Tausche Kredit gegen Privatsphäre

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Politisches Engagement zahlt sich nicht immer aus. Wer die 'falschen' Freunde hat, könnte bei der Vergabe von Krediten in Zukunft leer ausgehen.

Ein indisches Start-up, Slice Pay, vergibt Kredite anhand von Fotos, GPS-Daten, Anruflisten und Software-Updates, etwa für Studenten auf Darlehenssuche.

Social-Media-Daten wie Facebook-Likes oder Tweets verraten eine Menge über unsere Persönlichkeit: Bildungsstand, politische Einstellungen, Kreditwürdigkeit. Fin-Tech-Startups nutzen seit geraumer Zeit Facebook-Daten, um diese mit anderen Variablen zu korrelieren und auf dieser Grundlage eine Ausfallwahrscheinlichkeit für Kreditkunden zu berechnen. Grob vereinfacht: Wer Seiten von Kulturinstitutionen likt, hat in der Regel einen höheren Bildungsstand, was wiederum mit höherem Einkommen und geringerem Ausfallsrisiko korreliert. Andererseits bedeutet dies auch, dass man durch Posts seine Bonität nach oben schrauben kann. Banken interessieren sich aber nicht nur für Social-Media-Daten. In Subsahara-Afrika, wo nach Angaben der Weltbank bloß ein Drittel der Bevölkerung über 15 Jahre ein Bankkonto besitzt und die Bonitätsprüfung aufgrund innerfamiliärer Leihgeschäfte schwierig ist, berücksichtigen Kreditinstitute auch andere Smartphone-Daten.

Mikrokredite via App

Laut einem Bericht der Organisation Privacy International ("Fintech: Privacy and Identity in the New Data-Intensive Financial Sector") bietet das in Kalifornien ansässige Fin-Tech-Start-up Tala in Kenia und auf den Philippinen Mikrokredite bis zu einer Höhe von 500 Dollar via App an. Die App fragt den Nutzer nach einer Reihe von Zugriffsrechten, zum Beispiel auf installierte Apps, Kontakte, GPS-Locations, SMS-Inhalte sowie das Anrufprotokoll. Sag mir, welche Apps du nutzt und wo du dich aufhältst, und ich sage dir, ob du kreditwürdig bist.

Das Modell funktioniert so: Die App übermittelt alle 24 Stunden Smartphone-Daten an die Server in den USA, wo sie von Algorithmen analysiert werden. Diese Datenpunkte werden dann wie in einem Puzzle miteinander in Beziehung gesetzt und ergeben je nachdem, wie viele Daten verwendet werden, ein detailliertes Bild. So haben die Analysen von Tala ergeben, dass Nutzer, die regelmäßig Familienmitglieder anrufen, eine vier Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, ihren Kredit zurückzuzahlen.

Familienmitglieder wurden dabei anhand der Anrufmuster und Textnachrichten, in denen Worte wie "Mama" oder "Papa" auftauchten, identifiziert. Methodisch - intakte Familienbeziehungen indizieren per se noch keine Bonität - mag die algorithmische Bonitätsprüfung fragwürdig sein, doch die Start-ups im Silicon Valley, die die besten Mathematiker und Ingenieure von den Unis abwerben, würden den Dienst wohl nicht anbieten, wenn er nicht rentabel wäre. Die App hat überdies Zugriff auf den mobilen Bezahldienst M-Pesa, der Transaktionen überwacht. Der Kreditgeber kann so sehen, wofür das Darlehen verwendet wird (etwa Schulgebühren und Krankenhausaufenthalte) und daraus Rückschlüsse auf das Konsumverhalten ziehen.

Das kalifornische Start-up Branch operiert ähnlich: Die App greift auf Kontakte, SMS-Nachrichten, Anrufprotokolle und Standortdaten zurück, um daraus die Kreditwürdigkeit potenzieller Kunden zu ermitteln. Im Gegensatz zu Tala werden auch Facebook-Daten zur Berechnungsgrundlage gemacht.

Credit Score mittels Freizeitdaten

Auch afrikanische Fin-Tech-Start-ups sind auf dem Vormarsch. So analysiert das in Kapstadt ansässige Start-up Jumo Smartphone-Aktivitäten wie die Aufenthaltsdauer im Freien oder die mobile Zahlhistorie, um einen Credit Score zu errechnen. Nach eigenen Angaben vergibt Jumo bis zu 70 000 (unbesicherte) Mikrokredite am Tag. Das indische Start-up SlicePay vergibt Kredite anhand von Fotos, GPS-Daten, Anruflisten und Software-Updates -zum Beispiel für Studenten, die sich einen neuen Laptop kaufen wollen.

SlicePay-Mitgründer Rajan Bajaj sagte: "Wenn eine Person in ein bestimmtes Restaurant eincheckt, sehen wir die Preiskategorie. Wenn ein Student viele Fotos von Restaurants und anderen Orten hochlädt, können wir das Ausgabeverhalten der Person nachvollziehen und ob sie in der Lage sind, den Kredit zurückzuzahlen." Der Vorteil dieser Bonitätsprüfung ist, dass schnell und unbürokratisch Darlehen vergeben werden können und Unternehmer, die eine Geschäftsidee haben, aber nicht genügend Sicherheiten, um ein Gewerbe zu eröffnen, mit Kapital versorgt werden. Tala verspricht, dass die Antragstellung per App gerade einmal drei Minuten in Anspruch nimmt. Der Nachteil ist, dass die Kreditnehmer die Finanzdienste mit ihren Daten bezahlen.

Besser als unter Kredithaien

Daniel Szlapak, Afrika-Direktor von Branch, der in dem Bericht zitiert wird, gibt das unumwunden zu: "Sind sie bereit, die Privatsphäre für unbesicherte Kredite einzutauschen? Ohne Zweifel." Die Alternative sei, dass sich Privatleute in die Fänge von Kredithaien begeben. Bei Branch würde "Big Brother zwar zuschauen, aber nicht mit dem Schlagstock hinter einem stehen." Die Frage, ob man sensible Daten zur Kreditvergabe kommerziell nutzen darf, ist sowohl eine ethische als auch eine entwicklungspolitische. Privacy International fordert klare ethische Leitplanken für die Datennutzung in der Entwicklungshilfe bzw. Mikrokreditvergabe.

Die Partizipation in sozialen Netzwerken kann Nutzern auch zum Nachteil gereichen. Ein anonymer Gründer eine Kredit-Plattform sagte der India Times: "Wenn jemand politisch aktiv ist und sich an politischen Kampagnen beteiligt, die über Social-Media-Profile einsehbar sind, ist das kein gutes Zeichen, weil wir keinen Ärger haben wollen, der bei einer Pfändung entstünde." Politisches Engagement zahlt sich hier nicht aus. Wer die "falschen" Freunde hat oder an den falschen Orten verkehrt, könnte bei der Kreditvergabe künftig leer ausgehen.

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