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Steuersenkung — aber wie ?

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Sooft ein Finanzminister eine Steuersenkung in Aussicht stellt, pflegt der überwiegende Teil des Volkes eine solche Ankündigung mit großer Freude zu begrüßen. Erhofft sich doch zunächst jedermann von einer solchen Maßnahme eine gewisse Erleichterung der auch ihn persönlich drückenden Steuerlast.

Die prinzipielle Einigkeit darüber, daß Steuern gesenkt werden sollen, verwandelt sich aber bald in mannigfache Zwietracht, sobald darüber eine Entscheidung getroffen werden soll, in welcher Weise die Steuersenkung durchgeführt werden soll. Da treten die einen für eine Senkung der direkten, die anderen für eine Ermäßigung der indirekten Steuern ein. Manche befürworten eine Abschwächung der hohen Progression bei den größeren Einkommen, andere wieder wünschen eine weitestgehende Steuerbefreiung kleinerer Einkommen. So ist bald allenthalben ein wilder Meinungsstreit im Gange, so daß es bald hoffnungslos erscheint, so viele Ansichten halbwegs auf einen Nenner zu bringen.

Es ist schon eine etwas tiefere historische Sicht und zugleich eine etwas breitere europäische Schau nötig, wenn man ein einigermaßen zuverlässiges Urteil darüber gewinnen will, welche Anforderungen vom volkswirtschaftlichen Standpunkt tWiM äudh nach den Grundsätze der Steuergerechtigkeit an die Gestaltung eines modernen Einkommensteuertarifs gestellt werden können.

Hier ist vor allem einmal auf ein gewisses Maßhalten in der Steuerprogression zu achten. Haben doch die Steuertarife des letzten Krieges und der unmitelbaren Nachkriegszeit nur zu deutlich gezeigt, daß eine Ueberspannung des Progressionsgedankens bei den höheren Einkommen den Sparwillen herabsetzt und damit die Kapitalbildung hemmt sowie den Leistungswillen mindert, insbesondere die unternehmerische Leistung beeinträchtigt. Es hat eben — wie heute immer mehr erkannt wird — auch die progressiv gestaltete Einkommensteuer dem Steuerpflichtigen immerhin so viel steuerfrei zu belassen, daß sein Erwerbstreben nicht erheblich herabgesetzt wird.

In richtiger Erkenntnis dieses’, Umstandes wurde in Oesterreich schon aus Anlaß der beiden letzten Einkommensteuersenkungen (1954 und 1955) eine beträchtliche Milderung der Steuerprogression vor allem bei den höheren Einkommen durchgeführt und bei den kleinsten Einkommen größere Steuerfreibeträge gewährt. In den mittleren Einkommensschichten ist jedoch der Einkorn- mensteuertarif immer inflationistisch aufgebläht, weshalb man scherzhaft auch von einem „Mittelstandsbauch” der Steuerkurve spricht.

Dies zeigt ein Vergleich der prozentuellen Einkommensteuerbelastung zwischen den Steuertarifen der Jahre 1957 und 1946 (unter Verwendung eines achtfachen Valorisierungsfaktors) besonders deutlich. Beweist er doch anschaulich, wie sehr gerade in den mittleren Einkommensschichten die Steuerbelastung — insbesondere der Steuergruppe II und III — in den letzten zehn Jahren gestiegen ist. Noch mehr erweist sich aber die steuerliche Ueberbürdung des österreichischen Mittelstandes aus einer Gegenüberstellung der österreichischen Steuerbelastung zu den Steuerbelastungen gleicher Einkommen in anderen europäischen Ländern, wobei sich die folgende Zusammenstellung auf die Ausführungen Dr. Herczegs im „Oesterreichischen Volkswirt” (Nr. 25 vom 24. Juni 1955) stützt:

unmöglich, unsere Einkommensteuerbelastung an die der USA oder Englands anzupassen. Weit näher liegt dagegen eine Anpassung an Länder wie Westdeutschland, Belgien und Schweden. Der Steuertarif dieser drei Staaten weist lediglich in den unteren Stufen wesentliche Abweichungen auf; bei den mittleren Einkommen verlaufen jedoch die Steuertarife dieser drei Vergleichsländer durchweg gleich, wobei zwischen 50.000 und 100.000 Schilling Jahreseinkommen die Belastung ziemlich einheitlich um 20 Prozent geringer ist als in Oesterreich.

Hier hätte daher eine Steuersenkung von rund 20 Prozent Platz zu greifen, um diese für das österreichische Wirtschaftsleben maßgebenden Einkommensschichten durch eine Ueberbesteuerung im Wettbewerb mit den weitaus geringer besteuerten ausländischen Konkurrenten nicht allzu sehr zu benachteiligen.

