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Eine Aufhebung des generellen Tiermehl-Verfütterungsverbots ist durchaus diskussionswürdig, zumal es viele Fragezeichen bei der herrschenden BSE-Theorie gibt.

Wer erinnert sich nicht mit Schrecken an die Bilder von serienweise einknickenden Rindern, von anschließend in Massen geschlachteten und in Tierkörperverbrennungsanlagen geschobenen Tieren? Von einer drohenden massenhaften Creutzfeld-Jacob-Erkrankung bei Menschen war die Rede, die - vor allem in England - zu Hunderttausenden den Konsum von infiziertem Rindfleisch mit dem Tod bezahlen sollten. Nichts von dem ist eingetreten: Die neue Variante der Creutzfeld-Jacob-Krankheit ist weit davon entfernt, sich zu einer Epidemie auszuwachsen. Zumal wurde bis heute von der Wissenschaft kein Beweis für einen Zusammenhang von bse und Creutzfeld-Jacob erbracht.

Selten in der Geschichte der Landwirtschaft hinterließ eine Erkrankung derart tiefe Spuren wie bse. In Großbritannien, wo mehr als 90 Prozent aller bse-Fälle weltweit auftraten, wurden nach Schätzungen in den vergangenen zehn Jahren mehr als fünf Millionen Rinder verbrannt. In Deutschland waren es seit Beginn eines Aufkaufprogrammes der eu zu Beginn des Jahres 2001 rund 400.000 Tiere, die getötet und zu Tiermehl vermahlen wurden, um in Heizkraftwerken oder Zementfabriken "thermisch verwertet" zu werden. Mit Schrecken denken viele Deutsche an die letzten Wochen des Jahres 2000 zurück, als die ersten bse-Fälle auftraten und den betroffenen Bauern kurzerhand die gesamte Herde getötet wurde - auch wenn das betroffene kranke Tier das einzige war, bei dem bse diagnostiziert wurde.

Wütende Bauernproteste

Erst wütende Proteste von Landwirten veranlassten die Gesetzgeber, ab Mitte 2001 selektiver vorzugehen. Doch obwohl in Deutschland und erst recht in Österreich (mit bisher drei Fällen) im Vergleich zu Großbritannien weit weniger bse-Fälle zu verzeichnen waren, waren die Auswirkungen auf den Rindfleischmarkt katastrophal: Landwirte erhielten für das Kilo Rindfleisch plötzlich um ein Drittel bis die Hälfte weniger, insgesamt wird der Schaden mit mehr als 200 Millionen Euro beziffert. Die Briten hingegen hielten demonstrativ an ihrem Beef fest.

Schuld an allem - darin waren sich Politiker, Experten und Medien einig - war das Tiermehl. Dementsprechend wurde es zunächst für Wiederkäuer verboten, die als reine Pflanzenfresser nicht länger zum Fleischkonsum gezwungen werden sollten. Im Jahr 2000 folgte dann aber auch das eu-weite Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Schweine und Hühner. Außerdem wurde auch die Verfütterung von Speiseresten verboten, die von der Hotellerie und Gastronomie stammen.

Energie aus Tiermehl

Knapp 100.000 Tonnen Tiermehl fallen in etwa pro Jahr in Österreich an. Für die vier Tierkörperverwertungsanstalten in Landscha (Steiermark), Regau (Oberösterreich), Tulln (Niederösterreich) und Kleinfrauenhaid (Burgenland) änderte sich alles: Ein vormals begehrtes, weil eiweißreiches Futtermittel war auf einmal nichts mehr wert und musste zur Energiegewinnung genutzt werden. Bis heute hat sich die Lage insgesamt nur wenig verändert: Risikomaterial der Klasse 1 wird ebenso verbrannt wie Tiermehl der Klasse 2. Nur das Fleischknochenmehl der geringsten Risikoklasse 3, das von gesunden, für den Verzehr bestimmten Tieren stammt, wird vorwiegend als Dünger wieder an Landwirte verkauft, teilweise landet es auch im Futter für Haustiere. Ein weiterer Teil geht auch in den Export nach Asien, wie Christoph Henöckl, Geschäftsführer der Futtermittelfirma Garant, erzählt.

Für die Futtermittelfirmen sei es aber kein Problem, kein Tiermehl zur Verfügung zu haben, sagt Henöckl: "Für uns hat sich nur die Zusammensetzung der Futtermittel geändert, aber die Landwirte mussten nach anderen Phosphorquellen und anderen Proteinträgern suchen, was teurer und weniger effizient ist." Ersetzt wurde das Tiermehl zum Teil durch (genmanipulierten) Sojaschrot, Fischmehl und durch heimische pflanzliche Eiweißträger. Für das deutsch-französische Tierkörperverwertungsunternehmen Saria hat sich sogar bei den gewonnenen tierischen Fetten ein neuer Markt entwickelt: Ein eigens errichtetes Werk produziert daraus jährlich 12.000 Tonnen Biodiesel.

