Steuerfreie Schattenwelt

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Die Schattenwirtschaft boomt in Österreich. Jährlich wachsen die durch Schwarzarbeit erwirtschafteten Beträge an. Heuer werden es vermutlich 22,5 Milliarden Euro sein.

Arsim gibt die Hoffnung nicht auf. "Es wird wieder Arbeit geben, wenn der Frühling kommt", ist er überzeugt. Illegale Arbeit auf Baustellen um ungefähr fünf Euro in der Stunde. Der 37-jährige Kosovare steht, gemeinsam mit etwa zehn anderen Männern, jeden Tag ab sechs Uhr morgens auf dem "Schwarzarbeiter-Strich" im Westen von Wien. Aber im Winter bleibt nur selten ein Auto stehen und nimmt einen der Männer mit auf eine Baustelle. Die meisten Baufirmen haben im Winter keine Arbeit zu vergeben, und private Häuselbauer kommen kaum einmal. Seit einigen Monaten sei er in Österreich, erzählt Arsim. Mit einem Touristenvisum. Arbeiten darf er hier nicht. Schwarzarbeit als letzter Ausweg? "Wovon", fragt er, "soll ich denn sonst leben?" Zurück in den Kosovo wolle er auf keinen Fall. Dort sei die Arbeitsmarktsituation noch viel schlimmer. Wie viele Jobs er in den Wintermonaten bisher hatte, will Arsim nicht sagen. "Wenige", meint er unbestimmt. Dass er zur Zeit in den Wintersportregionen vermutlich mehr Glück hätte, hat ihm niemand gesagt.

Wertschöpfung ...

Schwarzarbeit ist ein boomender Wirtschaftszweig, wie die Berechnungen des Volkswirtschaftsprofessors an der Universität Linz, Friedrich Schneider, zeigen. Er schätzt, dass heuer rund 22,5 Milliarden Euro Wertschöpfung "schwarz" erzielt werden (siehe Kasten). Dabei machen illegal arbeitende Ausländer wie Arsim nur einen relativ geringen Anteil aus, ist sich Schneider sicher. Geschätzte 109.000 Personen waren es im vergangenen Jahr, heuer werden es nach Schneiders Schätzungen 112.000 sein, die ohne Arbeitsgenehmigung in Österreich tätig sind.

Den viel größeren Teil machen jedoch die "Nebenerwerbspfuscher" aus, die sich zu ihrem regulären Job noch im Durchschnitt 300 Euro dazuverdienen, erklärt Schneider im Gespräch mit der Furche: "Schwarzarbeit ist ein Massenphänomen, das selbstständig und unselbstständig Beschäftigte zwischen Boden- und Neusiedlersee ausmachen. Das sind nicht ein paar Firmen, das sind auch nicht ein paar Ausländer oder Arbeitslose, das sind wir. Häuselbauer, Nachhilfelehrer und die, die eine Putzfrau nicht anmelden." Zwei Drittel der Wertschöpfung würden neben einem regulären Job erzielt. In Österreich werden heuer nach Schätzung Schneiders so viele Arbeitsstunden im Pfusch geleistet, dass dadurch 769.000 Vollzeitarbeitsplätze entstehen könnten. Zum Vergleich: Im Jänner dieses Jahres waren beim Arbeitsmarktservice 303.676 Arbeitslose registriert.

Je höher in einem Land die Steuerbelastung sei, desto größer sei auch der Anteil der Schattenwirtschaft, erläutert der Volkswirt. Etwa die Hälfte der Zunahme der Schwarzarbeit liege darin begründet. Aber auch die Einstellung der Bürger zum Staat sei ein bedeutender Faktor: "Es macht einen Unterschied, ob die Bürger meinen, der Staat gehe mit ihren Steuergeldern sorgsam um oder nicht."

Von höheren Strafen für die Erwischten hält Schneider jedenfalls nichts. "Solange es kein Unrechtsbewusstsein gibt, nützt das gar nichts." Und das Unrechtsbewusstsein scheint tatsächlich gering zu sein, wie eine aktuelle Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstitutes Imas zum Strafrahmen von bestimmten Delikten und Verbrechen belegt. Denn nur zehn Prozent der tausend Befragten meinten, Schwarzarbeit müsste strenger bestraft werden, dagegen waren 18 Prozent für geringere Strafen. Damit gilt der Pfusch ebenso als Kavaliersdelikt wie Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Sinnvoller als höhere Strafen wäre eine gesetzliche Regelung, die es erlaubt, neben dem Hauptberuf, in dem man ohnehin Steuern und Sozialversicherungsabgaben bezahlt, noch rund 300 Euro dazuverdienen zu können und dafür nur einen Steuersatz von zehn bis zwanzig Prozent vorzusehen, fordert Schneider. Dadurch wäre der Anreiz schwarz zu arbeiten wesentlich geringer.

