Theologie des Karfreitags

Im Leben der evangelischen Kirchen spielt der Karfreitag eine besondere Rolle. Er ist der höchste Feiertag im Kirchenjahr und einer der wichtigsten Abendmahlstage. Die überwiegende Zahl evangelischer Altarbilder zeigt Jesu Hinrichtung auf Golgatha. Damit haben die Evangelischen eine eigene Note in die Christenheit eingebracht, denn weder kannte die frühe Kirche eine gottesdienstliche Feier am Karfreitag noch hat er heute in den Schwesterkirchen eine vergleichbare Bedeutung. Der theologische Hintergrund dafür ist in den reformatorischen Überlegungen zum Kreuz Jesu Christi zu finden. Denn gerade dort, wo es am wenigsten zu vermuten und nach menschlichem Ermessen zu erkennen ist, nämlich im Leiden und Sterben am Schandmal des Kreuzes, will Gott gegenwärtig sein. Martin Luthers Rede von einer theologia crucis gegenüber einer Theologie der Glorie drückt aus, dass Gott sich im Kreuz klarer und unverstellter offenbart als in Erscheinungsweisen von Macht und Triumph.

Dietrich Bonhoeffer hat im Gefängnis erkannt, dass wir in der Welt und vor Gott leben müssen, als ob es Gott nicht gäbe - etsi Deus non daretur. Das begründet er mit dem Tod Jesu am Kreuz, denn in diesem Geschehen lässt sich Gott ganz aus der Welt hinausdrängen. Wenn nun in den evangelischen Kirchen die Kreuzigungsdarstellung im Zentrum steht, wird damit zum Ausdruck gebracht, dass der, der durch Politik, Gesellschaft und religiöse Institutionen an den Rand gedrängt wurde und mit ihm alle, die an den Rand gedrängt werden, für die Kirche im Zentrum stehen. Das kann nicht ohne Konsequenzen für die Wahrnehmung der Aufgaben der Kirche in der Welt bleiben.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.