsverfahren, eine endgültige Zulassung zur Vermarktung in der EU ist noch nicht erfolgt.

Bisher sind in der EU zwei gentechnisch veränderte Lebendimpfstoffe für Tiere sowie zwei gentechnisch veränderte Nutzpflanzen (herbizidresistenter Tabak, ertragsgesteigerter und herbizidresistenter Raps) als Produkte zur Vermarktung zugelassen. In den USA sind bereits eine Reihe von Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen, am Markt (Tomate mit verzögertem Reifeprozeß, virusresistenter Kürbis, insekten-resistente Baumwolle et cetera).

1996 wurden auch erstmalig Freisetzungsanträge in Österreich gestellt (bakterienresistente Kartoffeln des Österreichischen Forschungszentrums Seibersdorf, Kartoffeln mit veränderter Stärkezusammensetzung der Zuckerforschung Tulln, herbizidresistenter Mais der T. B. Agrartechnik Bad Vöslau).

Zuständige Behörde in allen drei Fällen ist das Gesundheitsministerium. Nach dem österreichischen Gentechnikgesetz hat das Umweltministerium das Recht, eine Stellungnahme abzugeben. Weiters sind im Rahmen des Genehmigungsverfahrens Einsichtnahme der Öffentlichkeit und eine öffentliche Anhörung sowie ein Gutachten des wissenschaftlichen Ausschusses der Gentechnikkommission vorgesehen.

Die große Zahl an Freisetzungen weltweit und zunehmend auch in der EU bedeutet natürlich einen Erfahrungsgewinn mit einer eingeschränkten Zahl ein Nutzpflanzen und Genen in einigen Ökosystemen bezüglich möglicher ökologischer Auswirkungen. Eine groß angelegte Studie am Wissenschaftszentrum Berlin in Deutschland kommt sogar zum Schluß, daß gentechnisch veränderte Pflanzen im Vergleich zu anderen Pflanzen (zum Beispiel konventionellen Nutzpflanzen) kein besonderes Risiko in sich bergen.

Eine differenziertere Betrachtungsweise erscheint jedoch angebracht, da einerseits damit zu rechnen ist, daß die mit Hilfe der Gentechnik möglichen „revolutionären" Veränderungen von Organismen noch bevorstehen und auch die Zeitspanne seit der ersten Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (1986) noch sehr kurz ist.

Von ausreichender Erfahrung kann daher besonders im Hinblick auf die Beurteilung ökologischer Langzeitwirkungen nicht gesprochen werden. Andererseits sollen und können aber auch negative ökologische Auswirkungen konventioneller (nicht gentechnisch veränderter) Züchtungen (Pflanzen und Tier) beziehungsweise standortfremder Organismen, die von einem Ökosystem in ein anderes eingebracht wurden (sogenannte „Exotic Species", zum Beispiel Algen, Krankheitserreger, bestimmte Pflanzen beziehungsweise Baumarten), nicht geleugnet werden.

Eine einseitige Stigmatisierung der Gentechnik als möglicher Auslöser von negativen Umweltauswirkungen ist sicherlich nicht gerechtfertigt.

In der kontroversiellen Diskussion um den sicheren Umgang mit der Gentechnik konnte aber bisher keine Einigung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft darüber erzielt werden, ob die Gentechnik eine „neue Qualität" des Risikos mit sich bringt. Teilweise wurde hier die These vertreten, daß die Gentechnik an sich nichts Neues, sondern lediglich eine Fortführung oder Erweiterung der konventionellen Züchtungsund Optimierungspraxis beziehungsweise der natürlich vorkommenden Genaustauschprozesse sei. Dadurch wurde eine wissenschaftlich nicht in diesem Ausmaß haltbare These zum Dogma erklärt. Es lassen sich bei näherer Analyse nämlich durchaus gentechnik-spe-zifische Charakeristika feststellen, die die oben genannten Feststellungen relativieren und in einem anderen Lichte erscheinen lassen.

Die Gentechnologie unterscheidet sich von genetischen Veränderungen durch natürliche Evolution vor allem durch

■ die Überschreitung von Artgrenzen im Regelfall (und nicht im Ausnahmefall);

■ die Geschwindigkeit, mit der damit genetische Veränderungen herbeigeführt werden können.

Obwohl das Durchbrechen von Artgrenzen im Rahmen evolutiver Entwicklungen durchaus vorkommt, wie Forschungsergebnisse zeigen, ist daher das Durchbrechen von Artgrenzen durch die Gentechnologie sowohl qualitativ als auch quantitativ anders zu beurteilen. Schließlich finden gentechnische Veränderungen vom natürlichen Ökosystem isoliert im Labor statt, die wechselseitige Anpassung von Organismen als Prinzip der natürlichen Entwicklung (Koevolution) fehlt. Auf Grund dieser Fakten soll nicht a priori auf ein hohes Risiko der Gentechnik geschlossen werden, fairerweise müssen sie aber unbedingt in jeder Analyse möglicher Auswirkungen berücksichtigt werden.

Man soll sich weiters bewußt sein, daß das „Spiel mit dem Leben" natürlich nicht erst mit der Gentechnik beginnt. Der Mensch hat schon sehr viel früher in das Wirkungsgefüge der Natur immer wieder eingegriffen. Tatsache ist aber, daß durch die oben erwähnten Charakteristika des gentechnischen Eingriffs, das „Spiel mit dem Leben" um einige naturwissenschaftliche Facetten erweitert wurde.

Abschließend sollen einige zusammenfassende Empfehlungen für eine Handhabung der Gentechnologie auf der Rasis des vorsorgenden Umweltschutzes formuliert werden:

■ Die möglichen Auswirkungen gentechnisch veränderter Organismen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit sollen vor einer Freisetzung möglichst umfassend abgeschätzt werden. Es sollen jedoch dokumentierte Risiken, die von mit konventionelleren Züchtungstechniken (Kreuzungen, Mutationen et cetera) hergestellten beziehungsweise standortfremden Organismen („Exotic Species") ausgehen, nicht vernachlässigt werden.

Weiters sollte die Gentechnik als Züchtungsmethode gegenüber anderen Techniken nicht benachteiligt werden. Folglich wäre längerfristig anzustreben, gentechnisch veränderte Organismen in einem gesetzlichen Rahmen, welcher die Freisetzung von Organismen generell zum Inhalt hat, zu behandeln.

■ Ein geeignetes Monitoring (Überwachung während und nach Freisetzungen soll zur Erhöhung der Sicherheit für Mensch und Umwelt und zum Wissensgewinn über Ökosystemare Zusammenhänge beitragen.

■ Bei der Abschätzung möglicher Auswirkungen von Organismen sollten auch sogenannte sekundäre ökologische Bisiken (Auswirkungen bestimmter Organismen auf die landwirtschaftliche Praxis wie zum Beispiel den Einsatz umweltproblematischer Pflanzenschutzmittel) und so-zioökonomische Auswirkungen mitberücksichtigt werden.

Dafür bietet das Modell der problemorientierten Technikfolgen-Abschätzung eine adäquate Basis. Dadurch sollten nicht nur technische, sondern auch andere, zum Beispiel gesellschaftliche Ansätze zur Lösung von Problembereichen herangezogen werden.

Der Autor ist

Mitarbeiter des Umweltbundesamtes in Wien.

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