Ein Manko seien auch die Kontrollen, die viel zu wenig genau durchgeführt würden. Jeder wisse, wo schwarz gearbeitet wird. "Es gräbt ja niemand ein Haus ein, wenn er es schwarz bauen lässt. Die Kontrollen müssten viel rigoroser durchgeführt werden, um die Schwarzarbeit einzudämmen. Ich bezweifle, dass das gelingt."

Die dem Finanzministerium unterstellte "Inspektionsgruppe zur Kontrolle illegaler Ausländerbeschäftigung", kurz KIAB, versucht dennoch, zumindest die illegale Ausländerbeschäftigung zu verringern. Seit Juli des Vorjahres sind die mehr als 90 Beamten vor allem auf Baustellen im Einsatz. Der Leiter der Betrugsbekämpfung im Finanzministerium, Herwig Heller, erklärt: "Gerade auf Großbaustellen, wo viele Subfirmen tätig sind, kann man davon ausgehen, dass man immer etwas findet." Jeder zehnte kontrollierte Arbeitnehmer sei im Durchschnitt illegal beschäftigt. In Wien sei beispielsweise vor kurzem eine Firma aufgeflogen, deren 18 Arbeitnehmer alle Arbeitslosenhilfe kassiert hätten. Zwar sind schwarz arbeitende Inländer oder Ausländer mit Beschäftigungsbewilligung, aber ohne Anmeldung bei der Sozialversicherung nicht das Ziel der KIAB-Kontrollen, aber es besteht eine enge Kooperation mit den Sozialversicherungen, den Finanzämtern und dem Arbeitsmarktservice, denen solche Fälle gemeldet werden und die auch selbst Kontrollen durchführen.

... und Wettbewerbsvorteil

Um auf Dauer wirkungsvoll gegen die Schwarzarbeit vorgehen zu können, plädiert Heller für eine Verdoppelung der KIAB-Mannschaft. "Sonst geht es den redlichen Unternehmen an den Kragen, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind." Denn nicht die illegal beschäftigten Ausländer seien "die Bösen", stellt er klar, sondern die Firmen, die sich durch die fehlenden Lohnnebenkosten und oft auch durch Löhne weit unter dem Kollektivvertrag einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren gesetzestreuen Konkurrenten verschaffen. Die betroffenen Ausländer seien "nur die schwächsten Glieder in der Kette."

Nach Betrieben ohne Gewerbeschein suchen dagegen die Landesgruppen der Wirtschaftskammer. Klaus Drössler von der Pfuscherbekämpfungsstelle der Wiener Wirtschaftskammer erklärt, dass zwar die Kammer über Schwarzarbeiter, also nicht bei der Sozialversicherung gemeldete Arbeitnehmer, "nicht glücklich" sei und man gegen "große Fische" auch einschreiten müsse. "Aber wenn sich ein Betrieb über die große Abgabenlast hinweghilft, indem er ab und zu jemanden schwarz beschäftigt, dann lasse ich den deswegen nicht gleich auffliegen."

Wirtschaftsfaktor Schwarzarbeit

Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Schätzung des Wirtschaftsforschungsinstitutes heuer gegenüber dem Vorjahr um nur 1,7 Prozent wachsen wird, prognostiziert der Volkswirtschaftler Friedrich Schneider, dass die durch Schwarzarbeit erwirtschafteten Erträge um 3,2 Prozent steigen werden. Wurden im Jahr 1970 noch Erträge in Höhe von 1,89 Prozent des BIP erwirtschaftet, werden es heuer voraussichtlich 10,86 Prozent sein. Somit werden 22,5 Milliarden Euro unter Umgehung von Finanzämtern und Sozialversicherungen erzielt, die dadurch sieben Milliarden Euro an Beiträgen und Steuern verlieren.

Trotz der Steigerung des Anteils der Schwarzarbeit hat Österreich im Vergleich zu den anderen EU-Staaten den geringsten Schwarzarbeitsanteil. Spitzenreiter sind die südlichen Länder. Beispielsweise macht laut dem italienischen Statistikamt Eurispes in Italien die Schwarzarbeit rund dreißig Prozent des BIP aus, das sind 316 Milliarden Euro im Jahr. Das Phänomen Schwarzarbeit, so der Eurispes-Bericht, sei so weit verbreitet, dass es bereits als Eckpfeiler der italienischen Wirtschaft zu bezeichnen sei.

In der gesamten EU gehen schätzungsweise mehr als 20 Millionen Menschen einer Schwarzarbeit nach.

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