Populismus der Politik

Inzwischen haben die Tierkörperverwertungsunternehmen umgestellt und trennen nicht nur in die drei Risikokategorien, sondern sind auch bereit, nach den eingehenden Tierarten zu unterscheiden: Denn wenn es möglich ist, auch mittels Tests nachzuvollziehen, ob die vermahlenen Tiere Schweine oder Hühner waren, ist laut eu auch eine Aufhebung des generellen Verfütterungs-Verbotes möglich: Dann dürfte nämlich an Schweine "risikoarmes" Hühnermehl und an Hühner Fleischknochenmehl von Schweinen verfüttert werden - wenn die nationalen Regierungen dies wollen.

Doch Harald Niemann, Sprecher der deutschen Tiermehlindustrie, ist skeptisch: "Mit der Verhängung von Verboten lassen sich leichter Wahlen gewinnen als mit der Aufhebung von Verboten." Er betont, dass von einem gut kontrollierten Fleischknochenmehl der geringsten Risikostufe keine Gefahr ausgehen könne. Von einer Wiederzulassung würden in erster Linie die Bauern profitieren, die dann nicht nur ein hochwertiges Eiweißfuttermittel zurückbekämen, sondern auch nicht mehr die Kosten für die "nutzlose" Verbrennung übergewälzt bekämen. "Die Schlachthöfe könnten wieder mehr für die Tiere zahlen", sagt Niemann. Auch die Entsorgungssicherheit würde verbessert werden: "Der soeben in Deutschland viel diskutierte Gammelfleisch-Skandal hätte nicht stattgefunden, weil das Fleisch sofort zu Fleischknochenmehl verarbeitet worden wäre."

Ob Tiermehl wieder zugelassen wird oder nicht, steht also noch in den Sternen. Bei einer Gesamtbetrachtung des Themas kommt aber noch ein weiterer Aspekt hinzu: "Tiermehl ist ein Produkt der Massentierhaltung und diese ist aus ethischer Sicht nicht zu rechtfertigen", erklärt Gerhard Marschütz vom Institut für Moraltheologie. Tiere würden nicht mehr als Geschöpfe sondern als Ware im Produktionsprozess gesehen. Ein möglicher Ausweg wäre "eine drastische Reduktion des Fleischkonsums, wobei sich der Konsument bewusst für artgerecht gehaltene tierische Produkte entscheiden müsste".

Generell ist beim Thema Tiermehl eine Diskussion ausgebrochen, inwieweit dieses Auslöser für bse ist - zumal es bislang keinen einzigen wissenschaftlichen Langzeitversuch gibt, bei dem Rinder mit verseuchtem Tiermehl gefüttert wurden. Auch fehle der Nachweis, dass Prionen - eiweißartige Partikel mit einer krankhaft veränderten Struktur - Artgrenzen überwinden können (also beispielsweise beim Menschen nach dem Verzehr von infiziertem Rindfleisch zur neuen Variante der Creutzfeld-Jacob-Krankheit führen können).

Drei Theorien

Für die Erklärung der wahren Hintergründe für die bse-Katastrophe gibt es drei alternative Haupttheorien:

* Genetische Defekte, die sich durch die Massenbesamung durch wenige Stiere rasend verbreiteten und zu den beim Rinderwahnsinn diagnostizierten Symptomen führten.

* Der Einsatz von Nervengiften (Organophosphate) zur Bekämpfung der Dasselfliege, einem Rinderparasiten, vor allem in Großbritannien aber auch in der Schweiz. 1998 veröffentlichte der britische Wissenschaftler Stephen Whatley eine Studie an Hirnzellen, die aufzeigte, dass Phosmet eine Aufregulierung des Ausgangsmoleküls für die Prionen hervorruft. Das bestätige die Möglichkeit, dass sich durch die Anwendung von Phosmet das Risiko von Prionen-Krankheiten (wie bse) erhöhen könnte, lautete Whatleys Schlussfolgerung.

* Eine Infektion mit dem Bakterium Acinetobacter, das im Körper von Rindern und Menschen eine Autoimmunreaktion auslöst, die Nervengewebe angreift und schädigt. Acinetobacter können bei unsachgemäßer Lagerung aber nicht nur im Tiermehl, sondern auch beispielsweise im Soja vorkommen.

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