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Soziale Zügel für den Weltmarkt

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globalisierung: Ein Phänomen wird als Quasi-Naturgesetz gehandelt. Wie ist es aus der Warte der katholischen Soziallehre zu beurteilen?

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globalisierung: Ein Phänomen wird als Quasi-Naturgesetz gehandelt. Wie ist es aus der Warte der katholischen Soziallehre zu beurteilen?

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DIEFURCHE: Globalisierung, dieser Begriffprägt heute die Debatten über die gesellschaftliche Entwicklung. Welche Aspekte sind hier aus Ihrer Sicht von Bedeutung?

P. Johannes Schasching: Die zwei Stichworte der neunziger Jahre sind Globalisierung und technische Innovation. Diese beiden Faktoren zwingen zu Strukturveränderungen: national, aber auch überstaatlich. Man sagt, die Zukunft gehöre der Ausweitung und Vertiefung des internationalen Handels, der Finanzmärkte und der Informationsströme, die sich zu einem globalen Markt vereinigen. Viele meinen, hier handle es sich quasi um Naturgesetze und es gäbe kein Ausweichen. Allerdings verspricht man sich von dieser Globalisierung und technischen Innovation einen globalen Wohlstand.

DIEFURCHE: Sie sprechen von einer Quasi-Naturgesetzlichkeit Ist dies also eine einseitige Sichtweise der gesellschaftlichen Entwicklung? Schasching: Ich möchte folgendes unterscheiden: Es gibt selbstverständlich ökonomische Gesetzmäßigkeiten, die auch die Ethik nicht aus der Welt schaffen kann. Ich nenne zum Beispiel: Das Gesetz von Angebot und Nachfrage, die Beziehung zwischen Lohnhöhe und Arbeitsplätzen, zwischen Investition und Sparen. Aber es handelt sich dabei immer nur um Teilaspekte eines größeren Zusammenhanges. Denn die Wirtschaft ist ja nicht nur Gütererzeugung. Sie ist zugleich auch ein zwischenmenschlicher und ein auf das Gemeinwohl hingeordneter Prozeß. Man sollte nicht nur die Menge der Produkte und die Preise sehen, sondern insbesondere die Sicherung der Arbeitsplätze, die Beteiligung der Arbeit, die Frage der Mitverantwortung, das Becht und die Pflicht des Staates, Rahmenbedingungen für das Wirtschaften zu setzen. Darum spricht man ja auch von einer sozialen Marktwirtschaft, also einer Wirtschaft, in der das Soziale nicht nur ein Anhängsel, ein schmückendes Beiwort ist. Das Soziale soll die verschiedenen Dimensionen des Wirtschaftens durchziehen. Die Wirtschaft ist nicht nur Sach-, sondern auch Sozial-und Kulturprozeß. Das ist die Ausgangsposition dessen, was wir als katholische Soziallehre bezeichnen.

DIEFURCHE: Was sagt diese Lehre zum Phänomen der Globalisierung? schasching: Die katholische Soziallehre ist nicht gegen den Markt und auch nicht gegen die Globalisierung. Die letzte Sozialenzyklika Johannes Pauls II. spricht ausdrücklich von der „grundlegend positiven Rolle des Unternehmens, des Marktes und des Privateigentums”. Eines aber betont sie ebenso eindeutig: Der Markt, auch der globale Markt, garantiert nicht automatisch des Wohl aller. Der Markt braucht die Ordnungskraft des Staates und der gesellschaftlichen Kräfte -und in zunehmender Weise die überstaatlichen und internationalen Abkommen.

DIEFüRCHE: Fehlt eine solche Ordnung: Was wären die Folgen davon? schasching: Es würde sehr viele Verlierer geben und es gibt sie bereits, auch in den Industrieländern: die wachsende Zahl der Arbeitslosen, vor allem der Jugendlichen, die neue Armut, von der in Österreich über 800.000 Menschen betroffen sind; 100.000 Familien mit 270.000 Kindern leben an der Armutsgrenze und darunter. • •

DIEFURCHE: Sie sagten, „auch in den Industrieländern”. Meinen Sie damit, daß auch die Dritte Welt zu den Verlierern der Entwicklung gehört? schasching: Der globale Markt privilegiert die drei großen Regionen: USA, Europa, Japan. Trotz beachtlicher Fortschritte in einigen Entwicklungsländern, fallen andere in der Entwicklung weit zurück. Nach dem jüngsten Bericht der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen entfallen 90 Prozent aller Direktinvestitionen auf die drei genannten Regionen, zusammen mit einigen Provinzen Chinas. Für den Rest der Welt mit über 70 Prozent der Weltbevölkerung verbleiben knappe zehn Prozent.