Der geltende Einkommensteuertarif bedarf jedoch nicht nur in vertikaler, sondern auch i n horizontaler Richtung dringend einer Korrektur, weil derzeit die erhebliche wirtschaftliche Mehrbelastung der Familie im Einkommensteuertarif viel zu wenig berücksichtigt wird, obschon heute auf den Familienstand des Steuerpflichtigen in der modernen Einkommensteuer aller Staaten durch eine entsprechende Differenzierung des Steuersatzes Bedacht genommen wird.

Diese Differenzierung der Einkommensteuer nach dem jeweiligen Familienstand ist nicht etwa — wie dies vielfach geschieht — als eine auf dem Steuersektor durchgeführte Maßnahme der Familienfürsorge aufzufassen, welche dem Zwecke dient, gewisse Mindestkosten für den Unterhalt von Frau und Kindern steuerlich zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei nur um die konsequente Durchführung des den modernen EinkommenSteuertarif beherrschenden Grundgedankens, daß jedermann nur nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden soll.

Dieser das moderne Einkommensteuerrecht beherrschende Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wurde in Oesterreich seit 1946 weithin verlassen. Vergleicht man nämlich den derzeitigen Ein- Kommensteuertärif mit dem Einkommensteuertarif 1946, wobei man die dortigen Steuerbeträge entsprechend der seither eingetretenen Geldentwertung mit einem Valorisierungsfaktor von acht multipliziert, so zeigt sich, daß die Einkommensteuerbelastung in Steuergruppe I (Ledige) seit 1946 eine Senkung erfahren hat, während sich die Steuerbelastung in Steuergruppe II ein wenig erhöht, in Steuergruppe III dagegen (insbesondere bei kinderreichen Steuerpflichtigen) erheblich vergrößert hat. So hat zum Beispiel die Einkommensteuerbelastung bei Steuerpflichtigen mit fünf Kindern und einem Jahreseinkommen von 42.000 S bis 72.000 S sich auf das Sieben- bis Achtfache erhöht!

Diese bedeutende Erhöhung der Einkommensteuerbelastung kinderreicher Steuerpflichtiger ist darauf zurückzuführen, daß man seit 1946 in Oesterreich die Stufen zwischen .den einzelnen Steuergruppen weitgehend nivelliert hat, indem man die Kinderermäßigung in keiner Weise der eingetretenen Geldentwertung anpaßte, so daß sie heute im Verhältnis zur einstigen Größe nur noch eine zarte Andeutung im Sinne eines buchhalterischen „Erinnerungswertes” darstellt. Denn im Jahre 1946 betrug der Höchstsatz 855 S, was wertmäßig (bei einem Valorisierungsfaktor von 8) heute 6840 S ausmacht, während sie derzeit im Grundtarif (also ohne Berücksichtigung der achtzehnprozentigen Zuschläge) maximal bloß 851 S, d. i. also nur ein Achtel des einstigen Wertes, beträgt.

Wie sehr die Erhalter kinderreicher Familien heute überbesteuert werden, mag die folgende Gegenüberstellung zeigen, welche einen Vergleich der Einkommensteuerbelastung 1946 und 1957 bezüglich der Steuergruppen I (Ledige) und III/3 (Steuerpflichtige mit drei Kindern) und III/5 (Steuerpflichtige mit fünf Kindern) bringt:

Aus diesen Aufstellungen ergibt sich klar, welches schwere Unrecht und eine wie große Benachteiligung die kinderreichen Steuerpflichtigen mittlerer Einkommen seit dem Jahre 1946 erfahren haben. Sie haben daher in erster Linie Anspruch auf eine erhebliche Steuersenkung, wobei diese Forderung gar nichts mit Familienpolitik zu tun hat.

Während heute die meisten höheren Angestellten, soweit sie kinderlos sind, sich darüber den Kopf zu zerbrechen pflegen, welche Autotypen sie sich nächstens anschaffen werden, macht sich ihr kinderreicher Berufskollege darüber Sorgen, wie er das Geld für den längst notwendigen Schuhdoppler seines Jüngsten aufbringen soll. Hier ist doch irgend etwas nicht in Ordnung! Auch wenn es sich von selbst versteht, daß Familien anders rechnen müssen als alleinstehende Menschen, so gibt es doch irgendwo eine Grenze zwischen dem, was in der Natur der Dinge liegt, und dem, was nicht mehr anders denn als Unrecht angesehen werden kann.

Es ist hohe Zeit, daß man auch in Oesterreich das den Familien durch die Verzerrung des Einkommensteuertarifes seit 1946 angetane schwere Unrecht endlich beseitigt und damit zahlreiche Familien aus erniedrigender Deklassierung befreit. Die für 1. Jänner 1958 geplante Steuersenkung gibt die Möglichkeit, diese längst fällige Korrektur vorzunehmen.

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