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Sozialpartnerschaft, quo vadis?

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Parteienvielfalt und EU-Beitritt bringen eine Amerikanisierung des österreichischen politischen Systems.

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Parteienvielfalt und EU-Beitritt bringen eine Amerikanisierung des österreichischen politischen Systems.

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International gilt die österreichische Sozialpartnerschaft als ein Musterbeispiel für Zusammenarbeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen. Korporatismus nennen das die Politikwissenschaftler. Die Dominanz, mit der die großen Wirtschaftsverbände (Wirtschafts-, Arbeiter- und Landwirtschaftskammer sowie der Osterreichische Gewerkschaftsbund) das Geschehen der Zweiten Republik lenkten, ist weltweit ein Unikat und prägte auch den Begriff vom „Kammerstaat Österreich”. Bemerkenswert ist insbesondere die Kooperation von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen, die dem System eine beachtliche Kontinuität und Stabilität brachte. Österreich blieben dadurch lähmende Auseinandersetzungen erspart, wie sie etwa aus Großbritannien oder Italien bekannt sind. Wo sonst wird die Streikdauer in Sekunden gemessen?

Historisch gesehen ist dies wohl ein Ergebnis der wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen der Zwischenkriegszeit und des Zweiten Weltkriegs. Das Gemeinsame vor das Trennende setzen, hieß die Devise der Nachkriegszeit.

In den letzten Jahren geriet diese Art der Interessenorganisation aber immer häufiger ins Kreuzfeuer der Kritik. Zum Beispiel, weil neben den traditionellen Sozialpartnern kein Platz für neue gesellschaftliche Gruppierungen wie der Umweltoder Frauenbewegung war. Während aber etwa die Grünen eine Reformierung des Systems einfordern, wollen die Freiheitlichen gleich deren Ende. Ihre Forderung nach Aufhebung der Kammer-Pflichtmitgliedschaft würde die Sozialpartnerschaft in erhebliche Schwierigkeiten bringen.

Professor Peter Gerlich vom Institut für Staats- und Politikwissenschaften der Universität Wien hat im Auftrag der Arbeiterkammer korporative Systeme (wie etwa das österreichische) lobbyistischen Modellen nach dem Vorbild der USA gegenübergestellt1'. Er hat dabei einige Gründe entdeckt, die eindeutig für erstere sprechen:

■ Sie sind eindeutig leistungsfähiger als Lobbysysteme.

■ Sie vertreten die Interessen ihrer Mitglieder weit effizienter.

■ Sie ermöglichen im Vergleich die bessere Erreichung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, kultureller und politischer Ziele.

Heinrich Neisser (ÖVP), zweiter NationaTratspräsident und ebenfalls Politik-Professor in Wien, teilt im FURCHE-Gespräch diese Grundeinschätzung, gibt aber gleichzeitig zu bedenken, daß das österreichische Modell strukturkonservierend wirkte und gegenüber Innovationen verschlossen blieb.

Dies könnte sich bald ändern. Spätestens seit dem Oktober 1994 ist der Einfluß der Sozialpartner in Österreich im Schwinden begriffen.

Denn mit den Verlusten der Großparteien bei der Nationalratswahl sank auch die Legitimation der Interessenverbände, die ja eine starke Nähe zu SPÖ und ÖVP aufweisen. Die Debatten rund ums Sparpaket brachten dann zum ersten Mal einen echten Bruch in die Linie SPÖ-AK-ÖGB, der quer durch alle Gremien ging.

Peter Gerlich konnte in seiner Untersuchung auch einen internationalen Trend Richtung Lobbysysteme beobachten. Die gilt auch für Österreich. Denn seit dem Beitritt zur Europäischen Union (EU) hat Österreich auch einen Teil seiner „politischen Autarkie” verloren.

Gerlich sieht in der EU ein Lobbyismus-Modell, das schon fast amerikanische Züge aufweist. Die Wirtschaftskammer und die Arbeiterkammer haben zwar auch in Brüssel ihre Büros eröffnet, sie müssen aber gegen eine wahre Lobbyisten-Armee antreten. Schätzungen sprechen davon, daß in der europäischen Hauptstadt bis zu 10.000 Lobbyisten für die Interessen ihrer Auftraggeber (vor allem der Industrie) auftreten. Neisser mutmaßt in diesem Zusammenhang, daß etwa Großkonzerne kein großes Interesse daran haben könnten, wenn neben ihren eigenen Lobbyisten auch Interessenverbände entsprechend Meinungsbildung betreiben würden.

Die Österreicher selbst wissen nicht so genau, welchem Modell sie nun mehr Vertrauen entgegenbringen sollen. Glaubt man Meinungsumfragen, ist die Akzeptanz der Sozialpartnerschaft nach wie vor sehr hoch. Wird allerdings nach der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern gefragt, sehen die Ergebnisse schon ganz anders aus ...

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