DIEFURCHE: Wie steht die katholische Soziallehre zu dieser Frage? schasching: Schon im päpstlichen Rundschreiben „Populorum Progres-sio” steht eindringlich, daß die Entwicklungsländer nicht vom Weltmarkt ausgeschlossen werden dürfen. Die Gründe für die bestehende Benachteiligung sind unter anderem die massive Verschuldung (weit über 1.500 Milliarden Dollar) und die Handelspolitik der Industrieländer, die durch Zollschranken und Einfuhrhindernisse mehrere Entwicklungsländer diskriminieren. Sicher sind die Entwicklungsländer mit schuld an der Situation, vor allem wegen ihrer politischen Instabilität und der internen Korruption. Letzteres entschuldigt die Industrieländer aber nicht, ihre Verantwortung für die Entwicklungsländer wesentlich ernster zu nehmen. Hier geht es nicht nur um Fragen der Humanität, sondern sehr wesentlich auch um die Frage der Erhaltung des Weltfriedens.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie die Aufgabe der Kirche im Blick auf diese innerstaatliche und globale soziale Frage? SCHASCHING: Die Kirche hat keine Kompetenz, wirtschaftliche oder politische Modelle zu erstellen. Aber sie hat aufgrund ihres im Evangelium grundgelegten Menschenbildes dort kritisch ihre Stimme zu erheben, wo die Menschenwürde verletzt wird. Und sie hat selber dazu beizutragen, daß Unrecht und Ausbeutung beseitigt werden. Genauso steht es im Sozialrundschreiben über die menschliche Arbeit.

DIEFURCHE: Sehen Sie im Bückblick auf die letzen Jahrzehnte, daß die katholische Soziallehre Einfluß auf das Geschehen gehabt hat? SCHASCHING: Man muß zwischen politischem Einfluß - als ob die Kirche wie eine Lobby auftreten würde, was nicht ihre Aufgabe ist - und ihrem Einfluß auf das Bewußtsein unterscheiden. Als Zubringer zu einer Gesinnungsre-form einer Bewußtseinsveränderung hat die Kirche eine ganz wesentliche Aufgabe. Egoismus allein schützt uns nicht vor dem Zerreißen des sozialen Zusammenhaltes. Böpke spricht von „den Dingen jenseits von Angebot und Nachfrage”. In diesem Bereich ist zweifellos die große Aufgabe der Kirche.

DIEFURCHE: Wird sie als Institution auch gehört?

SCHASCHING: Hier ist die große Aufgabe der Laien, diese Dimension bewußt in die Gesellschaft einzubringen. Der Papst hebt das in der Enzyklika „Cen-tesimus Annus” hervor. Das ist eine Aufgabe, die primär die Christen als Laien in den verschiedenen Organisationen und Sachbereichen herausfordert.

DIEFURCHE: Glauben Sie, daß der von der katholischen Kirche initiierte „Dialog fiir Osterreich ” in diesen Fragen einen Impuls geben wird? Schasching: Ich weiß, daß es Skepsis gibt. Aber es geht ein Unbehagen durch unser Land. Sicherheiten werden aufgebrochen, Solidaritäten aufgekündigt und wir sind vor Zwänge gestellt, die europaweit und weltweit sind. Natürlich geht es dabei immer auch um wirtschaftliche und politische Lösungen. Aber es geht ebenso entscheidend um Werte und Haltungen. Selbst ein so eingefleischter Marktgewinner wie George Soros sagte kürzlich: „Es reicht nicht aus, nur Eigeninteresse zu verfolgen. Man muß das Gemeinwohl der freien Märkte, der Demokratie und der offenen Gesellschaft über die egoistischen Interessen stellen, weil das System sonst nicht überleben kann.” Werte und Haltungen aber können weder technisch erstellt noch organisatorisch erzwungen werden. Die Kirche - und ich sage es sehr bewußt - die Kirchen, sind sicher nicht die einzige Kraft, die Sinn, Werte und Haltungen vermitteln. Aber ihr Beitrag ist heute dringend angefragt. Darum brauchen wir einen Dialog für Österreich: Nicht nur, aber auch in seiner sozialen Dimension.

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