Soziale Verantwortung der Unternehmen: „Kein Akteur kann Hunger oder Armut allein lösen“
Moralisch richtiges und soziales Handeln sollte zur Grundbedingung für Unternehmer werden, sagt Wirtschaftsethikerin Ramona M. Kordesch. Über verantwortungsvolle Ökonomie.
Moralisch richtiges und soziales Handeln sollte zur Grundbedingung für Unternehmer werden, sagt Wirtschaftsethikerin Ramona M. Kordesch. Über verantwortungsvolle Ökonomie.
Angefangen bei der Lieferkette bis hin zum Produkt gilt es für Wirtschaftstreibende, sauber zu agieren, fordert die Ethikerin und Theologin Ramona M. Kordesch vom Österreichischen Rat für Nachhaltige Entwicklung. Im Gespräch erklärt sie, warum es Zeit wird, die Industrielobby in ihre (politischen) Schranken zu weisen.
DIE FURCHE: Frau Kordesch, in den letzten Jahren gab es in vielen Staaten, auch in der EU, Fortschritte bei Fragen der Nachhaltigkeit, es entstand größeres Bewusstsein für Umwelt und Arbeitsschutz. Wird dies durch den Ukraine-Krieg, die Inflation und ökonomische Unsicherheit wieder zunichtegemacht?
Ramona M. Kordesch: Es ist erst einmal wichtig zu sehen, dass wir mit den Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Goals der Vereinten Nationen, schon viele Jahre hinterherhängen. Das begann bereits mit US-Präsident Donald Trump, der die Zahlungsbeiträge an die UN reduziert hatte, und dies zu einer Zeit, als die Spaltung und die Schere zwischen Arm und Reich ohnehin immer größer wurde. Wir sind zudem die Generation der Krise: Flüchtlings-, Banken- und Euro-Krise, des UkraineKrieges. Doch Krisen setzen auch kreatives Potenzial frei, um Lösungen zu suchen. Denn genau in diese Krisenzeit haben wir Anfang 2016 die 17 Nachhaltigkeitsziele implementiert und wollen sie bis 2030 erreichen. Um das zu erreichen, muss in der Wirtschaft ein neues ökonomisches Verständnis her, die relationale Ökonomie.
DIE FURCHE: Was bedeutet relationale Ökonomie genau?
Kordesch: Der Begriff ist recht neu, er stammt von Josef Wieland, einem bedeutenden Wirtschaftsethiker aus Deutschland. Um es kurz zu sagen: Es gibt Dinge, die mehr Wert haben, als ihr Preis ist. Vor dem relationalen Hintergrund ist es die Aufgabe von Unternehmertum, nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Wertschöpfung zu stiften – der ökonomischen Hochstufung muss eine soziale Hochstufung folgen. Künftig geht es auch um die Aufmerksamkeit für den Stakeholder (Teilhaber, Anspruchsberechtigte; Anm. d. Red.), und es ist letztlich die gesamte Gesellschaft, die Stakeholder ist. Zukünftig wird es notwendig werden, an einem Standard, der die soziale Wertschöpfung von Unternehmertum misst, ausweist und vergleicht, zu arbeiten. Eine Aufgabe, der sich der Österreichische Rat für Nachhaltige Entwicklung annimmt.
DIE FURCHE: Doch sind börsennotierte Konzerne überhaupt an sozialer Wertschöpfung interessiert – zumal man in Krisenzeiten Standards eher zurückfährt als verbessert?
Kordesch: Bei Unternehmen, die an dieser Art von Wertschöpfung nicht interessiert sind, also vom Shareholder (Anteilseigner, Anm. d. Red.) zum Stakeholder zu gehen, müssen wir in Zukunft andere Besteuerungen finden, die wie das Lieferkettengesetz moralisch richtiges Handeln einfordern. Die EU etwa ist dabei, Gesetze auf den Weg zu bringen, durch die etwa multinationale Konzerne verpflichtet werden, nichtfinanzielle Geschäftsberichte vorzulegen, in denen sie zeigen, was sie an sozialem Mehrwert gestiftet haben. Bislang haben wir in dieser Hinsicht ein Regulierungsdefizit auf globaler Ebene – national und regional wird überreguliert, globale Konzerne hingegen sind unterreguliert. Wir haben globale Probleme, aber nationale Gesetzgebungen, das kann ja nicht funktionieren. Kein Akteur kann Probleme wie Armut, Hunger oder Bildungsgerechtigkeit allein lösen, es kommt auf gute Kooperationen an. Unsere Nachhaltigkeitsziele sind in Gefahr, weil in Europa neue Fundamentalismen wiederauferstehen und wir nationale Gesetzgebungen haben, die widerstrebig sind zu globalen Problemen.
DIE FURCHE: Gibt es in der EU Willen und Potenzial, diese Dinge zu regulieren?
Kordesch: Das Potenzial ist da, das anständig zu regulieren, doch die EU ist zerstritten, sie ist nicht einhellig sprachfähig. Die EU formuliert kein einheitliches Programm, das einerseits die durch den Krieg bedingten Probleme realistisch angeht und andererseits die Nachhaltigkeitsziele nicht fallenlässt. Die Aufgabe der Wirtschaft ist nicht, 1000 Euro oder 100.000 Euro in ein CSR-Projekt (Unternehmerische Sozialverantwortung, Anm. d. Red.) zu geben, und damit ist die Verantwortung dann erledigt. Sondern es geht darum, dass die Geschäftsmodelle, also die gesamte Lieferkette bis zum Produkt hin, sauber sind.
Dies ist die Aufgabe der Wirtschaft. Und es ist die Aufgabe der Politik, das zu regulieren und für EU-Gesetzgebung zu sorgen – es reicht nicht, dass es ein Lieferkettengesetz in Deutschland gibt. Doch seit vier Jahren wird ein solches Gesetz auf EU-Ebene verhandelt, und es kommt nicht durch, weil die Industrielobby viel zu viel zu sprechen hat.
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