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Sommer in Vorarlberg

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Früher als in anderen Jahren ist heuer die schöne Jahreszeit angebrochen. Zu einer Zeit, da sonst unsere Berge von Schnee bedeckt sind, wagten sich heuer die ersten Badegäste in den Bodensee. Bleibt uns das Wetter gnädig, werden wir die Verluste, die uns dm Vorjahr zum Verhängnis, die besonders ungünstige Witterung des Sommers brachten, aufholen. Auf jeden Fall konnte die Bautätigkeit im Hochgebirge früher einsetzen als in anderen Jahren und hat der Fremdenverkehr einen verheißungsvollen Anlauf genommen.

Die Tragsäule unserer Wirtschaft ist nach wie vor ‘die Industrie. Die Vorarlberger Industriebetriebe erzielten im Jahre 1965 einen Bruttoproduktionswert von fast 7 Milliarden Schilling, wobei Sägen, Gaswerke und die in Vorarlberg besonders ins Gewicht fallenden elektrischen Kraftwerke nicht mitgezählt sind. Die Wertsteigerung liegt diesmal im Durchschnitt bei 6,9 Prozent und ist damit etwas geringer als 1964, als sie noch 8,8 Prozent ausmachte. Die Entwicklung in den einzelnen Branchen war unterschiedlich und verlief in verschiedenen Industriebereichen anders als in den übrigen Bundesländern. Dies gilt besonders für den in Vorarlberg immer noch entscheidenden Textillbereich. In weitem Abstand folgten Eisen-, Metall- und Elektrosektor mit 10,6 Prozent des gesamten Produktionswertes.

Sehr hoch liegt die Exportquote der Vorarlberger Industrie. Die Betriebe unseres Landes haben im Jahre 1965 Waren für rund 1,9 Milliarden Schilling ausigeführt; dies bedeutet gegenüber 1964 einen Anstieg um 18,3 Prozent. Die Exportquote an der Gesamtproduktion stieg von 24 auf 27 Prozent. Der Anteil der Textil- und Bekleidungsindustrie an der Ausfuhr blieib mit 79 Prozent nahezu konstant. Dabei entfallen 45 Prozent der Textilexporte auf ‘die Stickerei.

Äußerst erfreulich ist die konstant ‘günstige Lage der Stickerei, die einmal das Sorgenkind der Vorarlberger Wirtschaft gewesen ist. Blättern wir in der Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrzehnte zurück, wechselten in den Stickereibetrieben Hochkonjunktur und fast totale Auftragslosigkeit. Während eines halben Jahrhunderts waren die periodischen Stickerei’krisen fast sprichwörtlich. Seit dem zweiten Weltkrieg bewegt sich die Kurve der Vorarlberger Stickereiausfuhr steil aufwärts. 1965 wurde mit einem Exportwert von

675,5 Millionen Schilling ein neuer Ausfuhr- rekord erzielt, der um 90,1 Millionen Schilling oder 15,4 Prozent über dem des Vorjahres lag. Die Kapazität der Betriebe wurde neuerlich erweitert. Zum erstenmal in der Geschichte arbeiteten 1965 Schweizer Lohnsticker in größerem Umfang für Vorarlberger Fabrikanten; das Umgekehrte war früher Gewohnheit gewesen. Zu Beginn des Jahres 1966 belief sich der Maschinenbestand der Vorarlberger Stickerei auf 803 Scbifflistickmaschinen, von denen 17 modernste 15-Yards-Masdiinen sind. Die Vorarlberger Bruttolöhne für Stickereifacharbeiter liegen, rechnet man die Lohnnebenkosten von 55 Prozent ein, nicht unter denen der Schweizer Konkurrenz mit ihren nur 20 Prozent Lohnnebenkosten.

Vorarlberger Stickereien gehen heute in hundert Länder in allen Erdteilen. Einer unserer Herren war vor ein paar Jahren in Bangkok, wo ihm ein indischer Basarhändler erklärte, Vorarlberg sei das Land, in dem Lustenau liegt und aus welchem die schönen Stickereien kommen. Von der Stickereiausfuhr gingen 43,3 Prozent in den EWG-Raum und 19,25 Prozent in EFTA-Lämder. Von den überseeischen Käufern sind Nord- und Südamerika, die Südafrikanische Republik, der arabische Orient, Hongkong und Thailand für diesen Wirtschaftszweig besonders interessant. Auch Australien gilt als guter Abnehmer.

Der Eisen-, Metall- und Elektrosektor steigerte seine Ausfuhr um 34 Prozent. Stark zugenommen hat der Export ganzer Skilifte. So viel über die schaffende Industrie.

Eine große Rolle nicht nur für die Vorarlberger Erwerbstätigen, sondern für die gesamte österreichische Devisenwirtschaft spielt der Fremdenverkehr, der mehr als eine Milliarde Schilling in Auslandswährungen einbringt. Es wird manchmal eingewandt, der erfreulich hohe Fremdenverkehr im Kleinen Walsertal komme, da dieses Tal mm deutschen Wäihnungs- und Wirtschaftsgebiet gehört, eigentlich der deutschen, nicht der österreichischen Wirtschaft zugute. Dies ist nur zum Teil richtig, da die Unternehmungen des Kleinen Walsertales ihre Steuern wohl in .DM, aber beim . österreichischen Finanzamt einzahlem und damit nicht nur die Einnahmen des Bundes und des . Landes steigern;, sondern auch DM-Devisen einbringen.

Im gesamten Vorarlberg hat der Fremdenverkehr im Sommer 1965 durch Hochwasser und schlechtes Wetter etwas gelitten, doch konnte in der Jahresbilanz ein Meiner Zuwachs an Nächtigungen ausgewiesen werden. Zuwachsraten von 10 und mähr Prozent, wie wir sie von 1955 bis 1961 gewohnt waren, scheinen allerdings nicht mehr erreichbar.

Gegenwärtig arbeiten wir an einer. zeitlichen und räumlichen Erweiterung des Fremdenverkehrs. Wir begrüßen die Bestrebungen in den einzelnen Bundesländern Deutschlands, die Schulferien nicht einheitlich zu regeln, sondern zeitlich zu verteilen, um eine Ballung des Fremdenstromes von Mitte Juli bis Mitte August zu vermeiden. Wir sind auch mit Erfolg bestrebt, die in. Vorarlberg noch bestehenden, vom Fremdenverkehr wenig erfaßten Räume so zu erschließen, daß neue lockende Reiseziele entstehen. So wird der Hintere Bregenzerwald durch einen Sessellift auf den Didamiskopf bereichert. Eine wundervolle Hochigebirigsland- scbaft, die bisher leider meistens durchfahren wurde, wird künftig zum Bleiben einladen. Der Raum von Damüls hat sich jetzt schon in die Spitzengruppe des Fremdenverkehrs emporgearheitet. Gegenwärtig ist Damüls nur vom Bregenzerwald aus zu erreichen; haben einmal die Straßen durch das Große Waiser- tail und durch das Latemsertal ihr Ziel erreicht, wird Damüls ein sehr begehrtes Reiseziel der Autotouristen werden. Während das Montafon im Raume von Schruns-Tscbagguns sowohl dem Sommer- als auch dem Winter- gast bereits eine Fülle von Möglichkeiten bietet, ist das innere Montafon dabei, neue Anziehungspunkte zu schaffen. Es zeigt sich, daß der Vorarlberger Fremdenverkehr immer noch entwicklungsfähig ist.

Weltberühmt ist Vorarlberg durch seine Kraftwerksbauten geworden. Die Vorarlberger IlLwerke haben den Kopsspeicher vollendet und damit nach dem Bau des Silvrettastausees und der Aufstauung des Lünersees die dritte Möglichkeit geschaffen, Wasserkraft für den Augenblick au sparen, in dem sie am notwendigsten gebraucht wird. Das Lutzkraftwerk der Vorarlberger Kraftwerke, des Landesversorgungsunternehmenis, geht seiner Vollendung entgegen.

Weniger bekannt, sind die 25 Wasserkraftwerke Vorarlbergs, die im Besitz .von -Indu- strieuntemefemungen, van Gemeinden oder Privatpersonen sind und zusammen eine Au’Sbauleistung von 20.000 Kilowatt und ein jährliches Arbeitsvermögen von 120 Millionen

Kilowattstunden .besitzen. In Vorarlberg gingen kleine Gemeinschaften wie Gemeinden oder Betriebe in der Energieversorgung mutige neue Wege.

Auf kulturellem Gebiet hoffen wir, daß die Bregenzer Festspiele 1966 wieder viele Gäste aus nah und fern anlocken und österreichische Kunst einem weiten Kreise vermitteln werden. Beim Theater für Vorarlberg hat der verdienstvolle Direktor Professor Richard Wegeier in Herrn Alex Freilbart einen geschickten und wagemutigen Gehilfen erhalten; das Programm der Spielzeit 1965 66 durfte sich wahrhaft sehen lassen. Das Theater für Vorarlberg war trotz der Schwierigkeiten einer Wanderbühne mit Erfolg bemüht, jedem Kunstfreund das Beste ziu bieten. Für den Fundus des Theaters für Vorarlberg und zugleich für die Reservebestände des Landesmuseums wurde ein Neubau errichtet, wo das Theater für Vorarlberg seine Bestände und das Museum Sammlungen, die derzeit wegen Raummangels nicht ‘ausgestellt werden können, verwahren können.

Große Sorgen machen uns die Schulen. Die Einrichtung des polytechnischen Jahres findet überall lebhafte Zustimmung, erfordert aber Räume und Lehrkräfte. Obwohl der Scbulibau in den Vorarlberger Gemeinden seit dem zweiten Weltkrieg mit beispielgebendem Einsatz vorangetrieben wurde, werden die neuen Scbu’lhäuser schon wieder zu klein. Ursache ist nicht nur die Kinderfreudigkeit des Vorarlberger Volkes, sondern auch der Zuzug vor allem junger Familien, der sich in einem rasanten Ansteigen der Schülerzahl äußert. Auf der anderen Seite fallen durch die Verlängerung des Studiums für angehende Lehrpersonen gegenwärtig mehrere Jahrgänge aus, so daß sich die Schwierigkeiten von beiden Seiten steigern.

Im Schulerhäl’tungsgesetz hat sich das Land selbst zur Erhaltung der Berufsschulen verpflichtet und ist nun eifrig bestrebt, dieser Aufgabe nachzuikommen. Vor kurzem konnten wir die Berufsschule für das metallverarbeitende Gewerbe sowie die kaufmännische Berufsschule in Bregenz, eine schulische Einrichtung, die 44 Millionen Schilling kostete und einen internationalen Vergleich mit ähnlichen Anlagen nicht zu scheuen braucht, feierlich eröffnen. Und schon kommen andere Städte des Landes mit den gleichen und ebenso berechtigten Wünschen.

Unser kleines Bundesland kann sich glücklich schätzen, zufolge seiner vielgestaltigen Wirtschaft im Rahmen des gesamten Staates eine Stellung einzunehmen, die seine Bedeutung, gemessen an der flächenmäßigen Ausdehnung und der Bevölkerungszahl, weit überschreitet.

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